Schön und gemein - Donald Trumps Big Beautiful Bill im US-Kongress
Donald Trump hat das „Branding“ auf ein neues Niveau gehoben. Er verkaufte dem US-Kongress einen Gesetzentwurf, der gemein und hässlich ist als „groß und schön“. Er hat seinen Populismus in einen „umgekehrten Robin Hoodismus“ verwandelt. Er beraubt die Schwächsten der Gesellschaft ihrer Krankenversicherung und gewährt den Reichen Steuererleichterungen in Millionenhöhe. Warum? Weil er es kann. Und wie? Weil die Republikanische Partei, wie andere Parteien in der Geschichte des Faschismus, mittlerweile „gleichgeschaltet“ ist. Bisher stellte sich die Frage, warum viele Republikaner Donald Trump wählten, dies aber gegen ihre eigenen Interessen taten. Nun, auf dem Weg zu einem Autoritarismus Trump ’scher Prägung stellt sich die Frage, warum republikanische Senatoren und Kongressabgeordnete gegen die Interessen vieler Wähler – und damit gegen ihre eigenen – stimmten. Und was dies für die Zukunft der amerikanischen Politik bedeutet.
Am 4. Juli, dem Geburtstag der Nation, unterzeichnete Präsident Trump ein Gesetz, das im Laufe des nächsten Jahrzehnts schätzungsweise 12 Millionen Bürgern ihre Krankenversicherung (Medicaid) entziehen wird. Steuergutschriften für erneuerbare Energien werden drastisch gekürzt. Gleichzeitig sieht das „Big Beautiful Bill“ (BBB) massive Steuersenkungen für wohlhabende Amerikaner vor. Dies wird das ohnehin schon aufgeblähte Haushaltsdefizit um weitere 4,3 Billionen Dollar erhöhen. Zudem sind 170 Milliarden Dollar für drastische Maßnahmen gegen Immigranten vorgesehen, für den Bau von Aufnahmelagern und die lange versprochenen Grenzmauer – eine Erhöhung des Budgets der Einwanderungsbehörde (ICE) um 265 %. Damit entsteht ein „einwanderungsfeindlicher Polizeistaat in Amerika“, wie Bill Clintons ehemaliger Arbeitsminister Robert Reich es formulierte.
Kritiker beschreiben das 870 Seiten lange Megagesetz mit einer Litanei empörter Kommentare: „Das monströseste Gesetz, über das ich während meiner Zeit im Kongress je abgestimmt habe“ (Senator Chris Murphy); „Die Katastrophe, die gerade den Senat passiert hat“ (Podcaster Ezra Klein); „Ein Paradebeispiel für fiskalische Inkontinenz und ideologische Erschöpfung“ (The Economist).
In der Tat geht die Wirtschaftlichkeit des Gesetzes nicht auf. Andere republikanische Präsidenten wie Ronald Reagan und George W. Bush haben ihre eigene „Voodoo-Ökonomie“ praktiziert, aber das geschah zu einer Zeit, als sich die Vereinigten Staaten noch leisten konnten, verschwenderisch zu sein. Danach gelang es demokratischen Präsidenten wie Carter und Clinton, die aus den Fugen geratenen Staatsfinanzen wieder in den Griff bekommen. Diesmal, da sind sich die meisten Kritiker einig, wird es anders sein. Amerika wird mit einer Staatsverschuldung von 120 % des Bruttoinlandsproduktes und einem jährlichen Haushaltsdefizit von etwa 7 % dastehen, was seinen Status als Supermacht dauerhaft untergraben wird.
Doch wie konnte ein so rücksichtsloses Gesetz zustande kommen? Was hat republikanische Abgeordnete zu Marionetten nordkoreanischen Verschnitts gemacht? Was erklärt ihre kollektive Rückgratlosigkeit angesichts einer Politik, die ihren Wählern insbesondere im amerikanischen Hinterland schaden wird, wo Medicaid die Versorgung von mehr als 40 % der in den ländlichen Bezirken Kentuckys, Alabamas und Mississippis geborenen Kinder abdeckt?
Als ich die Leute auf meiner Reise durch die Mitte Amerikas im April und Mai fragte, ob sie denn keine Angst hätten, dass Donald Trump ihre Medicaid-Leistungen kürzen könnte, antworteten die meisten, dies werde er nicht wagen. Und viele republikanische Kandidaten hatten im Wahlkampf versprochen, sie würden es nicht zulassen, dass jemand diese Krankenversicherung für Geringverdiener, Senioren und Behinderte antastet. Nun, mit seinem BBB hat er es gewagt, und sie haben nachgegeben.
Doch warum haben fast alle republikanischen Kongress-Abgeordneten das „Big and Beautiful Bill“ unterzeichnet? Erstens, weil es einige Kernversprechen aus Donald Trumps Wahlkampf enthielt: die vorübergehenden Steuersenkungen aus seiner ersten Amtszeit dauerhaft zu machen; die Initiativen der Biden-Administration für saubere Energien zurückzufahren; die Ausgaben für Grenzschutz und die Deportation illegaler Einwanderer zu erhöhen; und die Einkommensteuer auf Trinkgelder und Überstunden für Beschäftigte im Gastgewerbe abzuschaffen.
Zweitens, weil die meisten republikanischen Abgeordneten den gesunden Menschenverstand und ihr politisches Urteilsvermögen verloren haben. Manche sind von ihrem politischen Meister Donald Trump hemmungslos begeistert und nutzen die Dynamik, die er geschaffen hat. Andere glauben vielleicht sogar an die absurden Berechnungen, dass das aufgrund von Steuererleichterungen erhoffte Wirtschaftswachstum und die Einnahmen aus neuen Zöllen die Haushaltsbilanz ausgleichen werden. Manche Volksvertreter mögen mittlerweile gegen jegliche Warnungen vor einer drohenden Katastrophe oder einer Schädigung ihrer politischen Karriere immun sein, weil doch bisher alles gut gelaufen ist. Und in der Vergangenheit trafen Kürzungen im Sozialsystem eh vor allem demokratische Wähler. Was solls! Dass viele dieser Wähler nun Mitglieder der neuen republikanischen Koalition geworden sind, ist den meisten republikanischen Abgeordneten noch nicht bewusst. So triumphiert Ideologie über jedes politische Verständnis.
Drittens, und das ist am wichtigsten, wird ihre Speichelleckerei von der Angst getrieben, bei der nächsten Wahl den Sitz zu verlieren, weil der Präsident damit droht, Neinsager zu bestrafen, indem er bei den nächsten republikanischen Vorwahlen Jasager als Gegenkandidaten unterstützt. Unter Donald Trump ist die Republikanische Partei zu einer Partei der Angst geworden.
Aber sollten die Demokraten nicht froh über den Akt der politischen Selbstverletzung sein, den ihre politischen Gegner gerade begehen? Vielleicht. Angesichts der negativen Umfragewerte zum BBB sollte dessen Verabschiedung ihre Chancen bei den Zwischenwahlen im November 2026 und bei den Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später erhöhen.
Aber wer weiß, welche politischen Bedingungen die erfolgte Gleichschaltung der Republikanischen Partei, der fortschreitende Abbau des Rechtsstaates, die systematische Zerstörung demokratischer Institutionen und die Ersetzung des öffentlichen Diskurses durch eine plattformgetriebene Influencer-Kultur bis dahin geschaffen haben.
Donald Trumps dramatisch-knapper Abstimmungserfolg im Kongress ist nur die jüngste Machtdemonstration eines siegreichen aber auch größenwahnsinnigen Präsidenten in einem degradierten politischen Umfeld. Da waren seine performative Bombardierung iranischer Atomanlagen und sein Sieg über die NATO-Verbündeten in Brüssel in Bezug auf die 5%-Forderung bei den Verteidigungslasten. Da gab es den dramatischen Beginn seiner Anti-Einwanderungskampagne in Los Angeles und das gefeierte Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, das die Möglichkeit von Bundesrichtern einschränkt, Trumps Dekrete und die Politik seiner Regierung zu blockieren. Und es gibt besser als erwartete Wirtschaftsdaten sowie Rekordhochs an der Börse, die den düsteren Vorhersagen seiner liberalen Kritiker zumindest vorerst zu widersprechen scheinen.
Nach seinem großen, schönen Sieg im Kongress am Vorabend des Unabhängigkeitstages ist Donald Trump völlig außer Rand und Band. Oder um den Demokratischen Ex-Minister Robert Reich noch einmal zu zitieren: „Dass ein so regressives, gefährliches, gigantisches und unpopuläres Gesetz den Kongress passieren konnte, zeigt, wie weit Trump Amerika in einen neuartigen Faschismus hineingezogen hat.“