What happened to America and why? sehen, fragen, aufschreiben
posted by Rolf Paasch
Schön und gemein - Donald Trumps Big Beautiful Bill im US-Kongress
Donald Trump hat das „Branding“ auf ein neues Niveau gehoben. Er verkaufte dem US-Kongress einen Gesetzentwurf, der gemein und hässlich ist als „groß und schön“. Er hat seinen Populismus in einen „umgekehrten Robin Hoodismus“ verwandelt. Er beraubt die Schwächsten der Gesellschaft ihrer Krankenversicherung und gewährt den Reichen Steuererleichterungen in Millionenhöhe. Warum? Weil er es kann. Und wie? Weil die Republikanische Partei, wie andere Parteien in der Geschichte des Faschismus, mittlerweile „gleichgeschaltet“ ist. Bisher stellte sich die Frage, warum viele Republikaner Donald Trump wählten, dies aber gegen ihre eigenen Interessen taten. Nun, auf dem Weg zu einem Autoritarismus Trump ’scher Prägung stellt sich die Frage, warum republikanische Senatoren und Kongressabgeordnete gegen die Interessen vieler Wähler – und damit gegen ihre eigenen – stimmten. Und was dies für die Zukunft der amerikanischen Politik bedeutet.
Donald Trump hat das „Branding“ auf ein neues Niveau gehoben. Er verkaufte dem US-Kongress einen Gesetzentwurf, der gemein und hässlich ist als „groß und schön“. Er hat seinen Populismus in einen „umgekehrten Robin Hoodismus“ verwandelt. Er beraubt die Schwächsten der Gesellschaft ihrer Krankenversicherung und gewährt den Reichen Steuererleichterungen in Millionenhöhe. Warum? Weil er es kann. Und wie? Weil die Republikanische Partei, wie andere Parteien in der Geschichte des Faschismus, mittlerweile „gleichgeschaltet“ ist. Bisher stellte sich die Frage, warum viele Republikaner Donald Trump wählten, dies aber gegen ihre eigenen Interessen taten. Nun, auf dem Weg zu einem Autoritarismus Trump ’scher Prägung stellt sich die Frage, warum republikanische Senatoren und Kongressabgeordnete gegen die Interessen vieler Wähler – und damit gegen ihre eigenen – stimmten. Und was dies für die Zukunft der amerikanischen Politik bedeutet.
Am 4. Juli, dem Geburtstag der Nation, unterzeichnete Präsident Trump ein Gesetz, das im Laufe des nächsten Jahrzehnts schätzungsweise 12 Millionen Bürgern ihre Krankenversicherung (Medicaid) entziehen wird. Steuergutschriften für erneuerbare Energien werden drastisch gekürzt. Gleichzeitig sieht das „Big Beautiful Bill“ (BBB) massive Steuersenkungen für wohlhabende Amerikaner vor. Dies wird das ohnehin schon aufgeblähte Haushaltsdefizit um weitere 4,3 Billionen Dollar erhöhen. Zudem sind 170 Milliarden Dollar für drastische Maßnahmen gegen Immigranten vorgesehen, für den Bau von Aufnahmelagern und die lange versprochenen Grenzmauer – eine Erhöhung des Budgets der Einwanderungsbehörde (ICE) um 265 %. Damit entsteht ein „einwanderungsfeindlicher Polizeistaat in Amerika“, wie Bill Clintons ehemaliger Arbeitsminister Robert Reich es formulierte.
Kritiker beschreiben das 870 Seiten lange Megagesetz mit einer Litanei empörter Kommentare: „Das monströseste Gesetz, über das ich während meiner Zeit im Kongress je abgestimmt habe“ (Senator Chris Murphy); „Die Katastrophe, die gerade den Senat passiert hat“ (Podcaster Ezra Klein); „Ein Paradebeispiel für fiskalische Inkontinenz und ideologische Erschöpfung“ (The Economist).
In der Tat geht die Wirtschaftlichkeit des Gesetzes nicht auf. Andere republikanische Präsidenten wie Ronald Reagan und George W. Bush haben ihre eigene „Voodoo-Ökonomie“ praktiziert, aber das geschah zu einer Zeit, als sich die Vereinigten Staaten noch leisten konnten, verschwenderisch zu sein. Danach gelang es demokratischen Präsidenten wie Carter und Clinton, die aus den Fugen geratenen Staatsfinanzen wieder in den Griff bekommen. Diesmal, da sind sich die meisten Kritiker einig, wird es anders sein. Amerika wird mit einer Staatsverschuldung von 120 % des Bruttoinlandsproduktes und einem jährlichen Haushaltsdefizit von etwa 7 % dastehen, was seinen Status als Supermacht dauerhaft untergraben wird.
Doch wie konnte ein so rücksichtsloses Gesetz zustande kommen? Was hat republikanische Abgeordnete zu Marionetten nordkoreanischen Verschnitts gemacht? Was erklärt ihre kollektive Rückgratlosigkeit angesichts einer Politik, die ihren Wählern insbesondere im amerikanischen Hinterland schaden wird, wo Medicaid die Versorgung von mehr als 40 % der in den ländlichen Bezirken Kentuckys, Alabamas und Mississippis geborenen Kinder abdeckt?
Als ich die Leute auf meiner Reise durch die Mitte Amerikas im April und Mai fragte, ob sie denn keine Angst hätten, dass Donald Trump ihre Medicaid-Leistungen kürzen könnte, antworteten die meisten, dies werde er nicht wagen. Und viele republikanische Kandidaten hatten im Wahlkampf versprochen, sie würden es nicht zulassen, dass jemand diese Krankenversicherung für Geringverdiener, Senioren und Behinderte antastet. Nun, mit seinem BBB hat er es gewagt, und sie haben nachgegeben.
Doch warum haben fast alle republikanischen Kongress-Abgeordneten das „Big and Beautiful Bill“ unterzeichnet? Erstens, weil es einige Kernversprechen aus Donald Trumps Wahlkampf enthielt: die vorübergehenden Steuersenkungen aus seiner ersten Amtszeit dauerhaft zu machen; die Initiativen der Biden-Administration für saubere Energien zurückzufahren; die Ausgaben für Grenzschutz und die Deportation illegaler Einwanderer zu erhöhen; und die Einkommensteuer auf Trinkgelder und Überstunden für Beschäftigte im Gastgewerbe abzuschaffen.
Zweitens, weil die meisten republikanischen Abgeordneten den gesunden Menschenverstand und ihr politisches Urteilsvermögen verloren haben. Manche sind von ihrem politischen Meister Donald Trump hemmungslos begeistert und nutzen die Dynamik, die er geschaffen hat. Andere glauben vielleicht sogar an die absurden Berechnungen, dass das aufgrund von Steuererleichterungen erhoffte Wirtschaftswachstum und die Einnahmen aus neuen Zöllen die Haushaltsbilanz ausgleichen werden. Manche Volksvertreter mögen mittlerweile gegen jegliche Warnungen vor einer drohenden Katastrophe oder einer Schädigung ihrer politischen Karriere immun sein, weil doch bisher alles gut gelaufen ist. Und in der Vergangenheit trafen Kürzungen im Sozialsystem eh vor allem demokratische Wähler. Was solls! Dass viele dieser Wähler nun Mitglieder der neuen republikanischen Koalition geworden sind, ist den meisten republikanischen Abgeordneten noch nicht bewusst. So triumphiert Ideologie über jedes politische Verständnis.
Drittens, und das ist am wichtigsten, wird ihre Speichelleckerei von der Angst getrieben, bei der nächsten Wahl den Sitz zu verlieren, weil der Präsident damit droht, Neinsager zu bestrafen, indem er bei den nächsten republikanischen Vorwahlen Jasager als Gegenkandidaten unterstützt. Unter Donald Trump ist die Republikanische Partei zu einer Partei der Angst geworden.
Aber sollten die Demokraten nicht froh über den Akt der politischen Selbstverletzung sein, den ihre politischen Gegner gerade begehen? Vielleicht. Angesichts der negativen Umfragewerte zum BBB sollte dessen Verabschiedung ihre Chancen bei den Zwischenwahlen im November 2026 und bei den Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später erhöhen.
Aber wer weiß, welche politischen Bedingungen die erfolgte Gleichschaltung der Republikanischen Partei, der fortschreitende Abbau des Rechtsstaates, die systematische Zerstörung demokratischer Institutionen und die Ersetzung des öffentlichen Diskurses durch eine plattformgetriebene Influencer-Kultur bis dahin geschaffen haben.
Donald Trumps dramatisch-knapper Abstimmungserfolg im Kongress ist nur die jüngste Machtdemonstration eines siegreichen aber auch größenwahnsinnigen Präsidenten in einem degradierten politischen Umfeld. Da waren seine performative Bombardierung iranischer Atomanlagen und sein Sieg über die NATO-Verbündeten in Brüssel in Bezug auf die 5%-Forderung bei den Verteidigungslasten. Da gab es den dramatischen Beginn seiner Anti-Einwanderungskampagne in Los Angeles und das gefeierte Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA, das die Möglichkeit von Bundesrichtern einschränkt, Trumps Dekrete und die Politik seiner Regierung zu blockieren. Und es gibt besser als erwartete Wirtschaftsdaten sowie Rekordhochs an der Börse, die den düsteren Vorhersagen seiner liberalen Kritiker zumindest vorerst zu widersprechen scheinen.
Nach seinem großen, schönen Sieg im Kongress am Vorabend des Unabhängigkeitstages ist Donald Trump völlig außer Rand und Band. Oder um den Demokratischen Ex-Minister Robert Reich noch einmal zu zitieren: „Dass ein so regressives, gefährliches, gigantisches und unpopuläres Gesetz den Kongress passieren konnte, zeigt, wie weit Trump Amerika in einen neuartigen Faschismus hineingezogen hat.“
Der wankelmütige Strongman im Weißen Haus
Am Anfang sah es so aus, als wäre die israelisch-iranische Herausforderung Amerikas der erste Stresstest für die MAGA-Bewegung. Dann offenbarte Trumps anfängliches Zögern vor einer weiteren militärischen Intervention im Nahen Osten die Schwäche der Demokratischen Partei, die bei dieser Entscheidung über Krieg und Frieden nicht die Mitsprache des US-Kongress einforderte. Schließlich warnten konservative Kritiker wie Robert Kagan vor den gefährlichen Folgen eines solchen Kriegseintritts: „Er wird autokratische Tendenzen im eigenen Land und antiliberale Kräfte weltweit stärken.“ Doch bisher ist der „Zwölf-Tage-Krieg“ nur ein weiteres Kapitel in der zweiten Amtszeit des wankelmütigen strongman im Weißen Haus, der vor allem seine narzisstischen Impulse befriedigt
Am Anfang sah es so aus, als wäre die israelisch-iranische Herausforderung Amerikas der erste Stresstest für die MAGA-Bewegung. Dann offenbarte Trumps anfängliches Zögern vor einer weiteren militärischen Intervention im Nahen Osten die Schwäche der Demokratischen Partei, die bei dieser Entscheidung über Krieg und Frieden nicht die Mitsprache des US-Kongress einforderte. Schließlich warnten konservative Kritiker wie Robert Kagan vor den gefährlichen Folgen eines solchen Kriegseintritts: „Er wird autokratische Tendenzen im eigenen Land und antiliberale Kräfte weltweit stärken.“ Doch bisher ist der „Zwölf-Tage-Krieg“ nur ein weiteres Kapitel in der zweiten Amtszeit des wankelmütigen strongman im Weißen Haus, der vor allem seine narzisstischen Impulse befriedigt.
Tagelang hatten US-amerikanische und deutsche Medien den Online-Schlagabtausch zwischen den selbsternannten Anführern der MAGA-Basis verfolgt, zwischen dem Chefideologen Steve Bannon, dem ehemaligen Fox-Moderator Tucker Carlson, dem Talkshow-Influencer Charlie Kirk und der Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Green auf der einen, und traditionellen Republikanern wie den Senatoren Ted Cruz und Lindsey Graham auf der anderen Seite. Unter der Schlagzeile „Wie der Iran-Krieg die MAGA-Bewegung spaltet“ berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ über den feindselig klingenden Schlagabtausch in der Blogosphäre und fragte, wie gefährlich dieser für Donald Trump sein könnte.
Nicht sehr gefährlich, wie sich herausstellte. Die Gefahr liegt eher in einem falschen Verständnis von Politik im Zeitalter Donald Trumps. Denn die aktuelle republikanische Koalition aus lautstarken Influencern und gefügigen Abgeordneten ist ein völlig anderes politisches Konstrukt als die demokratische Koalition aus einer traditionellen politischen Partei mit verschiedenen Fraktionen und einer frustrierten, hilflosen Zivilgesellschaft. Die Mitglieder der republikanischen Koalition sind allesamt Speichellecker in einem halbautokratischen System, während sich die Opposition in ihrem politischen Abseits derzeit auf nichts einigen kann. Die erste Gruppe liefert eine abscheuliche, aber unterhaltsame Polit-Show, die zweite führt immer wieder die ersten Akte einer bekannten Tragödie auf, ohne jemals bis zur Katharsis zu gelangen.
Der Nahe Osten war der ursprüngliche Ausgangspunkt der MAGA-Bewegung. Es war Donald Trump, der bereits in seinem ersten Wahlkampf erkannte, wie unpopulär die Außenpolitik der Demokratischen Partei nach dem Desaster der „ewigen Kriege“ im Irak und in Afghanistan war. Er spürte, wie erschöpft die amerikanische Öffentlichkeit nach diesen gescheiterten Interventionen war, die nach Ansicht der meisten Menschen zu Lasten ihres wirtschaftlichen Wohlergehens im eigenen Land gingen. „All das Geld, das man für mich hätte ausgeben können, wurde verschwendet“, ist ein Satz, den man noch heute hört. Steve Bannons Behauptung, 80 % der MAGA-Anhänger wären gegen ein US-Engagement an der Seite Israels, dürfte übertrieben sein. Aber alle Umfragen bestätigen, dass sowohl Demokraten als auch Republikaner einen Kriegseintritt mit deutlicher Mehrheit ablehnen.
„Dies könnte eine verpasste Chance für die Demokraten sein, zur Antikriegspartei zu werden“, schrieb der britische „New Statesman“, „eine Position, die Trump seit seinem Wahlsieg 2016 unangefochten einnimmt.“ Tatsächlich gibt es eine Übereinstimmung der Ansichten zum aktuellen Konflikt zwischen Israel und dem Iran zwischen MAGA-Anhängern und einigen Vertretern der demokratischen Linken wie Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez. Doch die derzeitige Führung der Demokratischen Partei wiederholt immer wieder die Fehler Hillary Clintons und ihrer Parteigänger, als sie Anfang 2003 nicht den politischen Mut aufbrachten, sich gegen Präsident Bushs Invasion in Irak auszusprechen.
Es gibt zwar den War Powers Act von 1973, der die Position des Kongresses stärkte, nachdem Präsident Richard Nixon während des Vietnamkriegs zu viel außenpolitische Macht an sich gerissen hatte. Doch als es jetzt erneut darum ging, einem Kriegseintritt zu widersprechen, war von den Führern der Demokratischen Partei im Kongress nicht viel zu sehen. Und dies nach einer Woche, in der die US-Demokraten eigentlich in Hochstimmung sein sollten, nachdem sie Millionen Demonstranten gegen die Razzien und die Einwanderungspolitik der Trump-Administration auf die Straße gebracht hatten. Der ehemals neokonservative, jetzt reumütige Kolumnist Peter Beinart bezeichnet dies in der „New York Times“ als „schweren außenpolitischen Fehler“ der demokratischen Kongressführung.
Doch warum kann die Drohung mit einem weiteren unpopulären Kriegseintritt die Demokratische Partei verzagen lassen, während sie der Trump-Regierung keinen Schaden zufügt? Weil die MAGA-Bewegung ihren Groll und ihre Galle schnell der neuen Situation anpassen kann, und weil den Republikanern im Kongress nichts anderes übrig bleibt, als dem oszillierenden Trumpismus zu verfallen. Denn für Donald Trump ist es kein großer Aufwand, die isolationistische Melodie von gestern in eine Hymne auf den Krieg umzuwandeln. Dies ist nichts anderes als außenpolitisches TACO, der Kurzform für „Trump always chickens out“ (Trump verdrückt sich immer). Mit diesem Ausdruck bezeichnete die “Financial Times” seine Wendungen in der Zollpolitik und die Art und Weise, mit der sich der Präsident häufig vor dem Einlösen seinen Versprechen drückt. In diesem Fall machte Trump einen Rückzieher von seinem martialisch geäußerten Wahlkampfversprechen: „Keine Kriege mehr!“
Trumps „neuer Neokonservatismus ist eine Weiterentwicklung“, wie Bruno Macaes im „New Statesman“ ausführt. „Er hat den blassen Schimmer von Idealismus verloren, den er einst hatte und sich in eine durch und durch nihilistische Ideologie verwandelt, die offen rohe Gewalt befürwortet.“ Damit wird Trump bei seinen Anhängern durchkommen, die grausame Spektakel aller Art mögen, solange sie anderen schaden. Und in einer politisch erschöpften Öffentlichkeit lässt sich mit dem Beginn des Krieges dann auch das traditionelle Schema von „Gut gegen Böse“- leicht wiederbeleben.
Es ist ironisch, dass es diesmal einem anderen Neokonservativen und Befürworter des Regimewechsels in Irak wie Robert Kagan zufiel, seine Landsleute vor den Gefahren eines Krieges gegen den Iran zu warnen. Da die Vereinigten Staaten „auf dem besten Weg in die Diktatur im eigenen Land sind“, argumentierte er im Magazin „The Atlantic“, „kann ich mir derzeit nichts Gefährlicheres für die amerikanische Demokratie vorstellen, als in den Krieg zu ziehen.“
Kagan beschreibt mögliche Ausreden, die Trump vorbringen könnte, um die diktatorische Kontrolle im eigenen Land zu stärken; wie drakonisch er in Kriegszeiten oder nach möglichen Terroranschlägen mit Andersdenkenden umgehen könnte. „Jeder Erfolg, den Trump im Iran für sich beansprucht, wird, ungeachtet seiner sonstigen Folgen, ein Sieg für die antiliberale Allianz sein und die Interessen des Antiliberalismus auf der ganzen Welt fördern.“
Das könnte so sein. Doch derzeit verfolgt Donald Trump eine „schwindelerregende Iran-Politik“, wie die „Financial Times“ anmerkt. Seinem Truth-Social-Account zufolge geht es heute um einen Regimewechsel und morgen um Diplomatie – ein getweetetes Skript, das zwischen militärischen Drohungen gegen den Iran und diplomatischen Abkommen mit seinem Regime, zwischen Grausamkeit und Großzügigkeit wechselt. Dies ist nicht etwa das Ergebnis einer gespaltenen Persönlichkeit, sondern das systematische Hin und Her eines Machthabers, der jedes Ergebnis als Erfolg für sich reklamieren möchte, sei es der „Zwölf-Tage-Krieg“ oder ein kurzlebiger Frieden. Die Befriedigung seines unersättlichen Narzissmus ist Donald Trumps ultimatives außenpolitische Ziel.
Trump und der Feind von Innen
Vor 251 Jahren stimmte der Erste Kontinentalkongress gegen die Aufstellung einer stehenden Armee, weil seine Mitglieder befürchteten, eine schlechte Regierung könnte eine solche Armee gegen ihr Volk aufhetzen. Letzte Woche wurden dies Befürchtung von Präsident Donald Trump bestätigt, als er beschloss, die Nationalgarde und die US-Marines gegen einen vermeintlichen Aufstand in Los Angeles einzusetzen. Am 14. Juni 1775 gründete der Zweite Kontinentalkongress schließlich eine US-Armee, da es keinen anderen Weg zu geben schien, die britische Kolonialmacht loszuwerden – eben jene Armee, die Donald Trump nun gegen den „inneren Feind“ aufhetzt.
Vor 251 Jahren stimmte der Erste Kontinentalkongress gegen die Aufstellung einer stehenden Armee, weil seine Mitglieder befürchteten, eine schlechte Regierung könnte eine solche Armee gegen ihr Volk aufhetzen. Letzte Woche wurden dies Befürchtung von Präsident Donald Trump bestätigt, als er beschloss, die Nationalgarde und die US-Marines gegen einen vermeintlichen Aufstand in Los Angeles einzusetzen. Am 14. Juni 1775 gründete der Zweite Kontinentalkongress schließlich eine US-Armee, da es keinen anderen Weg zu geben schien, die britische Kolonialmacht loszuwerden – eben jene Armee, die Donald Trump nun gegen den „inneren Feind“ aufhetzt.
Die Anzeichen für Trumps geplante Usurpation des amerikanischen Militärs aus politischen Gründen waren schon länger zu sehen. Im Jahr 2020, als die Black-Lives-Matter-Proteste das Land erschütterten, wurde sein Versuch, das „Aufstandsgesetz“ von 1807 anzuwenden, von Mitgliedern seiner eigenen Regierung und der Führung des Pentagon sabotiert, die verfassungsrechtliche Bedenken hegten und professionell handelten. Und im Oktober 2024 sagte er es ausdrücklich in einem Interview auf Fox-TV: „Der Feind von innen ist meiner Meinung nach gefährlicher als China, Russland und all diese Länder.“
Im November 2024 wiedergewählt, verbot Donald Trump Transgender-Personen den Militärdienst. Im Februar ließ er die Spitzenanwälte von Heer, Marine und Luftwaffe entlassen, weil er sie als Bremser seiner politischen Agenda ansah. Er ordnete an, sämtliches Material, das Themen zu “Rasse”, Geschlecht und Diversität behandelt, aus Bibliotheken und der Lehre an Militärakademien zu verbannen und alle Pentagon-Programme zu diesen Themen abzusetzen.
Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit hat der Präsident Fernsehmoderatoren aus rechtsgerichteten Medien und Anhänger der MAGA-Bewegung in sein Kabinett und in wichtige Positionen seines nationalen Sicherheitsstabs berufen: Speichellecker, Schausspieler und Clowns des rechten Zirkus, deren Loyalität und Inkompetenz es ihnen dieses Mal nicht erlauben würden, seine politischen Befehle in bezug auf militärische Angelegenheiten zu unterlaufen.
Er setzte die Ernennung des FOX-TV-Moderators, hyperreligiösen Schürzenjägers und offensichtlichen Trunkenbolds Pete Hegseth zum Verteidigungsminister durch, nachdem selbst sein erster Kandidat für das Amt zu extrem war, um den Ausschuss zu passieren. Und in der Gouverneurin von South Dakota, Kristi Noem, fand er seinen Idealtyp einer Politikerin – Maskengegnerin, Waffenbefürworterin und voller Verehrung für ihren Präsidenten.
Beunruhigend ist nicht nur, dass Trump solch fragwürdige Persönlichkeiten in hohe Ämter berufen konnte, sondern mehr noch, dass sie trotz ihrer blamablen Auftritte vor den Kongressausschüssen von den republikanischer Abgeordneten weiterhin vor Kritik in Schutz genommen werden. Sie mögen zwar ein permanentes Sicherheitsrisiko für die Vereinigten Staaten darstellen, doch das scheint die gewählten Vertreter von „America First“ nicht zu stören.
Manche Beobachter bagatellisieren die Situation in der Hoffnung, viele von Trumps Executive Orders, Maßnahmen oder Ernennungen seien vorwiegend performativer Art oder würden nicht von Dauer sein. Das war schon immer naiv. Doch seit letzter Woche sind solche Entschuldigungen leichtsinnig und gefährlich.
Was also ist in den letzten Tagen zwischen Los Angeles, North Carolina und Washington, D.C. geschehen, das Freunde und Feinde des Trump-Regimes – und selbst seine Verbündeten im Ausland – beunruhigen sollte?
Am 21. Mai drängten Trumps persönlicher Berater Stephen Miller und Heimatschutzministerin Kristi Noem die Leiter der Einwanderungsbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement), täglich 3.000 „illegale Einwanderer“ festzunehmen, um Trumps Wahlversprechen umzusetzen, eine Million von ihnen zurückzuschicken. Dies würde die jährliche Abschiebungsraten unter den Präsidenten Obama und Biden vervierfachen. Was von lokalen ICE-Einheiten im ganzen Land bisher planlos praktiziert wurde, sollte nun koordiniert, intensiviert und - der größeren Wirkung wegen - auf die Großstädte ausgeweitet werden.
Als ICE-Einheiten am ersten Juniwochenende begannen, nicht-weiße Arbeiter vor dem Home Depot Store in Central Los Angeles festzunehmen, kam es zu Protesten der lokalen Latino-Bevölkerung. Andere schlossen sich den Demonstrationen an, die jedoch auf wenige Häuserblocks in der Innenstadt beschränkt blieben. Wo es zu Gewalt kam, handelte es sich allenfalls um ein lokales Scharmützel, das von der nie zimperlichen Polizei von Los Angeles leicht hätte bewältigt werden können.
Da Kalifornien jedoch eine Hochburg der Demokraten ist und Los Angeles – in konservativen Augen – schon immer eine “Stadt der Sünde” war, schickte Verteidigungsminister Peter Hegseth die Nationalgarde und die US-Marines dorthin, mit der Absicht, den demokratischen Gouverneur Gavin Newsom in Verlegenheit zu bringen und durch dramatische Fernsehbilder die Unterstützung der Bevölkerung für Trumps Abschiebeprogramm zu stärken.
Gerichte erklärten den Einsatz der Nationalgarde ohne echten Notfall für illegal. Gouverneur Newsom hielt eine kämpferische Rede, in der er die demokratische Ordnung gegen die Übergriffe der Bundesmacht aus dem Weißen Haus verteidigte – doch ohne Erfolg. Die Bilder lieferten der Regierung genau das, was sie wollte, um die Mehrheit der Bevölkerung für ihr Abschiebeprogramm zu gewinnen. Nicht ohne Erfolg. Die konservativen Medien feierten diese Aktion. Die nationalen Umfragen sind noch nicht eindeutig, aber etwa die Hälfte der Bevölkerung scheint eine strengere Einwanderungspolitik zu befürworten, obwohl Trump bei der Frage des Militäreinsatzes wohl einige Wähler verliert.
Das inszenierte Chaos zeigte auch das Versagen der traditionellen Medien in einem Umfeld, das sich seit den Unruhen in Los Angeles von 1992 oder den landesweiten „Black Rights Matter“-Protesten von 2020 völlig verändert hat. Selbst die Berichterstattung des sonst eher ausgewogenen Kabelsenders CNN vermittelte den Zuschauern den von der Regierung geschürten Eindruck, in Los Angeles die Hölle los. Ein vermummter Jugendlicher, der eine Wasserflasche auf die Polizei wirft, war für die live-Berichterstattung deutlich attraktiver als Tausende, die nur einen halben Kilometer entfernt ungestört ihren Wochenendeinkauf erledigten.
Diese Veränderungen in der Medienlandschaft sind von großer Bedeutung, nicht zuletzt für die Demokratische Partei. Nostalgische Demokraten, die sich einen zweiten Obama wünschen, schreibt Tressie McMillan Cottom in „The Atlantic“, vergessen dabei, „dass dieses Land nicht mehr das gleiche ist”. Sie meint damit das Jahr 2008, zur Zeit des iPhone 3G, in dem mit Twitter gerade ein webbasierter Diskurs entstand und „ein Präsident stark von einer Medienwelt profitierte, in der wir dieselbe Realität teilten“. 2012 begann dann der Wandel vom offenen Internet hin zu einer online-Welt, in der die Algorithmen der großen Technologieunternehmen den Medienkonsum steuerten.
Dies war also schon bei den Protesten von Black Lives Matter der Fall, doch seitdem haben extremistische Influencer die rechte Propaganda in einem stark polarisierten Medienökosystem weiter verstärkt. Und nachdem Elon Musk 2022 Twitter kaufte, verwandelte es sich von einer Diskursplattform in eine Medien-Maschine, die nur noch die Meinung der Menschen wiedergibt und rechtfertigt. Was auch immer diese rechten Influencer sagen und tun, argumentiert McMillan Cottom: „Die wahre Macht liegt bei der Plattform, die diese Popularität verstärkt und sie vor Kritikern schützen kann.“
Der US-Kongress hat es also versäumt, die Neutralität und Professionalität der Streitkräfte zu gewährleisten. Und eine zersplitterte Medienlandschaft kann keine gemeinsame Realität mehr schaffen, weder in Los Angeles noch anderswo. Und das Militär selbst?
Während sich das Spektakel in Los Angeles abspielte, hielt Präsident Trump in Fort Bragg eine sehr parteiische Rede. Er trug seine MAGA-Mütze, griff den Gouverneur von Kalifornien an und verleitete die jungen Rekruten dazu, seiner politischen Agenda zu folgen – d. h., er missachtete alle militärischen Traditionen und die Regeln zivilen Benehmens. Und niemand aus der von ihm ernannten militärischen Führung wagte es, ihrem Oberbefehlshaber die Stirn zu bieten, wie es in einer bedrohten demokratischen Ordnung seine Pflicht gewesen wäre. „Das Schweigen der Generäle“, titelte „The Atlantic“. Allein der Philosophieprofessor Graham Parsons an der West Point-Akademie übte offenen Widerstand, indem er im gleichen Magazin die Gründe für seinen Abschied von der renommierten Militärschule darlegte.
Die Militärparade, die am Samstag, dem 14. Juni, in Washington D.C. folgte, war so nur ein weiterer Akt in einer Woche militarisierter Spektakel. Die Kosten für die Kolonne schweren Panzern durch Straßen von Washington D.C. waren enorm, der Marsch der Soldaten grauenhaft, die Menschenmenge enttäuschend; und Donald Trump schlief beim Zuschauen von der Ehrentribüne fast ein. Doch endlich hatte „sein Militär“ nach seiner politischen Pfeife tanzen lassen.
Vieles, was in dieser Woche geschah, war als Rache für seine gescheiterten Vorhaben während seiner ersten Präsidentschaft gedacht: das Nichtzustandekommen einer Militärparade 2020, der ihm nicht erlaubte Truppeneinsatz während der „Black Lives Matter“-Proteste, sein gebrochenes Versprechen, Einwanderer aller Art abzuschieben.
Rückblickend dürfte dies die Woche gewesen sein, in der Donald Trump’s Show als starker Mann politische Wirklichkeit wurde, wie Susan Glasser im New Yorker schreibt. Und in der er das Militär gegen den “inneren Feind” richtete und damit „die nationale Sicherheit neu definierte“.
Die Militärparade am Samstag in Washington geriet mit weniger als 200.000 Teilnehmern zum Flop, während die am gleichen Tag stattfindenden „No Kings“-Proteste von Millionen Menschen im ganzen Land für die Opposition ermutigend waren. Doch das amerikanische Militär bleibt in den Händen einer durchgeknallten politischen Führung, mit Generälen, die in die Vorgefechte eines Bürgerkriegs schlafwandeln, der online bereits ausgetragen wird.
Leaving America
“Leaving America” ist der letzte blog post über meine Reise durch “Amerikas Hinterland” im April und Mai 2025. Es war eine Reise in meine persönliche Vergangenheit und die Gegenwart des Landes, und ich hoffe, dass es Euch gefallen hat, mich auf der ganzen Strecke oder auf einzelnen Etappen zu begleiten.
Ich plane, diesen Amerika Blog in unregelmäßigen Abständen mit Kolumnen, Analysen und Kommentaren von Europa aus weiterzuführen. Und ich würde mich freuen, wenn Ihr Euer Abonnement des Newsletter beibehalten würdet, der Euch über den jeweils nächsten Post von “what happened to America and why?” informieren wird.
Danke, und bis dann
Rolf Paasch
Ich verlasse Amerika mit schwerem Herzen. Es ist nicht mehr das Land, das ich zu kennen glaubte. Es ist, als hätten die Verrückten, die man immer in den Nischen dieses weitläufigen Landes finden konnte, die Zügel übernommen. Es ist ein Ort, an dem die Angst wächst und Empathie schwindet. Wo Wahrheit und Lüge nicht mehr zu unterscheiden sind, wo Extremismus zur Normalität geworden ist und Grausamkeit als Preis für politischen Wandel akzeptiert wird.
Wo sich Nachbarn früher über den Gartenzaun und über die politische Kluft hinweg unterhielten, herrscht jetzt betretenes Schweigen. Noch nie habe ich so viele Amerikaner getroffen, die nicht mehr reden wollten - aus Angst oder aus Scham: die Bundesangestellten in Washington, die plötzlich entlassen wurden, aber immer noch auf ihre Wiedereinstellung hofften; die medizinischen Forscher, deren Programme gekürzt wurden und deswegen besser nichts sagen sollten; Akademiker, die einfach nicht auf meine Interviewanfrage reagierten; die mexikanischen Einwanderer, die ihren Kindern beim Spielen auf einem Baseballfeld in Georgia zusahen und lieber schwiegen; oder die ausländischen Studenten auf einem Campus in Mississippi, die Angst vor der Abschiebung hatten. Andere wiederum schämten sich, einem Ausländer erklären zu müssen, was in ihrem Land vor sich geht.
Die Mitarbeiter von Amerikas großen Institutionen, die aus einer Zeit stammen, in der Gemeinsinn noch etwas galt, leben in Angst vor drohenden Kürzungen ihrer Fördergelder: Bibliothekare, Park Rangers, Journalisten des National Public Radio und der Public Broadcasting Corporation sorgen sich um ihre Zukunft und die ihrer Institution.
Die Angst ist überall spürbar. Manche fürchten die Verbrecherhorden die angeblich aus Lateinamerika kommend die Grenze nach Texas und Kalifornien überqueren. Andere fühlen sich unwohl, wenn haitianische Einwanderer die verlassenen Läden im Zentrum einer verfallender Industriestadt in Pennsylvania wieder eröffnen. Eltern sorgen sich, dass ihre Kinder in der Schule oder Universität durch linke oder „woke“ Propaganda „indoktriniert“ werden.
Für mich war dies ein Amerika, das sich stark verändert hatte. Der Patriotismus, der früher arrogant oder großzügig daher kam, hat einem engstirnigen und aggressiven Nationalismus Platz gemacht. Der Traum vom sozialen Aufstieg ist der Angst vor dem Abstieg gewichen. Mitglieder der schwindenden weißen Mehrheit sehen die Welt als Nullsummenspiel: wo sie verlieren, so glauben sie, müssen “die Anderen” gewinnen.
Trumps Amerika ist hin- und hergerissen zwischen Industrie-Nostalgie und der Angst vor Künstlicher Intelligenz. Im Rust Belt und in West Virginia sprach ich mit ehemaligen Industriearbeitern, die von einer Rückkehr zur Kohle träumten, während die Karriere ihrer Kinder durch KI bedroht wird. In Washington wiederum haben Politiker beider Parteien nicht die geringste Ahnung, wie sie mit der nächsten technologischen Revolution umgehen sollen.
Mehr als einmal fühlte ich mich wie der „Onkel aus Europa“, wenn ich auf die negativen Nebenwirkungen der Politik hinwies, für die meine Gesprächspartner gestimmt hatten. Sie reagierten gleichgültig, als hätten sie sich aus einem Leben, das auf Details und Fakten basiert, verabschiedet. Große und bedrohliche Themen wie “Klima” und “Kapitalismus” schienen Tabu zu sein. Ein Freund nannte diesen Zustand „vorsätzliche Ignoranz“.
Meine Reise war geprägt von der Diskrepanz zwischen den dystopischen Urteilen der liberalen Kommentatoren, die ich am Abend las, und der seligen Ignoranz der Konservativen, denen ich tagsüber begegnete. Wo bekannte Ökonomen und angesehene Kolumnisten regelmäßig den Zusammenbruch der Börse oder der internationalen Ordnung vorhersagten, zuckten die meisten Bewohner des ländlichen middle America nur mit den Schultern und sahen die Probleme ganz anders gelagert. Vielleicht waren sie einfach klug genug, all die unerhörten Äußerungen Donald Trumps zu ignorieren, die Intellektuelle und Demokraten so verstören, weil sie jedes Wort auf die Goldwaage legen.
Für die Wähler Donald Trumps spielten Widersprüche keine Rolle, denn der Stolz, an der Wahlurne ein drastisches Statement abgegeben zu haben, schien ihnen mehr wert zu sein als das spätere Leid. Manche sprechen sich lieber für die Kürzung von Medicaid-Leistungen aus als für die Verbesserung ihrer Zahnhygiene; aus Stolz, nicht von staatlichen Zuwendungen abhängig zu sein, solange diese auch anderen verwehrt bleiben. Manchmal fiel es mir schwer, der emotionalen Logik von Trump-Anhängern zu folgen. Es war, als wollten sie sich selbst verletzen.
Wie schon immer hilft Religion den Menschen, Herausforderungen zu meistern und Widersprüche zu entschärfen, indem sie Logik durch Glauben ersetzt. Wenn ich den Vertretern der christlichen Rechten in Washington und den weißen Christen in den Kirchen des amerikanischen Südens zuhörte, faszinierte mich, wie sie ihr wörtliches Verständnis der Bibel mit der flexiblen politischen Anwendung ihres Glaubens in Einklang brachten.
Für ultrakonservative Republikaner im Kongress bietet Religion oft den letzten Zufluchtsort. Wenn ihnen in Kongressanhörungen oder Fernsehinterviews die Antworten und Argumente ausgehen, greifen diese gläubigen Verteidiger der Trump-Administration auf die Bibel und Gottes Willen zurück. Und auch die christlichen Wähler, die ich auf meinem Weg traf, instrumentalisierten gerne ihren Glauben, um der Realität mit ihren lästigen Widersprüchen zu entfliehen. So wurden Trumps religiösen Verfehlungen, die ihn eigentlich in ihre Version der Hölle verbannen müssten, als Taten eines Sünders entschuldigt, der bald das Licht sehen werde.
Sprache ist zum Reizthema geworden. Für Konservative war schon der vorgeschlagene Gebrauch eines Gender-Pronomens ein Wort zu viel, das sie ins Lager rechter Kulturkämpfer führte. Für Liberale war der konservative Gegenangriff auf die „woke“ Sprache ein weiterer Schritt auf dem Weg zum Faschismus.
Auf X folgte ich den Trollen der MAGA-Bewegung, die vor „fremden Eindringlingen“, dem „tiefen Staat“ oder der Verweiblichung von Männern warnten und nationalistische Lösungen und Rache anboten. In der Main Street begegnete ich Bürgern, die der Politik einfach überdrüssig waren, ob sie nun Trump gewählt hatten oder nicht. „Die Zone mit Scheiße überfluten“, wie MAGA-Unternehmer Steve Bannon die Medienstrategie der Ultrarechten zur Machtübernahme nannte, hat offensichtlich funktioniert. Sie hat die konservativen Extremisten ermutigt und den Rest entpolitisiert.
Was ich von den Leuten hörte, war oft nur eine billige Kopie der vorgefertigten Phrasen, die vom rechten Fox TV oder vom linken Sender MSNBC bis zum Überdruss wiederholt wurden – starke Meinungen, die auf Ängsten oder Wunschdenken basierten. „Es musste was geschehen“ – „Die Demokraten haben das ganze Geld weggegeben“ – „Die Grenzen müssen geschlossen werden“ – „Zölle werden Amerika wieder groß machen“. Auf der anderen Seite hörte von Liberalen, wie sie Trump auch für alles verantwortlich machten, was die Demokraten nicht geschafft hatten; zum Beispiel Joe Biden rechtzeitig loszuwerden.
Ich war mit der Illusion nach Amerika aufgebrochen, ich könnte Menschen Fragen zu ihrem Leben stellen und dann verstehen, warum sie so und nicht anders handelten. Doch oft drehten sie meine Frage, was mit ihnen und ihrem Land passiert sei, um: „Sag Du es mir doch“, antworteten sie. Aus ihrer Weigerung, selbst darüber nachzudenken, sprach eine gewisse Orientierungslosigkeit.
Als ich die Menschen fragte, wie sie sich fühlten, lautete die häufigste Antwort: „Überwältigt“. Viele Bewohner des Hinterlandes sind überwältigt von ihrem Gewicht, der schieren Masse und dem prekären Zustand ihrer Körper, von der sichtbarsten Gesundheitskrise jenseits von Opioiden und Einsamkeit.
Überall begegneten mir Zeichen von Sucht und Abhängigkeit, die einem von Supermarktregalen, Restaurantmenüs, Diätprogrammen und Fernsehspots entgegenschreien und sofortige Linderung versprechen, sei es durch Pillen, Prediger oder eine rechte Politik, die Stolz predigt und Strafe verhängt, Grausamkeit mit Erlösung verbindet und Versprechen mit Fantasien vermischt. Manchmal kam ich mir vor wie auf einer Reise durch ein Land am Tropf von Drogen und politischen Fantasien.
Wenn es ein Buch gibt, das mir geholfen hat, einige der Phänomene zu verstehen, denen ich auf meiner Reise begegnet bin, dann ist es „Fantasyland“ von Kurt Anderson. Geschrieben während des Wahlkampfs von 2016, erklärt es Amerikas Neigung zum magischen Denken, von den protestantischen Anfängen bis zum heutigen „Fantasie-Industriekomplex“ mit Donald Trump als dessen „Apotheose“ – einem ehemaligen Reality-Star, der seinen Anhängern alles verspricht und für nichts haftet.
Anderson führt den Leser durch ein Amerika, „das von wahren Gläubigen und leidenschaftlichen Träumern, von Scharlatanen und ihren Opfern geschaffen wurde – und das uns im Laufe von vier Jahrhunderten für Fantasien empfänglich gemacht hat…“ Er zeichnet diese Geschichte der Fantasie nach, von den Hexenprozessen von Salem bis zum Schausteller und Zirkusveranstalter P.T. Barnum, von Hollywood bis zur Scientology, von Walt Disney bis Billy Graham, von Ronald Reagan bis Donald Trump.
Andersons Zusammenfassung: „Mische epischen Individualismus mit extremer Religion; verrühre Showbusiness mit allem anderen; lass das alles ein paar Jahrhunderte lang köcheln und ziehen; gieße das alles durch die 1960er Jahre, in denen alles erlaubt war, und durch das Internetzeitalter; das Ergebnis ist das Amerika, in dem wir heute leben, wo Realität und Fantasie auf seltsame und gefährliche Weise verschwimmen und miteinander vermischt sind.“
Dies entsprach der Welt, durch die ich reiste: in der die Polarisierung der Religion zur Polarisierung der Politik geführt hatte, in der die Grand Old Party zu einem Bund weißer Christen mutiert ist; in der meine Gesprächspartner „mit ihren Kirchen abstimmten“ und Master-Studenten Online-Influencer entscheiden lassen, welche Nachrichten sie glauben und welche nicht. Eine Welt, in der selbst eine Politik voller Anspielungen und Hass zur Unterhaltung verkommen ist.
Und die Demokraten, was ist mit ihnen passiert? Sie sind schockiert und tief verunsichert. Über die Jahre hatten sie die Arbeiterklasse verloren, weil sie grundlegende Alltagsthemen ignorierten, wie ich auf Fahrten durch den Rust Belt zu hören bekam. Mit ihrer Identitätspolitik, so erzählten mir gemäßigte Parteigänger, kappten die Demokraten den Bezug zum Leben und den Nöten der Wähler zwischen den urbanen Küstenstreifen und bemerkten nicht einmal, in welchem Ausmaß sie zur Partei der Eliten geworden waren.
Die Demokratische Partei missverstand Obamas Präsidentschaften als Sieg des Fortschritts. Das war richtig und falsch zugleich. Ich sprach mit weißen Wählern, für die Obama der Präsident war, für den das Land noch nicht bereit war. Für sie “war es einfach zu früh für einen Schwarzen im Weißen Haus“. Und ich sprach mit schwarzen Wählern, für die Obama nicht der Führer war, der er hätte sein können. Weil er regiert habe “wie jeder andere weiße Präsident”. Ohne das Thema race und die Siege Barack Obamas, da waren sich viele einig, wäre Trump nie Präsident geworden. Zuerst hielten die Demokraten die erste Trump-Präsidentschaft für einen Ausrutscher. Und indem sie Joe Biden nicht zum Rücktritt aufforderten, als es an der Zeit war, machten sie stattdessen dessen Präsidentschaft zu einem Zwischenspiel.
Bis zu ihrer Niederlage im November 2024 verstanden die Demokraten nicht das Ausmaß der kulturellen Entfremdung in Teilen der Wählerschaft, wie sehr ihre moralische Rechtschaffenheit in Fragen der Identität viele Bürger außerhalb der Großstädte verärgerte, wie sogenannte „Wokeness“ als Bedrohung für die eigenen Lebensverhältnisse wahrgenommen wurde. Selbst viele konservative Amerikaner hatten die Homo-Ehe und andere Gesetzesänderungen in Geschlechterfragen akzeptiert. Doch als es um die Einführung von Pronomen in die offiziellen Kommunikation oder um die Teilnahme transsexueller Athlethen an den Sportveranstaltungen ihrer Töchter ging, verwandelte sich die zögerliche Akzeptanz des „Anderen“ in eine wütende Gegenreaktion und eine defensive Rückkehr in eine binäre Welt.
Heute ist die Demokratische Partei entlang der Altersgrenze tief gespalten. Jeder Demokrat unter 35, den ich traf, plädierte für einen Linksruck und die Unterstützung einer progressiven jungen Führungspersönlichkeit wie Alexandria Octavio-Cortez (AOC), der klugen, eloquenten Kongressabgeordneten aus New York, die im April mit ihrer „Anti-Oligarchie-Kampagne“ links-liberale Massen anzog. Demokraten mittleren und höheren Alters argumentieren hingegen immer noch, dass es einen Gemäßigten wie Joe Biden braucht, um die nächste Wahl zu gewinnen. Nur jünger müsste er sein. Jenseits dieser Kluft gibt es keine Vision, eine solide Mehrheit der Bevölkerung zurückzugewinnen.
Ich sprach mit engagierten Demokraten, die in ihrer Stadt gegen die Politik Trumps marschierten oder mit Plakaten gegen die ultrarechte Abgeordnete in ihrem Wahlkreis protestierten. Aber ich traf keinen einzigen Parteiorganisator oder Aktivisten, der eine überzeugende Strategie darlegen konnte, um die Arbeiterklasse, unabhängige Wähler oder gar registrierte Republikaner zurückzugewinnen. Es fehlt ein demokratischer Populismus, der die politische Lage grundsätzlich verändern könnte. Kein einziger Trump-Wähler mit dem ich sprach würde für die Demokraten stimmen, sollte Trump mit seiner umstrittenen Politik scheitern. So groß ist die Abneigung gegen die Demokraten im konservativen Amerika.
Und doch: Es gibt Hoffnung für die Zwischenwahlen, wenn die Demokraten bessere Kandidaten finden, professionellere Kampagnen führen und genug Republikaner der Abstimmung fernbleiben. Wenn Trumps Zölle die Inflation weiter anheizen, seine Einwanderungspolitik fehlschlägt und der Machtkampf zwischen Tech-Oligarchie und MAGA-Bewegung eskaliert, könnten die Demokraten eine oder sogar beide Kammern des Kongresses zurückgewinnen. Viel wird davon abhängen, welchen politischen Weg die republikanischen Senatoren und Kongressabgeordneten vor den midterm elections einschlagen.
Aber selbst wenn die Demokraten im November 2026 den Senat oder das Repräsentantenhaus zurückerobern, wäre bereits erheblicher institutioneller und psychologischer Schaden angerichtet. Sie werden in einem Land agieren müssen, das eine schmerzhafte Rückkehr zur Realität durchläuft, in dem viele juristische Leitplanken abgebaut wurden und der Mangel an Empathie Teil des virtuellen wie realen Lebens geworden ist.
„Was ist mit Amerika passiert und warum?“, war die Frage, auf die ich Antworten suchte. Es gab viele Erklärungen, aber eine typische Reaktion meiner Gesprächspartner beschreibt die Situation besser als manche Analyse: „Wir wissen es nicht, aber irgendetwas musste geschehen!“ Dieses „Etwas“ erschien in Gestalt des geübten Blenders Donald Trump. Es war ein historischer Zufall, dass eine Bevölkerung, die ihren sozialen Abstieg und Statusverlust beklagte, auf Amerikas talentiertesten Scharlatan traf, der seinen grotesken Narzissmus in der internetgetriebenen Welt politischer Fantasien auslebte.
Die Hälfte der Amerikaner war bereit, sich von dem ehemaligen Reality-Star täuschen zu lassen, der mit rebellischer Begeisterung das Blaue vom Himmel versprach. Wussten seine Wähler, dass seine Versprechungen nicht ernst gemeint, sondern nur Schein waren? Nun, es spielte keine Rolle. Für Trump zu stimmen war wie ein Besuch beim American Wrestling: Man weiß, dass der Kampf nicht echt ist, genießt aber das Gut-gegen-Böse-Szenario der dargebotene Gewalt. Die Frage bleibt: Was passiert, wenn die Show vorbei ist?
Wie sieht das Szenario einer Rückkehr zur Realität aus? Die Trump-Administration dürfte sich früher oder später selbst zerstören - durch Inkompetenz, Korruption und interne Widersprüche. Erste Anzeichen waren zu beobachten, als die Clowns seines Kabinetts vor Kongressausschüssen auftauchten, als die Familie Trump damit begann, sich in der Kryptosphäre zu bedienen. Sie verdichten sich mit den zunehmenden Interessenkonflikten zwischen den Tech-Oligarchen und der MAGA-Bewegung.
Doch Donald Trump bleibt immer das Thema “Immigration”, um die Leidenschaften seiner Basis zu mobilisieren und die Sympathien einer beträchtliche Anzahl von Wählern zu gewinnen. Letztere mögen nicht unbedingt seine gesamte Politik gutheißen, aber den Präsidenten darin unterstützten, ihr Land gegen das zu verteidigen, was seine Regierung dann als als “Rebellion” und “inneren Feind” brandmarken wird.
Hinter diesen Szenarien verbirgt sich die entscheidende Frage, die nicht nur die USA betrifft: Was passiert, wenn Rechtspopulisten in einem politischen System scheitern, in dem die Rechtsstaatlichkeit geschwächt, die Öffentlichkeit zu einer „Informationsoligarchie“ verkommen und die Unterscheidung zwischen Wahrheit und Lüge völlig ausgehöhlt ist? Gibt es dann noch einen Weg zurück zur liberalen Demokratie? Oder kann das Chaos eines populistischen Scheiterns nur mit neuen - möglicherweise faschistischen - Illusionen gefüllt werden?
Auf meiner 4,500 Kilometer langen Reise durch das amerikanische Hinterland, in dem eine große Mehrheit für Donald Trump gestimmt hat, traf ich viele Menschen, die von Ängsten und Illusionen getrieben waren, nicht wenige mit Sympathien für einen starken Mann, aber niemanden, der sich wirklich ein autokratisches System wünschte.
Von Akademikern und Journalisten, die lieber schweigen
Sie haben sicher von der mutigen Harvard University gehört, die Präsident Trumps Versuch widersteht, die akademische Freiheit einzuschränken, die Amerika einst auszeichnete. Und Sie haben sicher von der feigen Columbia University gelesen, die seinen Zensurbefehlen nachgab. Aber Sie wissen vielleicht nicht, welche Auswirkungen der von der Trump-Administration ausgerufene Krieg gegen „wokeness“ an Universitäten, in öffentliche Bibliotheken und lokale Medien hat, dort, wo es nicht ums große Geld geht, kaum einer hinschaut und Widerstand schwierig wird; das heißt in den amerikanischen Kleinstädten, wo die Agenten der Einwanderungsbehörde (ICE) die örtliche Universität oder die Treffpunkte von Einwanderern besuchen, wo niemand weiß, was da genau passiert und Gerüchte die Runde machen. Hier soll es um die Leute gehen, die sich auf meiner Reise durch das „flyover country“ der Nachfrage entzogen, und um meine Spekulationen darüber, was sie dazu bewogen hat, meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachzukommen.
Sie haben sicher von der mutigen Harvard University gehört, die Präsident Trumps Versuch widersteht, die akademische Freiheit einzuschränken, die Amerika einst auszeichnete. Und Sie haben sicher von der feigen Columbia University gelesen, die seinen Zensurbefehlen nachgab. Aber Sie wissen vielleicht nicht, welche Auswirkungen der von der Trump-Administration ausgerufene Krieg gegen „wokeness“ an Universitäten, in öffentliche Bibliotheken und lokale Medien hat, dort, wo es nicht ums große Geld geht, kaum einer hinschaut und Widerstand schwierig wird; das heißt in den amerikanischen Kleinstädten, wo die Agenten der Einwanderungsbehörde (ICE) die örtliche Universität oder die Treffpunkte von Einwanderern besuchen, wo niemand weiß, was da genau passiert und Gerüchte die Runde machen. Hier soll es um die Leute gehen, die sich auf meiner Reise durch das „flyover country“ der Nachfrage entzogen, und um meine Spekulationen darüber, was sie dazu bewogen hat, meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachzukommen.
Ich hatte – nennen wir sie Anna – vor einigen Jahren bei meiner Arbeit in Ostafrika kennengelernt. Sie war eine junge, intelligente Masterstudentin der Psychologie an einer der besten afrikanischen Universitäten und hatte das Zeug dazu, weit zu kommen. Als ich hörte, dass sie an einer Universität im Bundesstaat Mississippi promovierte, rief ich sie an, um mich mit ihr zu treffen. Doch Annas erste Reaktion auf meine Anfrage war ungewöhnlich zurückhaltend. Sie müsse sich das noch überlegen und ihre Kommilitonen und Dozenten fragen, ob sie denn mit mir sprechen wollten. Wollten Sie nicht! Und Anna traute sich nicht einmal, unseren Austausch per WhatsApp fortzusetzen.
Es stellte sich heraus, dass Annas Universität Studierenden geraten hatte, das Land nicht zu verlassen, da sie möglicherweise nicht zurückkehren könnten; sie sollten nicht mit Journalisten oder Außenstehenden sprechen, da dies sie und die Institution in Schwierigkeiten bringen könnte. Zu wichtigen Themen tauschten sich die Studierenden untereinander nicht mehr über soziale Medien aus, sondern nur noch von Person zu Person, da sie gehört hatten, dass „Spione“ auf dem Campus seien, die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement) informierten, um sie abschieben zu lassen.
Anna ist nur eine von 1,1 Millionen ausländischen Studierenden, die heute in den USA eingeschrieben sind. Laut „The Atlantic“ trugen sie im vergangenen akademischen Jahr 44 Milliarden Dollar zur US-Wirtschaft bei und sichern 378.000 Arbeitsplätze. Doch die aktuelle Angst auf dem Campus vor Abschiebungen geht nicht zuletzt auf die vergangenen Äußerungen des heutigen Vize-Präsidenten JD Vance zurück, der Universitäten 2021 zu „feindselige Institutionen“ erklärt hatte, die „aggressiv angegriffen“ werden müssten.
Annas Befürchtungen mögen teilweise auf Gerüchten beruhen, doch sie erfüllten ihren Zweck, Studierende und Lehrende zum Schweigen und zur Unterwerfung zu zwingen. Wie erfolgreich diese Einschüchterungen waren, stellte ich fest, als ich Professoren und Dozenten der Sozialwissenschaften kontaktierte, um mit ihnen über Geschichte, Politik, Religion und Donald Trumps Bildungsmaßnahmen zu sprechen. Niemand antwortete auf meine Anfragen, nicht einmal eine Begründung, man sei zu beschäftigt, kam zurück.
Als ich Anfang der 90er Jahre über die Vereinigten Staaten berichtete, lehnte niemand die Interviewanfrage eines deutschen Korrespondenten ab. Alle wollten mit mir sprechen und dem Ausländer stolz ihr Land erklären. Als ich damals durch das Hinterland reiste, war Europa für die meisten Menschen zwar weit weg, doch sie stellten dennoch Fragen über die Welt da draußen, sei es über den Fall der Mauer oder die Krise im Nahen Osten. Damals grassierte die Befürchtung, Japan würde das Land mit billigeren Computern und besseren Autos überschwemmen, doch dies trübte weder das innenpolitische Urteil der Bürger noch belastete es die internationalen Beziehungen.
Im Frühjahr 2025 war dies anders. Trump-Wähler erklärten mir immer wieder, warum drastische Maßnahmen nötig seien, um Amerika wieder zu alter Größe zu führen und China entgegenzutreten. Dagegen schienen viele Journalisten und Akademiker mit ihren Meinungen zu den Ereignissen in Amerika in den Untergrund gegangen zu sein.
Da war der Herausgeber einer Zeitung aus West Virginia, der weder ans Telefon ging noch auf E-Mails antwortete. Dasselbe galt für den Religionskorrespondenten einer Zeitung in Nashville oder den Kolumnisten einer Lokalzeitung in Georgia. Da war der Schuldirektor, der eloquent über die Nachteile des Heimunterrichts schrieb, aber mir zur Schulpolitik keine Auskunft geben wollte.
Da waren die Bibliothekare in Amerikas wunderbarem und gut ausgestattetem System öffentlicher Bibliotheken, die sich aus sehr verständlichen Gründen entschuldigten, manche von ihnen mutiger als andere.
Natürlich traf ich auch liberale Angehörige der professional classes, die mir in privaten Gesprächen ihr Herz öffneten – geprägt von Verzweiflung oder offener Feindseligkeit gegenüber Donald Trump und seinen Anhängern. „Was“, sagte ein Freund in Washington D.C. zu mir, „du fährst nach Dummfuckistan“, als er von meiner geplanten Route durchs Hinterland hörte. Er hatte versucht, Trumps Erstwähler 2016 zu entschuldigen, aber für diejenigen, die 2024 erneut für ihn stimmten, konnte er nur „tiefe Abscheu“ empfinden. „Ich bin verdammt wütend, dass Trump seit zehn Jahren mein Leben dominiert“, so ein anderer frustrierter Freund in Atlanta. Aber das waren Leute im Ruhestand, die ihre Meinung und ihren Ärger frei äußern konnten, ohne Vergeltungsmaßnahmen fürchten zu müssen.
Und dann gab es da noch die Akademiker an den „feindlichen Institutionen“, die linken Verwalter von „Wokeness“- und DEI-Programmen an Universitäten, wie die Republikaner sie beschreiben würden. Sie wollten partout nicht mit mir reden. Ich konnte sie anrufen, ihnen E-Mails schicken oder sie sie auf den Fluren ihrer Fakultäten der Geschichts- oder Sozialwissenschaft zur Rede stellen. Sie hatten keine Zeit, zeigten kein Interesse oder taten so, als hätten sie keine Ahnung, als ich ihnen direkte Fragen zu Kultur und Politik stellte.
Nach dem Studium der Biografien von Professoren und Doktoren an einigen Universitäten in den Südstaaten konnte ich ansatzweise die Argumentation konservativer Kritiker nachvollziehen, dass eine zufällige Expertise zu Randthemen traditionellere akademische Schwerpunkte verdrängt habe. Es war tatsächlich schwierig, einen Experten für meine eher bodenständigen Fragen zu finden – nicht zum Buddhismus in Bhutan, sondern zur Politik des amerikanischen Südens –, der dann meine Anfrage ohnehin nicht beantworten würde.
Da ich die verstummten Akademiker nicht nach den Gründen für ihr Schweigen fragen konnte, muss ich über die Gründe spekulieren. War es die Angst davor, Ärger mit der ebenso verschreckten Leitung ihrer Universität zu bekommen? Oder die Scham liberaler Demokraten, ihr Heimatland nicht mehr zu verstehen, geschweige denn erklären zu können? Ist das akademische Leben etwa so hektisch und herausfordernd geworden, dass keine Zeit mehr dazu bleibt, neugierige Besucher zu treffen?
Oder ist es der Schock darüber, dass die älteste moderne Demokratie plötzlich ein Orwells‘sches Szenario durchlebt? Sind diese Akademiker damit beschäftigt, „1984“ noch einmal zu lesen und sich dabei vorzustellen, sie wären nicht mehr in Tennessee oder Mississippi, sondern in „Ozeanien“ tätig; und sich zu überlegen, was sie in der Rolle des Protagonisten Winston Smith tun sollen?
Ich weiß es nicht, und ich frage mich, ob sie es genau wissen. Am Ende habe ich das Schweigen, der Leute, die mich nicht treffen wollten, als Warnung verstanden. Denn angesichts der Angst in Amerika heute sollten wir nicht ausschließen, dass sich ein ähnliches Szenario nicht morgen auch wieder in Europa entfalten könnte. Wären unsere Akademiker und Journalisten dann mutiger? Vielleicht sollten wir Europäer jetzt Sinclair Lewis’ dystopischen Roman „It can’t happen here“ lesen, in dem der Autor seine Landsleute Mitte der 30er Jahre vor der Nachahmung der europäischen Faschismen warnte.
“Race”, Grausamkeit und das Ende der Scham
Ehe ich am 12. April zu meiner Reise durch das amerikanische Hinterland aufbrach, saß ich mit Ron und Nick in ihrem Wohnzimmer in Washington, D.C. zusammen, um über Rassismus und Grausamkeit zu sprechen. Ron ist Professor für Psychologie und Theologie. Nick, ist Brite und blickt auf eine lange Karriere in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zurück. Er hat viel von der Welt gesehen. Wir sprachen über den Zusammenhang zwischen Christentum und amerikanischer Psyche und über die unterschiedlichen amerikanischen und europäischen Erfahrungen in Bezug auf eine Reihe kultureller Themen. Unsere Unterhaltung berührte viele Themen, zu denen sich später auch die Menschen äußerten, die ich auf meiner Reise traf; Themen deren Bedeutung mir erst klar wurde, als ich spät abends im Hotelzimmer durch die Fernsehkanäle zappte. Vielleicht lohnt es sich deswegen, die eher akademischen Analysen meiner Washingtoner Freunde über Trumps Amerika mit den persönlichen Begegnungen auf meinem fünfwöchigen Roadtrip über 4.500 Kilometer zu vergleichen.
Ehe ich am 12. April zu meiner Reise durch das amerikanische Hinterland aufbrach, saß ich mit Ron und Nick in ihrem Wohnzimmer in Washington, D.C. zusammen, um über Rassismus und Grausamkeit zu sprechen. Ron ist Professor für Psychologie und Theologie. Nick, ist Brite und blickt auf eine lange Karriere in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit zurück. Er hat viel von der Welt gesehen. Wir sprachen über den Zusammenhang zwischen Christentum und amerikanischer Psyche und über die unterschiedlichen amerikanischen und europäischen Erfahrungen in Bezug auf eine Reihe kultureller Themen. Unsere Unterhaltung berührte viele Themen, zu denen sich später auch die Menschen äußerten, die ich auf meiner Reise traf; Themen deren Bedeutung mir erst klar wurde, als ich spät abends im Hotelzimmer durch die Fernsehkanäle zappte. Vielleicht lohnt es sich deswegen, die eher akademischen Analysen meiner Washingtoner Freunde über Trumps Amerika mit den persönlichen Begegnungen auf meinem fünfwöchigen Roadtrip über 4.500 Kilometer zu vergleichen.
Am Anfang der amerikanischen Erfahrung standen Grausamkeit und Rassismus. „In Europa“, sagt Nick, „konnten wir beides durch unseren Umgang mit dem Kolonialismus exportieren – wir wussten, was geschah, mussten es aber nicht sehen. Aber hier in den USA mussten sie damit leben. Uns Europäern hat es ein Erbe von Frömmelei und Heuchelei hinterlassen, den Amerikanern eine erstaunliche Toleranz, vielleicht sogar Begeisterung für Grausamkeit.“ In der frontier society war Grausamkeit weit verbreitet, sie war der Treibstoff einer expandierenden Nation. Und Rassismus war Amerikas „Nationale Sünde“, wie Abraham Lincoln es ausdrückte, er war „tief verwurzelt Psyche und Tradition unserer Nation“, um Martin Luther King zu zitieren. Und heute, sagt Nick, „ist „race“ das Bindemittel zwischen allen Faktoren, die Donald Trump an die Macht gebracht haben“.
Als schwarzer Psychologe kann Ron die zentralen politischen Botschaften aufzählen, welche die konservative Neuausrichtung über mehr als ein halbes Jahrhundert geprägt haben. Richard Nixons Law-and-Order-Kampagne von 1968 war ein Gegenmittel zu den Antikriegsprotesten und Unruhen nach der Ermordung von Dr. Martin Luther King Jr. Angespornt durch die politische Rhetorik der Republikanischen Partei betrachteten Konservative Lyndon B. Johnsons „Great Society“ zunehmend als Versorgungsleistung für die Schwarzen.
Doch das gezielte messaging begann mit Ronald Reagan, der seinen Wahlkampf 1982 in Philadelphia, Mississippi, begann, wo nur 18 Jahre zuvor drei Bürgerrechtler ermordet worden waren. Später bediente er sich des Rassenthemas, indem er von schwarzen „Wohlfahrtsköniginnen“ sprach. Präsident Bush folgte 1988 mit seinem berüchtigten und den Wahlkampf entscheidenden „Willy Horton-Werbespot“, der mit der Angst der Weißen vor schwarzer Kriminalität spielte. 1992 kopierte der demokratische Kandidat Bill Clinton diese erfolgreiche Wahlkampfstrategie mit seinem „Sister Souljah“-Kommentar und positionierte sich als Mann der Mitte, indem er sich von den umstrittenen Äußerungen einer schwarzen Rapperin distanzierte.
Für Ron zeigte dieses „Schüren rassistischer Vorurteile“ lediglich, wie fragil die Errungenschaften der Bürgerrechtsbewegung in Wirklichkeit waren. Diese hätten „nur das schlechte Gewissen weißer Amerikaner beruhigt und als Mechanismus der Verleugnung fungiert“. Damit wurde nur die Illusion aufrechterhalten, die Gleichheit aller sei mit der Bürgerrechtsgesetzgebung schon erreicht. Der Widerstand gegen Bürgerrechtsgesetze wuchs mit dem Aufkommen der Tea Party im Jahr 2008. Die Suche nach Sündenböcken nahm zu, „um die grotesken Ungleichheiten nach der Finanzkrise“ zu vertuschen. Mit seiner „Erlaubnis, wieder brutal zu sein“, sieht Ron Donald Trump „nicht als Ausnahmeerscheinung, sondern als Symbol für die fortschreitende „Desensibilisierung unserer Kultur“.
Und als Pfarrer einer liberalen Kirche hat Ron den parallelen Rechtsruck weißer Kirchen beobachtet, vom Fundamentalismus Jerry Fallwell‘s in den 80er Jahren bis hin zu den 89 % der Evangelikalen, die heute für Trump stimmen. Sein Urteil über diese Wähler ist hart und eindeutig: „Sie sind in erster Linie Fanatiker und erst in zweiter Linie Christen. Für sie ist die weiße Vorherrschaft wichtiger als der christliche Glaube.“ In diesen Erweckungs-Kirchen erkennt der ausgebildete Psychologe „moralische Verletzungen“, „ein verkrüppeltes Gewissen“, „einen Mangel an Empathie“ und „Erniedrigung durch ihr Bekenntnis zu Verleugnung, Verschleierung und der Suche nach einem Sündenbock“. In dieser rechtsgerichteten Version des Christentums, so fügt Ron hinzu, „ist der gesellschaftlich Andere zum Sünder geworden, der seine Strafe verdient“.
Für beide Freunde sind die politischen Auswirkungen des beschleunigten politisch-religiösen Rechtsrucks deutlich sichtbar, und sie empfinden den daraus resultierenden gesellschaftlichen Schaden als zutiefst beunruhigend. In der Welt der alternativen US-Medien erscheine Europa als ein „moralisch verkommenes Durcheinander.“ Nick erklärt, der alte Kontinent sei eine Bedrohung für Amerika, „weil er die klare, gottgegebene Zweiteilung von Gut und Böse, männlich und weiblich, schwarz und weiß untergräbt“. Russland ausgenommen, denn nur dieses Land hat es richtig gemacht – es hat sich zu einem weißen, christlichen Imperium entwickelt, das die Schwarzen aus dem Land und seiner Kirche ferngehalten hat. Während Sozialleistungen für die Bürger des „woke Europe“ immer noch als Errungenschaft ihrer Nachkriegs-Wohlfahrtsstaaten verstanden werden, betrachte das heutige konservative Amerika „Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen als weiße Steuergelder, die unverdienterweise an die schwarze Bevölkerung gehen“.
Soziale Medien haben mit ihren Mitteln Grausamkeit zum Zuschauersport gemacht, sagt Nick. „Die Menschen werden ständig mit Grausamkeit, der Instrumentalisierung von Rassismus und vom Leid anderer Menschen konfrontiert, das ihnen als Unterhaltung dargeboten wird. Es ist eine Sucht, die ständig gefüttert werden muss.“ Einwanderern Leid zuzufügen, kann über Monate eine solches Unterhaltungsangebot abgeben. „Aber wo endet das?“, fragt er. „Kann die Regierung genug Grausamkeiten anbieten, um die Kürzungen bei Medicaid zu kompensieren?“ Fünf Wochen nach unserem Gespräch deutet Donald Trumps „großer und schöner Haushaltsentwurf“ mit den geplanten Kürzungen bei Medicaid darauf hin, dass sie es kann.
Auf meiner Reise durch Amerikas Hinterland schimmerte diese mangelnde Empathie für bestimmte Gruppen oft in Anspielungen und Witzen durch, kamen rassistische Stereotype meist indirekt zum Ausdruck. Doch wenn der Moderator der Late-Night-Show „Gutfeld“ auf Fox TV und seine Gäste „erfrischend“ über die Ereignisse des Tages diskutieren, sind Abwertung und Grausamkeit gegenüber schwachen, behinderten, migrantischen oder schwarzen Bürgern Teil eines verächtlichen Diskurses über den politischen Gegner.
Wenn die Menschen, die ich traf, über umstrittene soziale oder demografische Dynamiken sprachen, waren es nie sie selbst, sondern immer ihre Nachbarn, die aufgrund ihrer rassistischen Vorurteile handelten. „Sie verließen die Stadt, weil sie das Gefühl hatten, die Schwarzen hätten die Macht übernommen.“ Und das immer wieder erlebte Nachplappern des Fox-TV-Jargons durch die Donald-Trump-Wähler in Gesprächen an der Bar, im Restaurant oder auf der Straße endete unweigerlich mit dem rassistisch aufgeladenen Satz, sie könnten nicht für die Demokratische Partei stimmen, „weil die unser ganzes Geld weggeben“.
Als meine beiden Freunde im zu 96 Prozent prodemokratischen Washington ein Bild von Amerika zeichneten, in dem ein psychopathischer und narzisstischer Anführer im Weißen Haus keine Regeln kennt, seinen Anhängern Grausamkeit statt Lebensqualität bietet und ihnen erlaubt, ihrer eigenen Grausamkeit und ihrem Rassismus freien Lauf zu lassen, klang das für mich zunächst ziemlich hart. Aber nach meinen – stets freundlichen – Treffen und Gesprächen mit Donald-Trump-Wählern in Kleinstädten und im ländlichen Amerika kann ich ihre Analyse nicht wirklich widerlegen.
Welche Herausforderungen müssen wir bewältigen, um Rassismus und weiße Vorherrschaft zu überwinden, die dem Aufstieg und der Herrschaft Donald Trumps zugrunde liegen? Ron hat aus der Perspektive eines lehrenden und praktizierenden Psychologen ausführlich darüber geschrieben. Um Fortschritte zu erzielen, so schlägt er vor, müssten die Amerikaner die „Leugnung von Rassismus/weißer Vorherrschaft“ angehen, ihre „gestörte Empathie“ wiederherstellen und lernen, „mit Scham umzugehen“. Er gibt als Erster zu, dass dies keine leichten Aufgaben für eine Gesellschaft ist, die sich in all diesen Bereichen zurückentwickelt. Die Leugnung weißer Vorherrschaft ist nach wie vor weit verbreitet; Vizepräsident JD Vance hat sich kürzlich von traditionellen Konzepten wie Mitgefühl und Empathie distanziert; und Donald Trump hat hinreichend gezeigt, dass er weder Anstand noch Scham kennt.
Bei einer Kongressanhörung im Jahr 1954, so erinnert sich Ron an eine historische Herausforderung ungezügelter Macht, hatte der antikommunistische und rassistische Senator Joseph McCarthy seine Befugnisse eindeutig überschritten, als er einen Unschuldigen belastete. Doch als ihn der mutige Oberbefehlshaber der US-Armee daraufhin vor dem Ausschuss stellte und fragte: „Haben Sie denn überhaupt keinen Anstand mehr?“, da beendete diese live im nationalen Fernsehen übertragene Frage die politische Karriere des mächtigen Senators. Donald Trump hingegen, so Ron, „hat seine gesamte Karriere auf dem Tod der Scham aufgebaut.“
Das Erbe des Rassismus und der Erfolg von Donald Trump
Wenn man in Alabama von Selma nach Montgomery reist, dreht sich alles um Geschichte – von der Sklaverei bis zu den Bürgerrechten, von zerfallenen Hütten der ehemaligen Farmpächter bis zu eindrucksvollen Gedenkstätten. Man spürt auch, dass es immer um Rassismus geht – vom historischen Marsch über die Edmund-Pettus-Brücke im März 1965 bis zum wiederholten Wahlsieg Donald Trumps im November 2024. Was hat sich verändert? Auf dieser 90 Kilometer langen Reise sieht man Zeichen weißer Vorherrschaft und schwarzer Verzweiflung, schwarzer Würde und weißer Angst. Man trifft Afroamerikaner, die von den jüngsten politischen Veränderungen entmutigt sind, und hört Geschichten von weißem Ressentiment, das die konservative Gegenreaktion schürt. Es liest sich wie eine fortlaufende Geschichte zweier Stämme, die beide verlieren.
Wenn man in Alabama von Selma nach Montgomery reist, dreht sich alles um Geschichte – von der Sklaverei bis zu den Bürgerrechten, von zerfallenen Hütten der ehemaligen Farmpächter bis zu eindrucksvollen Gedenkstätten. Man spürt auch, dass es immer um Rassismus geht – vom historischen Marsch über die Edmund-Pettus-Brücke im März 1965 bis zum wiederholten Wahlsieg Donald Trumps im November 2024. Was hat sich verändert? Auf dieser 90 Kilometer langen Reise sieht man Zeichen weißer Vorherrschaft und schwarzer Verzweiflung, schwarzer Würde und weißer Angst. Man trifft Afroamerikaner, die von den jüngsten politischen Veränderungen entmutigt sind, und hört Geschichten von weißem Ressentiment, das die konservative Gegenreaktion schürt. Es liest sich wie eine fortlaufende Geschichte zweier Stämme, die beide verlieren.
Vor der „Brown Chapel Church AME“ in Selma weist Pfarrer Alvin C. Bibbs die zwei Dutzend Teilnehmer seiner geführten Tour in die Regeln ihres kurzen, symbolischen Gangs von der Kirche zur Edmund-Pettus-Brücke ein. „Nehmt Wasser mit und lauft in der Sonne nur langsam.“ Doch wo die Mitglieder dieser Touristengruppe aus Chicago bequeme Turnschuhe tragen, hatten die Freiheitskämpfer von 1965 nur ihr normales Schuhwerk, um von der Kirche aus die Brücke zu überqueren und weiter nach Montgomery zu ziehen – auf ihrem viertägigen Marsch, der nicht nur die Geschichte des Südens veränderte.
Am “Blutigen Sonntag” des 7. März 1965 wurden die Freiheitskämpfer beim Versuch, die Brücke zu überqueren, brutal zusammengeschlagen. Doch zwei Wochen später konnten Martin Luther King und Tausende seiner Anhänger ihr Ziel unter dem Schutz der Nationalgarde erreichen, die Präsident Lyndon B. Johnson nach Alabama beordert hatte, nachdem die Fernsehbilder der ganzen Nation gezeigt hatten, wie rassistische Polizisten die Marschierer niederknüppelten und mit Tränengas traktierten, unterstützt von einem aus ganz Dallas County angereisten weißen Mob. Als Reaktion auf diesen Skandal verabschiedete der Kongress im August 1965 den „Voting Rights Act“, der den Grundstein für die Bürgerrechtsgesetzgebung in Amerika legte.
Nach dem symbolischen Gang seiner Reisegruppe über die Brücke 60 Jahre später erläutert uns Reverend Alvin Bibbs seine Sicht der jüngsten Geschichte und deren Zusammenhang mit Donald Trumps Wahlsieg. Geboren in einem der gewaltträchtigsten Wohnprojekte im Süden Chicagos, änderte sich Alvins Schicksal im Alter von sechs Jahren, als Martin Luther King bei einem Besuch seiner örtlichen Kirche „mit der Hand über meinen lockigen Afro-Kopf strich“ und dem Jungen seinen Segen gab. Von da an konzentrierte sich Alvin auf die Schule, gewann Sportlerstipendien, spielte Profi-Basketball in Spanien, wurde Pfarrer und leitet heute die „Justice Journey Alliance“, eine Nichtregierungsorganisation, die sich für Bürgerrechte einsetzt.
Alvin Bibbs hat eine jahrzehntelange konservative Kampagne erlebt, die darauf abzielte, „europäischen Amerikanern,die das Gefühl hatten, an wirtschaftlicher Macht, Einfluss und Status zu verlieren, Angst einzujagen”. Diese Dynamik der Angst habe in den ländlichen weißen Gemeinden im ganzen Land verfangen. „Und wenn man diese Sichtweise erst einmal übernommen hat“, versetzt sich der schwarze Pfarrer in die Lage weißer Wähler, „glaubt man leicht, dass man sein Land zurückerobern muss.“ Und jetzt sieht Alvin Bibbs, wie die Trump-Administration „das System der Bürgerrechte zerstört und die Geschichte unserer Bewegung diskreditiert“.
Man muss nicht schwarz sein, um diese Dynamik zu verstehen. Als Teilnehmerin der Reisegruppe findet Laura Jansen, die Geschäftsführerin einer anderen gemeinnützigen Organisation ist, noch schärfere Worte für das, was gerade in ihrem Land geschieht: „Viele weiße Amerikaner haben ihren Verstand verloren, als das Land zweimal für einen schwarzen Präsidenten gestimmt hat.“ Und mit diesem Schock der Jahre 2008 und 2012 erklärt sie den Erfolg von Donald Trump. „Im Grunde ist es Rassismus, nur in neuem Gewand.“
Am Fuße der Edmund Pettus Bridge treffen wir Charles, der als Reiseführer für die wenigen Touristengruppen arbeitet, die diesen historischen Ort besuchen. Man muss nur den Namen Donald Trump erwähnen, und schon platzt es aus Charles heraus, wie „trostlos und am Boden zerstört“ er sich angesichts des gegenwärtigen Rechtsrucks fühlt. Für ihn war der 21. März 1965 „der beste Tag in der Geschichte seines Landes“, und „der 5. November 2024 der schlimmste“. Auch er fürchtet nun, „dass die Errungenschaften der Bürgerrechtsära zunichte gemacht werden könnten“.
Charles ist aus Selma. Er war gut in der Schule und wollte Jura zu studieren, als seine Tochter geboren wurde und „Gott einen anderen Plan für mich hatte“. Stattdessen arbeitete er als Rohrschlosser und als Lagerarbeiter. In Alabama mit einem der landesweit niedrigsten Mindestlöhne wurde er Zeuge der Abwanderung hochqualifizierter Arbeitskräfte, der “weißen Flucht”, der Auslagerung von Arbeitsplätzen und des Niedergangs der örtlichen Industrie. Aus seiner Sicht begann dieser 1978 mit der Schließung des nahegelegenen Armeestützpunkts und setzt sich bis heute mit der vor einer Woche angekündigten Schließung des “Selma AmeriCorps-Program” fort. „Wir wurden immer für das bestraft, was wir 1965 getan haben und wie wir seitdem gewählt haben“, glaubt er. Im November 2024 stimmten bei einer schwarzen Bevölkerungsrate von 70% knapp zwei Drittel der 36.000 Bürger von Dallas County für Kamala Harris.
Charles‘ Enttäuschung über das Leben reicht von den Touristen in Selma, „die die Geschichte nur blöde anstarren, aber nichts damit zu tun haben wollen“ über das viel zu niedrige Lehrergehalt seiner Frau bis zu den Kirchen mit ihren weißen Mitgliedern, „die damals mit der Bibel in der anderen Hand Steine und Tomaten auf uns geworfen haben“. Während der Gott, an den er glaubt, sagt man solle “die anderen Menschen lieben“. Dennoch steht Charles jeden Tag hinter seinem Klapptisch mit der Literatur zur Bürgerrechtsbewegung, um Touristen deren Geschichte kenntnisreich und mit Begeisterung zu erklären.
Direkt gegenüber von Charles’ kleinem Stand befindet sich das Büro des “Selma Times Journal“ Von hier aus hat Chefredakteur Brent Maze dieselben Entwicklungen beobachtet, wenn auch aus einer anderen Perspektive. Das Blatt steht vor den gleichen wirtschaftlichen Herausforderungen wie alle vergleichbaren Lokalzeitungen im Land: Bevölkerungsschwund, zurückgehende Leserzahlen und sinkende Werbeeinnahmen. Vor sieben Jahren musste die Zeitung von seiner täglichen Erscheinungsweise auf zwei Ausgaben die Woche umstellen und ihren Personalbestand auf fünf Vollzeit-Kräfte reduzieren. Brent Maze kam aus einer aus Jackson, Mississippi, nach Selma. Sein Vater war als weißer Liberaler in der Bürgerrechtsbewegung aktiv.
Wie behandelt das “Selma Times Journal” die Rassenbeziehungen? „In der täglichen Berichterstattung“, sagt der Chefredakteur, „hast Du das Thema “race” immer im Hinterkopf. Doch schwarze Kriminalität komme nicht mehr automatisch auf die Titelseite, erklärt Brent eine subtile Veränderung. „Es sei denn, es handelt sich um Mord.“ Brent Maze zählt die „Premieren“ in Selmas jüngerer Geschichte auf: den ersten schwarzen Bürgermeister Ende der 2000er Jahre, den Besuch von Präsident Obama zum 50. Jahrestag des „Bloody Sunday“, als sich die Menschenschlange über zwei Häuserblocks erstreckte; und vor kurzem das erste komplett schwarze “school board”, auch wenn weiße Schüler immer noch auf zwei Privatschulen ausweichen.
Doch er hat auch Rückschritte erlebt, als etwa im Jahr 2008 traditionell konservative Demokraten zu den Republikanern überliefen; „als die Präsidentschaft Obamas bei weißen Bürgern die Angst schürte, ihre Identität zu verlieren“; als das singuläre Thema der Abtreibung der Demokratischen Partei in Alabama schwer zusetzte und weißen Pastoren predigten, man könne nicht gleichzeitig Christ und Demokrat sein. „Der Aufstieg von Donald Trump“, erklärt der Chefredakteur, „fiel mit diesen Gefühlen in der weißen Bevölkerung zusammen.“
Beim Blick aus seinem Bürofenster kann Brent Maze bereits die aktuellen Folgen dieser langfristigen politischen Veränderungen erkennen. Auf der Baustelle des „Selma Interpretive Center“ wird nicht mehr gearbeitet seit Elon Musk den Etat des National Parks Service kürzte, der diesen neueste Erweiterung Civil Rights Stätten für Touristen betreiben sollte. Und letzte Woche musste der Bürgermeister Kürzungen der Bundesmittel in Höhe von 55 Millionen Dollar ankündigen, was die Pläne der Stadt zur Sanierung ihrer Infrastruktur zunichte machen wird. Der Wahlslogan des schwarzen Bürgermeisters von Selma „Gemeinsam wieder aufbauen“ dürfte bald hohl klingen.
Auf unserer knapp einstündigen Fahrt von Selma nach Montgomery haben wir Zeit, das Gehörte mit dem zu vergleichen, was wir vor unserer Ankunft im Süden gelesen haben. Zum Beispiel Franz Fanons berühmtes Zitat „Der weiße Mann als Sklave seiner Überlegenheit“ aus seinem 1952 erschienenen Buch „Schwarze Haut, weiße Masken“. Darin schreibt der revolutionäre Kolonialismuskritiker und Psychiater über die Angst der Weißen, aufgrund der Forderungen der schwarzen Bevölkerung nach Gleichheit ihre privilegierte Stellung zu verlieren.
Oder Robert Kagans neues Buch „Rebellion“, in dem der Autor die antiliberale Strömung in der amerikanischen Geschichte mit den Themen “race and religion” in Zusammenhang bringt, die als ständiger Subtext Feindseligkeit und Angst in der weißen Bevölkerung nähren. Mit der Wahl Barack Obamas, schreibt Kagan, sei „ein offener Rassismus wiederaufgetaucht, wie man ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen hat.“ „Als Donald Trump 2016 (für das Präsidentenamt, R.P.) kandidierte, “schreibt der konservative Historiker, “war seine Identität als weißer männlicher Suprematist bereits fest etabliert.“
Wie in der Stadt Selma empfängt einen das Zentrum von Montgomery mit leeren Straßen, aber vielen Gedenkstätten. Die Memorials glänzen wie moderne Hülllen für eine dynamische Vergangenheit, als wäre der erbitterte Kampf um die Bürgerrechte in die sicheren Räume beeindruckender Museen verlagert worden. Die Stadt selbst mit ihren 200.000 Einwohnern wirkt trotz einiger erfolgreicher Stadterneuerungsprojekte immer noch wie ein verlassener, träger und sturer Ort im amerikanischen Süden, mit einigen protzigen, neoklassisch verkleideten Bürotürmen, denen es an zeitgenössischer Präsenz und Dynamik mangelt.
Und auch die jüngsten Veränderungen, die Dwayne Fatherree bemerkt, sind nicht zum Besseren. Der erfahrene Journalist, der für das renommierte „Southern Poverty Law Center“ (SPLC) recherchiert und schreibt, berichtete kürzlich über die lokalen Auswirkungen der Dekrete von Donald Trump und Elon Musk. Da das SPLC und die meisten historischen Stätten in Montgomery privat finanziert werden, sind sie von den Kürzungen der Diversity-Programme kaum betroffen. Doch manche NGOs und Monitoring-Gruppen werden es spüren, wenn die Regierung staatliche Wohnungsbau- und Mietzuschüsse kürzt. Und die zahlreichen rechts-radikalen „Hassgruppen“, die das SPLC seit Jahrzehnten beobachtet, befürchtet Dwayne, „werden sich durch diese neuen Maßnahmen bestärkt fühlen.“ In der Vergangenheit hätten konservative Politiker noch eine gewisse Philosophie und Disziplin gehabt, fährt der weiße Journalist fort. „Jetzt sind sie nur noch darauf aus, alles zu zerstören, was nicht zu ihnen gehört.“
Und wie reagieren die verschiedenen Gemeinschaften auf die Angriffe der neuen Regierung? Während sich die weiße Community ermutigt fühle, ihren passiven Rassismus auszuüben, vermutet Dwayne, „denken die Leute in der schwarzen Community vielleicht, dass sie schon alles gesehen haben und es nicht mehr viel schlimmer kommen kann.“
Zurück in den Straßen von Montgomery halten Touristenbusse kurz an der „Dexter Avenue Memorial Church“, wo deren ehemaliger Pastor Martin Luther King und die Freedom Riders den Busboykott von Montgomery und den Marsch von Selma planten. Anschließend entleeren sie ihre Ladung überwiegend schwarzer Besucher im interaktiven „Legacy Museum“ und dem visuell eindrucksvollen „National Memorial for Peace and Justice“. Wir werden dieser Route folgen.
Es ist der sonntägliche Gottesdienst in der „Dexter Avenue Memorial Baptist Church“. Mit den Kadenzen von Blues und Gospel unterlegt der Organist die Gebetsrufe im “Call and Response”. Der kleine, in weiße Spitze gekleidete Frauenchor singt in hellen Tönen und Pastor Allen Sims predigt mit Emphase – aber alles vor halb leeren Kirchenbänken. Die Geschichte dieser engagierten Kirche ist keine Garantie mehr für zeitgenössischen Glauben. Und dafür gibt es politische Gründe, wie uns Reverend Dr. Allen Sims nach dem Gottesdienst erläutern wird.
Er erklärt uns den Trend von den kleinen Kirchen wie der seinen zu den Megakirchen der meist weißen Evangelikalen, und dass die kleinen Kirchen mit den Aids- und Covid-Epidemien sehr zu kämpfen hatten. Und im Laufe der Jahre, so der Pfarrer, seien die Evangelikalen mit der Republikanischen Partei nach rechts gerückt, “weil sie ein Stück vom Kuchen abhaben wollten”. Er spricht von einer „tiefen Enttäuschung” über weiße Pastoren, die er früher respektiert habe, die aber “in diesen schwierigen Zeiten schweigen, wie auch die Universitäten.“
Doch Pastor Sims tadelt nicht nur seine Kollegen in den weißen Megakirchen. Er ermahnt auch die Afroamerikaner, „die dachten Barack Obama sei unser Retter“. Die anschließende Ernüchterung und das Misstrauen, so sieht er das heute, hätten dazu geführt, “dass ein ganze Reihe afroamerikanischer Männer eben nicht für Kamala Harris gestimmt haben“. Heute sieht Rev. Dr. Allen Sims - in der langen Reihe der „politischen“ Pastoren nach Martin Luther King - das Land und die Kirchen „am Scheideweg“. Gibt es Hoffnung oder keine Hoffnung? Er scheint sich da nicht sicher zu sein. Angesichts des großen Engagements der Anwesenden beim Sonntagsgottesdienst, aber auch der leeren Reihen in seiner Kirche versteht man seine Unsicherheit.
Weiter geht es zum „Legacy Museum“ auf dem Gelände eines ehemaligen Sklavenmarktes. Seine eindrücklichen Installationen dokumentieren die Geschichte von “race” als Amerikas Erbsünde mit fast strafrechtlicher Härte: von der Sklaverei über die Zeiten von “Reconstruction” und “Jim Crow” bis hin zur fortdauernden Inhaftierung schwarzer Männer. Was natürlich fehlt, ist die jüngste Wendung in dieser Geschichte: die aktuelle Reinkarnation des Rassismus, definiert als Nullsummenspiel zwischen einem gefühlten Statusverlust in der weißen Bevölkerung und den imaginierten Gewinnen für schwarze oder braune US-Bürger.
Deshalb fragen wir einige Besucher, wie sie die dargestellte Geschichte der Schwarzen mit der heutigen politischen Landschaft verknüpfen. Angesichts der brutalen Bilder aus der Vergangenheit des Südens, die er gerade zwei Stunden lang durchwandert hat, ist Eddie, ein Geschäftsmann aus Atlanta, “wütend auf meine schwarzen Brüder, die Donald Trump nur wegen der Steuererleichterungen gewählt haben“. Und nachdem seine erwachsene Tochter die dramatischen Darstellungen von Familien gesehen hat - durch Sklaverei auseinandergerissen, durch Lynchmorde traumatisiert und durch das heutige Strafrecht weiter benachteiligt - glaubt sie, „dass wir in der schwarzen Gemeinschaft uns noch mehr auf unsere Familien konzentrieren müssen“. Gemeinsam steigen wir in den Shuttlebus, der uns zum „National Memorial for Peace and Justice“ bringt.
Diese 2018 eröffnete, jüngste Stätte in der Reihe der großzügig gestalteten Legacy Sites ist ein offener Pavillon, der mehr als 4.000 rassistisch motivierte Lynchmorde zwischen 1877 und 1950 visualisiert. Hier, zwischen teils hängenden, teils stehenden Zylindern aus rostfarbenem Cortenstahl, treffen wir Anthony und Wendell, zwei Besucher aus North Carolina. Als sie die Platte mit den eingravierten Zahlen der lynchings in Nash County suchen und finden, kann Anthony nicht glauben, was er da liest: an einem einzigen Tag wurden in seinem Heimatbezirk 20 schwarze Bewohner gelyncht, vor Tausenden weißen Zuschauern, wie der Eintrag auf der rostigen Oberfläche besagt. „Das geschieht, wenn man bestimmte Gruppen für andersartig erklärt, so wie wir es heute mit Migranten tun“, sagt Anthony, noch immer atemlos angesichts der schockierenden Entdeckung über die grausame Geschichte seines Heimatbezirks.
Vor einer weiteren schockierenden Skulptur im Garten der Gedenkstätte mit Blick auf die Innenstadt von Montgomery fragen wir Charity, eine Studentin am Georgia Institute of Technology, wie sie das hier symbolisierte Erbe der Lynchmorde, mit dem verbindet, was Amerika heute widerfährt.
Charity ist mit ihrer Familie gekommen, doch inmitten der Besucherschar aus schwarzen Schulklassen und weißen Touristen aus dem Norden vermisst sie die weißen Bürger aus Georgia oder Alabama, „diejenigen, die immer noch nicht verstanden haben, was systemischer Rassismus ist. Denn wir haben zwar die gleichen Rechte, aber stehen immer noch vor vielen Hindernissen.“ Und jetzt, mit Donald Trump, sagt sie mit einer Bitterkeit, die nicht zu ihrem Alter passt, „werden die Förder- und Diversitätsprogramme, die uns helfen sollten, diese Hindernisse zu überwinden, einfach abgeschafft.“
Marjorie Taylor Greene und die Lizenz zu hassen
Wer die letzten Kurven von den malerischen Blue Ridge Mountains in den Nordwesten Georgias hinunterfährt, würde nicht vermuten, dass die Menschen, die diese sanfte Landschaft bewohnen, dreimal hintereinander die rabiateste Kongressabgeordnete im US-Repräsentantenhaus gewählt haben. Wenn man dann nach Dalton hineinfährt, das sich stolz „Teppichhauptstadt der Welt“ nennt, glaubt man kaum, dass diese respektable Stadt so viel Groll und Wut ihrer Bürger in sich birgt, dass sie eine verrückte Verschwörungstheoretikerin nach Washington D.C. schickt, die wiederholt zu Gewalt gegen Demokraten und andere Gegner der MAGA-Bewegung aufruft. Diese Geschichte handelt davon, wie die durchgeknallte Kandidatin Marjorie Taylor Greene im 14. Kongresswahlbezirk in Georgia zwischen der Grenze zu Tennessee und den Vororten Atlantas als Siegerin hervorgehen konnte – und wie sie von den Bürgern in Dalton wahrgenommen wird.
Wer die letzten Kurven von den malerischen Blue Ridge Mountains in den Nordwesten Georgias hinunterfährt, würde nicht vermuten, dass die Menschen, die diese sanfte Landschaft bewohnen, dreimal hintereinander die rabiateste Kongressabgeordnete im US-Repräsentantenhaus gewählt haben. Wenn man dann nach Dalton hineinfährt, das sich stolz „Teppichhauptstadt der Welt“ nennt, glaubt man kaum, dass diese respektable Stadt so viel Groll und Wut ihrer Bürger in sich birgt, dass sie eine verrückte Verschwörungstheoretikerin nach Washington D.C. schickt, die wiederholt zu Gewalt gegen Demokraten und andere Gegner der MAGA-Bewegung aufruft. Diese Geschichte handelt davon, wie die durchgeknallte Kandidatin Marjorie Taylor Greene im 14. Kongresswahlbezirk in Georgia zwischen der Grenze zu Tennessee und den Vororten Atlantas als Siegerin hervorgehen konnte – und wie sie von den Bürgern in Dalton wahrgenommen wird.
Mit Marjorie Taylor Greene, kurz MTG, wird der traditionell republikanische Distrikt nun von einer 50-jährigen Mutter dreier Kinder vertreten, deren frühere Lebensleistung darin bestand, von ihrem Vater eine Baufirma geerbt und das CrossFit-Fitnessstudio im nahegelegenen Alpharetta geführt zu haben, ehe ihre politische Karriere nach dem plötzlichen Eintauchen in die rechtsextreme Blogosphäre begann. Bald schon schloss sie sich der QAnon-Verschwörungstheorie an, wonach die Welt von einem Netzwerk satanischer Pädophiler kontrolliert wird, finanziert von dem jüdischen Philantrophen George Soros.
MTG präsentierte sich in den sozialen Medien als “pro gun”, “pro life”, pro-weiße Männer, ultrachristlich, antimuslimisch und pro-Israel aber durchaus antisemitisch. Ihre politische Karriere begann mit der Unterstützung der Trump-nahen Republikaner im Repräsentantenhaus, als sie alle gemäßigten Rivalen in den Vorwahlen aus dem Rennen warf. Seitdem gewann sie 2020, 2022 und 2024 den 14. Distrik von Georgia.
„Die republikanische Basis war auf der Suche nach einer Marjorie Taylor Greene – einer Frau aus der Vorstadt, die nicht vor Trump zurückschreckte und eine überzeugte Anhängerin der MAGA-Bewegung war“, erklärte das Magazin „The Atlantic“ 2022 ihren politischen Erfolg. Im letzten Wahlkampf erkärte MTG: „Die Demokraten wollen die Republikaner erledigen, und sie haben bereits mit dem Morden begonnen.“ Heute leitet MTG in Washington, D.C., den Unterausschuss des Repräsentantenhauses, der Elon Musks DOGE-Einheit für Regierungseffizienz beaufsichtigen soll. Sie ist so sehr MAGA, dass sie ihren geliebten Präsidenten von rechts kritisiert, wenn er auch nur einen Zentimeter von seinen absurden Versprechungen abweicht. So viel zu ihrer politischen Karriere.
Doch wer waren die 243.446 Menschen (64,37 % des Wählervolks) in diesem Kongresswahlbezirk und die 25.767 Bürger (66 %) von Whitfield County, einschließlich der Stadt Dalton, die im vergangenen November für eine so extremistische Kandidatin gestimmt haben? Sharon, die im Bildungssektor arbeitet und ihren richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, hat dazu einige Vermutungen. „In diesem zutiefst konservativen Teil Georgias“, beginnt sie, „sind es Menschen, denen sich die Welt zu schnell dreht, die keinen Fortschritt und keine weitere Zuwanderung von Hispanics wollen, Leute, die ihre eigene Geschichte zerstört sehen, wenn Statuen der Konföderierten aus der Stadt auf die historischen Schlachtfelder gebracht werden.“
In den sozialen Medien beobachtet Sharon, dass die Leute jemanden, der den Status quo durchbricht, „ziemlich unterhaltsam” finden – “der Schockeffekt nährt ihre Wut“. „Es ist, als würde MTG ihnen die Erlaubnis geben, offen hasserfüllt zu sein.“ Sharon erinnert sich an die Zeit, als die Bürger von Dalton die Einwanderer noch willkommen hießen, die in den 90er Jahren in Mexiko angeworben wurden, um in den Teppichfabriken der Region zu arbeiten. Jetzt verfolgt sie auf Facebook, dass Menschen aus ihrer Community „einfach unglaublich rassistisch sind“.
Was konservative Autoren schon lange befürchten und das US Census Bureau für das Jahr 2044 voraussagt – nämlich dass der Anteil der nicht-hispanischen weißen Bevölkerung in den USA unter 50 % sinken wird – ist in Dalton und Whitfield County längst eingetreten. Heute sind 54 % der 35.000 Einwohner der Stadt Hispanics.
Als die Teppichproduzenten in den frühen 90er Jahren erkannten, für welch geringe Löhne Saisonarbeiter aus Mittelamerika in der lokalen Landwirtschaft arbeiteten, begannen sie, Latinos auch für ihre Industrie anzuwerben. Während heute 80 % der weltweiten Bodenbeläge in den über 300 Teppichfabriken der Region hergestellt werden, ist dieser wirtschaftliche Erfolg hauptsächlich auf den Import billiger Arbeitskräfte zurückzuführen. Er hat auch eine Reihe weißer Milliardäre hervorgebracht.
An den Banken und in den Schaufenstern von Dalton sieht man zweisprachige Schilder, und sobald man das Stadtzentrum in Richtung Osten verlässt, tragen die Autowerkstätten, Reparaturshops und Restaurants zunehmend hispanische Namen. Kaum jemand in Dalton bestreitet, dass die Latino-Familien von Arbeitern, Kleinunternehmern, stolzen Hausbesitzern und Anwälten gut integriert sind. Es gibt keine Anzeichen für offene Konflikte, doch für viele Bürger scheint dieser produktive Zustrom dann doch zu viel gewesen zu sein.
Was können die lokalen Mitglieder der Demokraten von Whitfield County tun, um diesen Kongresssitz für ihre Partei zurückzuerobern? Um diese Frage zu beantworten, haben sich Mary, Sheryl, Debbie und Dan im modernen Arts Guild Center in Dalton neben der geräumigen und gut ausgestatteten öffentlichen Bibliothek eingefunden. Regelmäßig protestieren sie mit ihren Anti-Trump-Plakaten vor der MTG-Geschäftsstelle gegen den Hass und die Gewalt ihrer politischen Gegnerin.
Dan, der als Manager eines Recyclingunternehmens arbeitet, kann gut erklären, was der Republikanischen Partei im Laufe der Jahre auf nationaler Ebene widerfahren ist. Er erzählt, wie seit Ronald Reagans Zeiten die „Architekten der großen Südstaatenstrategie das religiöse Gefühl eingefangen haben”; dass „Gott zum Wahlautomaten geworden und nicht mehr der liebende Gott ist“; dass das Thema Abtreibung eine große Rolle spielte; und dass ein schwarzer Präsident die Lage für die Demokraten verschlechtert und danach leider viele Menschen zum Seitenwechsel bewegt habe. “So wurden aus rassistischen Demokraten rassistische Republikaner.“ Diese hätten das Gefühl, dass die Regierung sie übergangen hat und dass die Trickle-down-Ökonomie nicht funktioniert, da die Immobilienpreise explodiert sind. In Marjory Taylor Green, sagt Dan, „haben sie eine Führungspersönlichkeit gefunden, die genau die Menschen hasst, die auch sie hassen.“
Aber Mary und Sheryl verstehen immer noch nicht wirklich, was mit ihrer Gemeinde geschehen ist. Die Wahl von MTG, sagt Mary, „passt nicht zu unserer Lebensweise und den Menschen, die wir auf gesellschaftlichen Veranstaltungen treffen.“ Aber die konservativen Botschaften über die Demokraten seien eben seit Jahren durchweg schlecht gewesen, wirft Dan ein, und die Leute glaubten einfach diese Erzählung. „Wir Demokraten“, sagt eine von ihnen, „sind Teil der “des Anderen“ geworden.
Die regelmäßige Umfrage der „Atlanta Journal Constitution“ zeigt in der Woche, in der wir uns treffen, dass nur 35 % der registrierten Wähler in Georgia eine positive Meinung von der Demokratischen Partei haben, nachdem Trump den Bundesstaat bei seiner Rückkehr an die Macht mit großer Mehrheit gewonnen hat. Sogar ein Drittel der liberalen Wähler hat eine negative Wahrnehmung der Partei. „Eine Rebellion genau derjenigen, von denen erwartet wurde, dass sie ihre Vision vertreten“, kommentiert die Zeitung das schlechteste Umfrageergebnis der Demokraten aller Zeiten.
Was also können demokratische Aktivisten auf lokaler Ebene gegen den nationalen Trend und die politische Dynamik in ihrem Bundesstaat tun? Sie nennen viele Punkte: Konzentration auf Kommunalwahlen; Rekrutierung besserer Kandidaten für Verwaltungs- und Schulbehörden; Spenden für die Wiederwahl des demokratischen Senators im Jahr 2026 sammeln; sich für Wählerschutz einsetzen und den Wahlprozess vor republikanischen Manipulationen schützen; die Menschen ansprechen, die nicht gewählt haben; und schließlich, die Latino-Bevölkerung erreichen.
Angesichts meiner eigenen, meist vergeblichen Versuchen, mit Hispanics in Dalton ins Gespräch zu kommen, wird Letzteres ein schwieriges Unterfangen werden. Die drei hispanischen Jugendlichen im Stadtzentrum sind erst vor ein paar Monaten aus Kalifornien angekommen und haben noch nie von Marjorie Taylor Greene gehört. Carla, die hinter einer hispanischen Anwaltskanzlei Würstchen brät, um für deren Einwanderer-Service zu werben, will nicht wirklich sagen, ob sie weiß, worum es MTG geht, nachdem sie vor 17 Jahren aus El Salvador hierhergekommen ist.
Endlich finden wir auf dem örtlichen Baseballplatz in Rollins Park das vielfältige und integrierte Umfeld vor, von dem unsere demokratischen Aktivisten gesprochen hatten. Weiße, schwarze und Latino-Kinder spielen vor den Augen ihrer Eltern Baseball in einer friedlichen und entspannten Atmosphäre. Die Szene wirkt wie eine Werbung für die Traumlandschaft eines multikulturellen Amerikas. Nur dass niemand von der hispanischen Seite über Trump, MTG oder Politik reden will. Der Preis für erfolgreiche Integration scheint die vollständige Abwendung von Politik zu sein. Solange das so bleibt, haben die Demokraten in Dalton kaum eine Chance.
Später am Abend treffen wir in der „Dalton Brewery“ einen alten weißen Mann, der bereit ist, über Politik und Marjorie Taylor Greene zu reden. Er ist Rentner, muss aber trotzdem drei Tage die Woche arbeiten, um über die Runden zu kommen. Bei dem kleinen Glas Bier für 6,45 Dollar, das vor ihm steht, weiß man warum. Und MTG? „Sie ist so verrückt wie Fledermausscheiße“, sagt er, „aber ich habe sie gewählt.“ Und wenn man ihn nach dem Grund fragt, markiert seine Antwort wohl die erfolgreichste Botschaft aus Donald Trumps jahrzehntelanger Dominanz der Medienwelt: „Weil die Demokraten all das Geld einfach weggegeben haben”. An wen kann sich jeder Trumpwähler denken.
Amerikas Veteranen und der Niedergang des Patriotismus
Als ich während des ersten Golfkriegs 1991 durch Amerika fuhr, war ein immenser Stolz auf die Soldaten und Veteranen des Landes zu spüren. Die Menschen feierten die 43 Tage der „Operation Desert Storm“ in Kuwait als Wiedergutmachung für die Niederlage in Vietnam. In jedem Vorgarten prangten Schilder mit der Aufschrift „Unterstützt unsere Truppen“, und in jeder Stadt fanden Siegesparaden statt. Doch 2015 konnte Donald Trump Kriegshelden und Kriegstote als „Verlierer“ und „Trottel“ bezeichnen und trotzdem ins Weiße Haus einziehen, da fast zwei Drittel der amerikanischen Veteranen seitdem konsequent für ihn stimmten. Als “Dankeschön” treffen die jüngsten Kürzungen von Elon Musks Stoßtruppe für Regierungseffizienz (DOGE) Veteranen überproportional, da sie ein Drittel der Bundesbediensteten ausmachen. Und gerade hat Donald Trump angekündigt, den traditionellen Feiertag des „Veterans Day“ in „Tag des Sieges im Ersten Weltkrieg“ umzubenennen? Wie konnte ein solcher „winner-takes-it-all“- und engstirniger Nationalismus den tiefempfundenen Patriotismus vergangener Zeiten ersetzen?
Als ich während des ersten Golfkriegs 1991 durch Amerika fuhr, war ein immenser Stolz auf die Soldaten und Veteranen des Landes zu spüren. Die Menschen feierten die 43 Tage der „Operation Desert Storm“ in Kuwait als Wiedergutmachung für die Niederlage in Vietnam. In jedem Vorgarten prangten Schilder mit der Aufschrift „Unterstützt unsere Truppen“, und in jeder Stadt fanden Siegesparaden statt. Doch 2015 konnte Donald Trump Kriegshelden und Kriegstote als „Verlierer“ und „Trottel“ bezeichnen und trotzdem ins Weiße Haus einziehen, da fast zwei Drittel der amerikanischen Veteranen seitdem konsequent für ihn stimmten. Als “Dankeschön” treffen die jüngsten Kürzungen von Elon Musks Stoßtruppe für Regierungseffizienz (DOGE) Veteranen überproportional, da sie ein Drittel der Bundesbediensteten ausmachen. Und gerade hat Donald Trump angekündigt, den traditionellen Feiertag des „Veterans Day“ in „Tag des Sieges im Ersten Weltkrieg“ umzubenennen? Wie konnte ein solcher „winner-takes-it-all“- und engstirniger Nationalismus den tiefempfundenen Patriotismus vergangener Zeiten ersetzen?
Ein geigneter Ort, um mehr über diese Veränderungen und Widersprüche zu erfahren, ist Tuskegee, Alabama, Heimat der „Tuskegee Airman National Historic Site“. Hier, in den alten Hangars eines Flugfeldes, wird die Geschichte der ersten Afroamerikaner erzählt, die im Zweiten Weltkrieg zu Piloten des Army Corps ausgebildet wurden. Hier werden die Erfahrungen der schwarzen Piloten realistisch und drastisch dargestellt, der Skandal ihrer rassistischen Diskriminierung und der Stolz auf ihre Leistungen; außerdem die Rückkehr vom siegreichen Kampf im Ausland in ihre alte Rolle als Bürger zweiter Klasse daheim.
Hier treffen wir Eric Walker, seine Schwester Sharon und ihren Neffen Blair, die sich die vielfältigen Darstellungen von Rassismus und Patriotismus in einem Museum ansehen, das leider nur wenige Besucher hat. Sie bezeichnen sich selbst als „stolze Militärfamilie“. Ihr Onkel Robert war ein Tuskegee Airman, für den, wie sie erzählen, die erlittene Diskriminierung ebenso traumatisch war wie die Flüge über feindlichem Gebiet. Eric selbst diente 15 Jahre lang in der Armee in Asien, Sharon war in der Reserve. Sie haben ihren Neffen mitgebracht, „um etwas über unsere Geschichte zu lernen“.
Wo aber ist dieser Patriotismus geblieben? „Die Menschen haben kein Gedächtnis, kein Interesse mehr an Geschichte oder den Dingen außerhalb ihres eigenen Lebens“, sagt Eric, „und eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne.“ Das Bild, das er verwendet, um die aktuelle Mischung aus Gedächtnisverlust und Unschuld zu beschreiben, ist das von Rip van Winkle, dem Helden eines beliebten Kinderbuchs, der nach 20 Jahren Tiefschlaf verwirrt aufwacht, während die Vereinigten Staaten sich von einer britischen Kolonie in ein unabhängiges Land verwandelt haben. „Die Leute sind vewirrt und von all dem anderen Zeug überwältigt.“
The Gift Shop at the Central alabama Veteran Affairs Medical Center in Tuskegee, Alabama
Tuskegee beherbergt auch das „Central Alabama Veteran Affairs Medical Centre“ mit zahlreichen Einrichtungen außerhalb der Stadt. Auf meine Frage antwortet einer der medizinischen Mitarbeiter: „Die Kriege in Afghanistan und im Irak haben die Menschen gegen den Patriotismus aufgebracht. Sie fühlen sich vom militärisch-industriellen Komplex verarscht.“ Und nun beobachtet er, wie viele seiner Patienten in der Röntgenabteilung Angst haben, dass Elon Musk und sein Team die Leistungen und Sonderprogramme kürzen könnten. Menschen wie James mit seinen 64 Jahren, den wir in der Kantine treffen. Er hat bei den California Cannoneers gedient und kämpft nun um ein neues Hörgerät. Vielleicht bekommt er es ja noch, und er ist sich sicher, dass seine zukünftige Rente von 35.000 Dollar nicht angetastet wird. Aber das Programm, das ihn von den Drogen abbrachte und ihn vor der Obdachlosigkeit bewahrte, ist eine andere Sache. „Das wird es für andere vielleicht nicht mehr geben, wenn ich weg bin“, befürchtet er.
Nach der Volkszählung von 2023 leben in Amerika fast 16 Millionen Veteranen, von denen 66.000 noch im Zweiten Weltkrieg kämpften. Das entspricht etwa 6 % der Gesamtbevölkerung gegenüber 18 % im Jahr 1980. 2024 verfügte das Department of Veteran Affairs (VA) über ein Budget von 129 Milliarden Dollar und sorgte mit rund 400.000 Mitarbeitern für die lebenslange Pflege und Versorgung von neun Millionen Veteranen. Doch das sogenannte „Projekt 2025“, die Blaupause für viele politische Maßnahmen der Trump-Administration, sieht Kürzungen bei den Leistungen für behinderte Veteranen und die Ersetzung der VA-Krankenhäuser durch privatisierte Ambulanzen vor. Ein internes Memo vom März 2025 spricht von 80.000 Stellenstreichungen beim VA ab Juni.
Bislang ist nicht bekannt, wie viele VA-Mitarbeiter bereits ihre Kündigungen erhalten haben; einige wurden gefeuert und kurz darauf wieder eingestellt. Sharon bei den Tuskegee Airmen erklärt, dass Finanzmittel des Museums gekürzt und erst nach heftigen Protesten der schwarzen Community wieder freigegeben wurde. Landesweit protestieren viele Veteranengruppen gegen das „Chaos“, das diese Anordnungen und verwirrenden Maßnahmen verursacht haben.
Aber warum greift man die Regierungsbürokratie dort an, wo sie den Schwächsten und Behinderten dient? Ein Artikel im „The Atlantic“ vom September 2020 listet eine ganze Litanei von Donald Trumps verächtlichen Äußerungen über Helden, Kriegsopfer und den Militärdienst auf. Die hier zitierten Quellen zeichnen das Bild einer Person, die einen Militärfriedhof meidet, weil „er voller Verlierer ist“; die Konzepte wie Patriotismus, Dienst und Opferbereitschaft nicht versteht, weil dies „nicht-transaktionale Lebensentscheidungen“ sind; das Bild eines Präsidenten, der “eine tiefsitzende Angst davor hat, zu sterben oder entstellt zu werden, und diese Sorge manifestiert sich in Abscheu vor denen, die gelitten haben“.
In Montgomery, unweit von Tuskegee, treffe ich den Journalisten Dwayne Fatherree, der die Psychopathologie des Präsidenten politisch fasst. „Mit Donald Trump erleben wir eine Verschiebung dessen, was wir heute als Erfolg und als Patriotismus definieren.“ „Erfolg ist was einem direkt nutzt und die weißen amerikanischen Patrioten von heute sind eine Gruppe von Leuten, für die Weltpolitik kein Thema mehr ist. Für sie ist da draußen “Der Andere.“
Doch wie konnte dies in einer Republikanischen Partei geschehen, die historisch lange Zeit auf der Seite der Veteranen und der Streitkräfte stand? Alles begann mit dem Fall der Berliner Mauer 1989, als die Republikanische Partei ihre ideologische Orientierung verlor. Nachdem der anfänglichen Versuch des, „Amerika First” Mitte der 90er Jahre mit einer Niederlage gegen Präsident Bill Clinton endete, nachdem die Bush-Jahre „ewige Kriege“ und eine Finanzkrise hervorbrachten und Barack Obama 2008 als erstem schwarzen Präsidenten den Weg ebneten, fand die Republikanische Partei endlich einen neuen Feind im Innern des Landes. Zu diesem Zeitpunkt gab es wieder genug Ressentiments und Rassismus, um die neue Propaganda zu befeuern.
Mithilfe einflussreicher rechter Medien tauften die Verfechter des weißen Nationalismus die liberale und „woke“ demokratische Linke als die neuen „Kommunisten“ im eigenen Land. Und es funktionierte. Bis November 2016 hatten Ideologen wie Steve Bannon, dank Fox TV, den Boden für einen egotistischen Entertainer bereitet, der das Weiße Haus usurpierte, indem er einen christlichen Nationalismus ohne jegliche Moral präsentierte, in dem sich jeder selbst der nächste ist. Und es spricht für die Überzeugungskraft von Trumps Performanz, dass dieses lange reifende Projekt sogar bei Menschen Anklang findet, die darunter leiden.
Denn wenn man durch Amerika reist und hier und da mit Veteranen, bleiben viele ihrem Präsidenten treu, egal, was seine Politik mit ihnen macht; Männer wie Bubba, den wir am Posten 3016 der „Veteran of Foreign War“ in Selma, Alabama, treffen. Bubba hat in keinem Krieg gekämpft. Er diente von 1970 bis 1976 nur in der Nationalgarde, „um dem Vietnamkrieg zu entgehen“. Aber er kommt gerne hierher, wegen der Kameradschaft und um am späten Nachmittag ein Bier zu trinken.
Hat er Donald Trump gewählt? „Ja, natürlich, und ich bereue es nicht.“ Und was ist mit der offenen Verachtung des Präsidenten für Veteranen? „Ich hatte ja keine Wahl“, sagt er, denn Kamala Harris hätte die Grenzen offen gehalten. Er erzählt mir, dass viele Weiße Selma verlassen haben, „weil sie denken, die Schwarzen hätten die Macht übernommen“. Er hat Donald Trump gewählt, „damit die Steuergelder nicht weiter an alle Sozialhilfeempfänger gehen, nur nicht an mich“. Für Bubba scheint das wichtiger zu sein als die Wertschätzung der „Veterans of Foreign Wars“. Und viele in den vielleicht 5.000 VFW-Posten des Landes dürften im Augenblick ähnlich denken wie Bubba.
Nachdem ich das beeindruckende Fliegermuseum in Tuskegee verlassen hatte, schickte mir Eric Walker aus der “stolzen schwarzen Familie mit einer langen Geschichte im Kampf für die Freiheit“ eine E-Mail, in der er seine vorherigen Kommentare noch ergänzt: „Ich schäme mich für mein Land mit Trump und seiner Idiotenbande. Aber was mich zutiefst trifft, ist die schiere Zahl der Menschen, die für ihn gestimmt haben.“
Man fragt sich, was mit Amerika geschehen muss, damit diese Art Stolz wieder gewürdigt wird.
Christlicher Glaube und Politischer Agnostizismus
Religion und südstaatliche Identität sind eng miteinander verwoben. Wer den amerikanischen Süden bereist, spürt, dass Religion überall präsent ist, auch wenn die Zahl der Kirchenbesucher wie überall sonst zurückgeht. Und wo ließe sich die Identität des Südens besser ergründen als bei den Southern Baptists, der vorherrschenden Konfession mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis. Wo Donald Trump „Amerika zurückhaben“ will, wollen die Southern Baptists „zurück zu Gott“. Dennoch dürften fast vier von fünf Southern Baptists den amtierenden, nicht gerade religiösen Präsidenten gewählt haben. Wie passt das zusammen? Um das herauszufinden, sind wir in Nashville, Tennessee, der Hauptstadt der Country-Musik, die manche auch als „Schnalle des Bibelgürtels“ bezeichnen. Und dort, im wohlhabenden südlichen Vorort Brentwood, finden wir Brentford Baptist, eine riesige Kirche, oder besser gesagt, einen modernen, bibelorientierten religiösen Komplex.
Religion und südstaatliche Identität sind eng miteinander verwoben. Wer den amerikanischen Süden bereist, spürt, dass Religion überall präsent ist, auch wenn die Zahl der Kirchenbesucher wie überall sonst zurückgeht. Und wo ließe sich die Identität des Südens besser ergründen als bei den Southern Baptists, der vorherrschenden Konfession mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis. Wo Donald Trump „Amerika zurückhaben“ will, wollen die Southern Baptists „zurück zu Gott“. Dennoch dürften fast vier von fünf Southern Baptists den amtierenden, nicht gerade religiösen Präsidenten gewählt haben. Wie passt das zusammen? Um das herauszufinden, sind wir in Nashville, Tennessee, der Hauptstadt der Country-Musik, die manche auch als „Schnalle des Bibelgürtels“ bezeichnen. Und dort, im wohlhabenden südlichen Vorort Brentwood, finden wir Brentford Baptist, eine riesige Kirche, oder besser gesagt, einen modernen, bibelorientierten religiösen Komplex.
Es ist Mittagszeit im „Surefire Café“, so groß wie eine deutsche Universitätsmensa, und Catherine, Leila und Derrick von der Kommunikationsabteilung der Kirche besprechen ihre tägliche Arbeit. Sie sind alle Anfang 30 und stammen aus religiösen, konservativen Familien, obwohl Catherines Vater aus Syrien nach Amerika kam. Doch nachdem er die Bibel gelesen hatte, so erklärt seine Tochter, wechselte er vom „auf Scham basierten“ Islam zum „transparenten“ baptistischen Christentum und wurde Pastor in Tennessee; „um allen das Evangelium zu verkünden“. Sie geben zwar zu, dass die Mitglieder- und Besucherzahlen auch bei den Baptisten zurückgehen, glauben aber, dass die neuen Kirchenmitglieder der Generation Z aufgrund der „Härten, die sie erleiden“, in ihrer Suche nach Gott „ernsthafter und authentischer“ seien.
Dennoch besuchten in der Brentwood Baptist Church in der Concord Road 7777 mehr als 6.000 Gläubige die drei diesjährigen Ostergottesdienste, die Vorschule hat 500 Kinder unter fünf Jahren, und die Kirche kümmert sich um alle Menschen, auch um die mit besonderen Bedürfnissen. Mit Pastor Jay Strother hat sie einen überzeugenden Redner, dessen Predigten auf der Website der Kirche verfolgt werden können. Dazu lässt sich der „Plan für das Bibelstudium“ von der App herunterladen.
Die Southern Baptist Convention (SBC), der Dachverband der jedoch unabhängigen Southern Baptist Churches, ist mit der Zeit gegangen. Seit ihrer vergleichsweise liberalen Phase in den 70er Jahren erlebte die SBC einen „konservativen Aufschwung“ und rückte stetig nach rechts. In den letzten Jahren wurde sie von internen Auseinandersetzungen über die Zulassung von Frauen als Pastorinnen und die Akzeptanz der „kritischen Rassentheorie“ erschüttert, die zu Abspaltungen und dem Austritt einiger Kirchen aus der SBC führten. Es scheint, dass die Southern Baptists, die 1845 zur Verteidigung der Sklaverei gegründet wurden, ihre rassistischen Ursprünge noch immer nicht überwunden haben.
Bei der Brentwood Baptist Church, erklärt Catherine, „würde der Pastor niemals etwas Politisches von der Bühne predigen“. Hier konzentriere man sich ganz „auf das Evangelium und seine Identität durch Jesus“, fügt sie hinzu. Für Derrick ist die aktuelle politische Kontroverse um DEI (Diversität-, Gleichheit und Inklusionsprogramme) ein kulturell bedingtes Problem. „Aber Jesus sieht das anders.“ Doch was sagt die Bibel zu realen Fragen, zu politischen Maßnahmen und den Executive Orders aus dem Weißen Haus? „Wir beten für den Präsidenten“, sagt Catherine „Aber da wir alle Sünder sind, vertrauen wir nicht auf unsere politischen Führer, weil sie alle scheitern werden.“
In seinem wunderbaren Reisebericht „Hunting Mr. Heartbreak“ schreibt der verstorbene britische Schriftsteller Jonathan Raban über die Geschichte dieser Denkweise im amerikanischen Süden: „Die Konföderation betrachtete die Prädestination als politische Notwendigkeit, … der Sklavenhalter wurde zum Hüter des göttlichen Willens. Die Konservativen verteidigten Gottes eigene Ordnung gegen die blasphemischen Plünderungen der gottlosen Armeen des Nordens.“ Auch nach der Niederlage im Bürgerkrieg beriefen sich die Anhänger der Rassentrennung weiter auf „Gottes Befehl“, wenn sie die negroes in den hinteren Teil der Busse verbannten. Zeigt die rabiate Kritik an DEI-Programmen oder die stille Akzeptanz unrechtmäßiger Abschiebungen im Namen des Evangeliums nicht eine ähnliche Denkweise?
Wie also beurteilen sie die aktuellen Abschiebungen von Migranten? „Das ist hart für uns“, gibt Leila zu, „es ist die traurige Realität, in der wir leben bis Jesus wiederkehrt.“ Ist das alles? „Einfach beten“, fügt sie hinzu, „und für die Menschen, die unseren Weg kreuzen, tun, was wir für richtig halten.“
Belmont University, Campus in Nashville, Tennessee
Mit diesen Worten verlassen wir Brentwood Baptist und betreten Belmont University, nur 12 Meilen in Richtung Downtown Nashville, um herauszufinden, was andere Studenten über die Trump-Präsidentschaft denken, deren religiöse Identität zwar immer noch christlich ist, die sich aber weniger strikt an den Worten der Bibel orientieren. Belmont University beschreibt sich selbst als eine „christlich ausgerichtete Institution“, die „Studenten aus einem breiten Spektrum von Glaubenstraditionen willkommen heißt“. In ihren grandiosen, neoklassizistischen Gebäuden beherbergt die Universität fast 9.000 Studenten in 138 Bachelor- und 38 Masterstudiengängen. Die jährliche Studiengebühr beträgt etwa 45.000 Dollar, wobei die Hälfte der Studierenden ein Stipendium bekommt.
Auf dem Rasen vor dem Jack C. Massey Center finden wir Studenten, die Baseball spielen, und Trayson, Rachel und Savannah, die sich auf ihre letzte Unterrichtsstunde des Semesters vorbereiten. Sie sind Erstsemesterstudenten/-innen im Fach Betriebswirtschaftslehre und stammen aus christlichen Familien, obwohl Trayson betont, dass die Mitglieder seiner Familie unterschiedliche politische Ansichten haben. „Mir gefällt diese politische Polarisierung nicht.“ Wie also diskutieren die Studierenden der Belmont University über die umstrittenen Maßnahmen der Trump-Administration, zum Beispiel über die Abschiebungen? „Wir reden untereinander nicht über Politik“, sagt Rachel. „Die Leute hier in Tennessee sind davon nicht so betroffen wie die Menschen in Kalifornien oder näher an der Grenze“, fügt Trayson hinzu.
Als der Besucher ihnen von den empörten Reaktionen in Europa auf Trumps Treiben auf der internationalen Bühne berichtet und die kritische Berichterstattung der New York Times über seine Verordnungen beschreibt, wirken sie sichtlich überrascht. Wie sie denn an ihre Informationen kommen, frage ich? „Wir lesen keine Zeitungen“, sagt Savannah, „wir informieren uns über soziale Medien.“ Und wie können sie dort Wahrheit von Fiktion unterscheiden? „Wenn das schwierig wird, fragen wir unter Freunden nach.“
Man muss sich offensichtlich nicht strikt an die Bibel halten, um gegenüber der Politik zum Agnostiker zu werden.
Unter Rednecks und Anderen beim NASCAR Autorennen
Ich sitze in Abschnitt ME, Reihe 22, Platz 14 auf dem Taladega Superspeedway - und damit mitten in der Redneck-Kultur. So zumindest geht das Klischee: zwischen konservativen Biertrinkern und Südstaaten-Rassisten, die alles hassen, was mit schwarzer Kultur, Feminismus, LGBTQ und nüchternen Küsteneliten zu tun hat. Wenn ich mich umschaue, sehe ich tatsächlich viele weiße Männer von eher ungepflegtem Äußeren, aber auch propere Mittelklassefamilien, kleine Gruppen von Afroamerikanern und einige Männer, die problemlos im Vorstand eines mittelständischen Unternehmens sitzen könnten; und alle amüsieren sich prächtig unter der schon sengenden Frühlingssonne Alabamas. Doch NASCAR-Rennen werden als Schlachtfeld der Klassen- und Kulturkämpfe beschrieben, auf dem die Flagge der Konföderation weht und republikanische Politiker vorbeischauen, um ihren echten oder vorgetäuschten Südstaaten-Konservatismus zu demonstrieren. Wir werden sehen.
Ich sitze in Abschnitt ME, Reihe 22, Platz 14 auf dem Taladega Superspeedway - und damit mitten in der Redneck-Kultur. So zumindest geht das Klischee: zwischen konservativen Biertrinkern und Südstaaten-Rassisten, die alles hassen, was mit schwarzer Kultur, Feminismus, LGBTQ und nüchternen Küsteneliten zu tun hat. Wenn ich mich umschaue, sehe ich tatsächlich viele weiße Männer von eher ungepflegtem Äußeren, aber auch propere Mittelklassefamilien, kleine Gruppen von Afroamerikanern und einige Männer, die problemlos im Vorstand eines mittelständischen Unternehmens sitzen könnten; und alle amüsieren sich prächtig unter der schon sengenden Frühlingssonne Alabamas. Doch NASCAR-Rennen werden als Schlachtfeld der Klassen- und Kulturkämpfe beschrieben, auf dem die Flagge der Konföderation weht und republikanische Politiker vorbeischauen, um ihren echten oder vorgetäuschten Südstaaten-Konservatismus zu demonstrieren. Wir werden sehen.
Der wiederkehrende, höllische Lärm, wenn die hochgetunte Meute der stock cars im Minutentakt mit einer Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometer auf dem 4.30 km langen Oval am Publikum vorbeirast, erschwert jede Unterhaltung. Doch bei seiner Rückkehr zu einem NASCAR-Rennen nach über 30 Jahren wirkt John Schleicher rechts neben mir etwas enttäuscht und nostalgisch. „Dieses Rennen ist nicht mehr das, was es einmal war“, sagt er. „Die Zuschauerreihen haben sich gelichtet, die Autos sind zu schnittig und gleichförmig, die jungen Fahrer kommen aus Kalifornien oder von irgendwo weit her und könnten ihre Autos nicht einmal mehr selbst reparieren“. Ganz anders als deren Vorgänger bei seinem letzten Besuch.
Tatsächlich haben sich der Stockcar-Rennsport und die NASCAR-Organisation stark verändert, insbesondere seit Dale Earnhardt, der berühmteste Held des Sports, 2001 in Daytona gegen die Außenwand des Steilkurven-Ovals prallte. Das war zu einer Zeit als der NASCAR-Sport den Höhepunkt seiner Popularität erreicht hatte.
Was mit den bootleggers begann, die während und nach der Prohibition versuchten, mit ihren getunten Autos der Polizei und dem Fiskus zu entkommen, was für die Befürworter der Rassentrennung später zum sportiven Ausdruck ihres sturen Südstaaten-Stolzes wurde, hat sich längst zu einem weiteren hoch kommerzialisierten amerikanischen Sport entwickelt. Als „die Anzugträger kamen“, so beschrieb das Magazin „Politico“ die Entwicklung seit dem Tod Earnhardts, änderten die neuen Manager die Autos und die Regeln, schlossen kleinere Rennstrecken im Südosten der USA und verärgerten die traditionelle Fangemeinde.
Diese Fangemeinde in den Südstaaten der ehemaligen Konföderation lebte überwiegend in Regionen, die von der Globalisierung stark betroffen waren. Wo Fabriken schlossen, erlitten die lokalen Rennstrecken oft dasselbe Schicksal unter einem NASCAR-Management auf der Suche nach Profiten und neuen Märkten mit einem kaufkräftigeren Publikum. Dennoch ist es immer noch schwierig, am Taladega Superspeedway jemanden zu finden, der bei der letzten Wahl für die Demokraten gestimmt hat.
„Ich schätze, 9 zu 1 für Trump“, antwortet Sheriff Shawn McBride aus Shelby County, wenn man ihn nach der politischen Zugehörigkeit der Zuschauer bei diesem Rennen fragt. „Wir sind schließlich hier im Süden.“ Aber auch er und seine Kollegen haben an der Rennstrecke schon bessere Zeiten erlebt, als keiner der 100.000 Plätze unbesetzt blieb und zusätzlich Zehntausende innerhalb und außerhalb des Ovals campierten. Dennoch verfolgen an diesem Samstagnachmittag rund drei Millionen Zuschauer die Rennen in Taladega im Fernsehen. Und es gibt diejenigen, die nicht zuletzt für die große Party mit Country-Musik heute Abend gekommen sind.
Freunde wie Mike, Steven und Richard, die hinter dem aufgebockten Pickup auf dem grasbewachsenen Parkplatz ihr Bier trinken. Zwei von ihnen gehören der Armee an, die eng mit der NASCAR-Kultur verbunden ist und in der Vergangenheit die Rennen mitgesponsert hat. Einer ihrer Freunde ist bereits in seinem Gartenstuhl abgesackt. Das folgende Gespräch über Politik und Wahlen windet sich zwischen den Argumenten hin und her, wie es die Chevrolets, Fords und Toyotas zuvor auf der Rennstrecke getan haben. Und auch hier gibt es einige intellektuelle Karambolagen.
Mike, der in der IT arbeitet, hat sich von der Politik ganz verabschiedet. „Alles geht nur ums Geld und du hast nichts zu sagen. Es ist verdammt egal, was du denkst und tust. Alles ist manipuliert.“ Sein Freund Steven beginnt mit der Schönheit von Trump‘s Zöllen und endet mit dem Horror des Kommunismus, den er seit seiner Stationierung in Deutschland zu kennen glaubt, in einer Stadt kennt, deren Namen er vergessen hat. Es ist bleibt unklar, was das mit Joe Biden zu tun hat, aber die Diskussionen sind, gelinde gesagt, wild. Für alle drei sind die Demokraten „einfach nur die Hölle“, obwohl Richard immer noch dafür ist, dass beide Seiten miteinander reden. Und dann müssen die drei Jungs los, um ein paar chicks zu finden, womit sie offenbar die jungen Damen in Bikini-Tops, kurzen Röcken und hohen Cowboystiefeln meinen, die in Taladega leicht zu finden sind.
Wie viel Südstaaten-Konservatismus steckt also noch im NASCAR-Publikum? Nun ja, da war das lange Gebet, in dem Gott gebeten wurde, die Fahrer sicher bis zur Zielflagge zu steuern, als alle vor der Nationalhymne ihre Baseballkappen abnahmen. Doch wir haben auch die positiven Reaktionen aus der Menge gehört, als Catherine Legge zur ersten Fahrerin gekürt wurde, die je auf der längsten Rennstrecke des Sports hier in Taladega an der Spitze gefahren ist; und sei es nur für eine Runde. Natürlich wurde sie hauptsächlich von „Fußballmüttern“ gefeiert, die sich in den letzten Jahren zu den „NASCAR-Vätern“ gesellt haben – eine neue Mischung kultureller Stereotypen. Und ja, wir sahen auch ab und zu, wie die Flagge der Konföderation vor den Toren herumgefahren wurde, weil sie seit 2015 auf NASCAR-Geländen verboten sind.
Aber wir trafen auch Charles, der aus Charleston kommt, wo er für Boeing arbeitet. Charles und seine schwarzen Freunde wissen, „dass die drei Monate Hölle mit dem Idioten im Weißen Haus, der nicht weiß, was er tut, schlecht für Boeing und schlecht für Amerika sind.“ Und wie fühlen sie sich als Afroamerikaner inmitten der Menge angeblicher Rednecks bei diesem Stock-Car-Rennen? Charles kommt seit Jahren nach Taladega und „interessiert sich einen Dreck um die Flaggen der Konföderierten“. Er wurde hier in Alabama geboren. „Diese Leute sind Idioten“, sagt er munter, „aber wir haben Spaß bei den Rennen, und mir sind die scheißegal.“
Nostalgie für eine sakralisierte Welt
Der Papst ist tot, doch nicht alle beim „Eternal World Television Network“ in Irondale, Alabama, vergießen Tränen. Die hitzigen Angriffe auf Papst Franziskus sind vorerst einer schmeichelnden Berichterstattung über seine Beerdigung gewichen. Doch mit dem bevorstehenden Konklave wird der ideologische Kampf um die Seele des Katholizismus sicherlich auf die Bildschirme von EWTN, dem weltweit größten religiösen Mediennetzwerk, zurückkehren. Die Geschichte dieses katholischen Fernsehsenders läuft parallel zu den politischen Entwicklungen der Republikanischen Partei und der amerikanischen Rechten. Und sie stellt eine Herausforderung für die traditionell liberale katholische Kirche in den USA dar. All dies begann mit Mutter Angelica, einer einfachen Nonne, deren außergewöhnliche Karriere aus dem Kloster auf die globale Bühne des Fernsehens die Entwicklungen und Veränderungen in Medien, Religion und Politik der letzten 40 Jahre widerspiegelt.
Der Papst ist tot, doch nicht alle beim „Eternal World Television Network“ in Irondale, Alabama, vergießen Tränen. Die hitzigen Angriffe auf Papst Franziskus sind vorerst einer schmeichelnden Berichterstattung über seine Beerdigung gewichen. Doch mit dem bevorstehenden Konklave wird der ideologische Kampf um die Seele des Katholizismus sicherlich auf die Bildschirme von EWTN, dem weltweit größten religiösen Mediennetzwerk, zurückkehren. Die Geschichte dieses katholischen Fernsehsenders läuft parallel zu den politischen Entwicklungen der Republikanischen Partei und der amerikanischen Rechten. Und sie stellt eine Herausforderung für die traditionell liberale katholische Kirche in den USA dar. All dies begann mit Mutter Angelica, einer einfachen Nonne, deren außergewöhnliche Karriere aus dem Kloster auf die globale Bühne des Fernsehens die Entwicklungen und Veränderungen in Medien, Religion und Politik der letzten 40 Jahre widerspiegelt.
Betritt man die modernen Studiogebäude von EWTN, die an das alte Kloster angeschlossen sind, das Mutter Angelica in den 60er Jahren erbaute, erfährt man die Geschichte der bemerkenswerten Franziskanerin in einer Videopräsentation, gefolgt von der einfühlsamen Führung durch Steven Lynsford.
Im Alter von 40 Jahren spürte Mutter Angelica den Ruf Gottes, ein Kloster zu gründen, um im damals noch segregierten amerikanischen Süden schwarze Ordensschwestern zu rekrutieren – ein Ziel, das jedoch bald in Vergessenheit geriet. Stattdessen veröffentlichte Mutter Angelica spirituelle Bücher, die Stevens Vater druckte, und trat bald als Evangelistin in religiösen Fernsehsendern auf. In dem Video sieht man sie 1980 in einem Fernsehstudio in Chicago hinter dem Regiepult stehen und sagen: „So etwas will ich auch.“ Und so geschah es.
Die täglichen Ausstrahlungen begannen 1987. Zehn Jahre später folgten die ersten Satellitenübertragungen über die riesige Schüssel mit dem bezeichnenden Namen „Gabriel“, die heute noch hinter dem EWTN-Gebäude ihren missionarischen Dienst tut. Die Geschichte von Gabriel geht so: Als Mutter Angelica die 300.000 Dollar für die riesige Satellitenschüssel nicht bezahlen konnte, rief ein Millionär aus der Ferne an und überwies umgehend das Geld. Für Steven, der immer wieder betont, dass alles nur von den gläubigen Zuschauern finanziert werde, ist es kein Problem, die Kofinanzierung durch einen Kader wohlhabender konservativer Spender und politischer Aktivisten als Wunder darzustellen, als ein „Geschenk Gottes“.
Heute umfasst Mutter Angelicas katholischer Komplex mit 400 Mitarbeitern das EWTN-Netzwerk, das täglich rund um die Uhr an ein potenzielles Publikum von 400 Millionen Zuschauern weltweit ausstrahlt, das kämpferische „Catholic Register“ als Konkurrenzpublikation zum zahmen „Catholic News Service“ der US-amerikanischen Bischofskonferenz – und der beeindruckende „Shrine of the Most Blessed Sacrament“, eine Autostunde nördlich der Fernsehstudios.
Aus den EWTN-Studios wurden auch regelmäßig Angriffe auf die progressive Ideologie von Papst Franziskus gesendet, der diese im Gegenzug als „Werk des Teufels“ bezeichnet hat. Mutter Angelicas Hinwendung zum „wahren Katholizismus“ gegen die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils begann beim Weltjugendtag 1993 in Denver, als eine Frau ausgewählt wurde, Jesus zu spielen. „Ihr ganzes Ziel ist es, zu zerstören“, wetterte sie gegen diesen Akt der Blasphemie in „Mother Angela Live“. Der Fernsehkritiker James Martin schrieb 1995: „EWTN wurde zu einem verlässlichen Ort, an dem der Zorn auf die ‚liberale Kirche‘ regelmäßig ausgestrahlt wurde.“
Nach einem schweren Schlaganfall im Jahr 2001 setzte Mother Angelica ihre Live-Auftritte trotz ihres entstellten Gesichts fort. Doch eine zweite Gehirnblutung zwang Mutter Angelica zur Rückkehr in das Kloster, aus dem sie gekommen war und wo sie 2016 starb.
Seitdem ist ihr Biograf Raymond Arroyo als Moderator bei EWTN und häufiger Gast in den konservativen amerikanischen Medien, Mutter Angelicas Platzhalter geworden. Die Geschichte von EWTN ist also weniger ein Wunder, sondern eher ein Beispiel für die systematische Unterstützung konservativer Medien durch ein paar Dutzend christlich inspirierter, superreicher Spender. Arroyo lässt in seiner Sendung Leute wie den MAGA-Ideologen Steve Bannon auftreten, um dort seine populistische Position gegen die liberale Lehre zu vertreten. Wer Steven Lynsford fragt, wer während seiner Zeit bei EWTN zuerst den Rechtsruck vollzog – die Gläubigen oder die Leitung des Senders - erhält keine Antwort.
An einem Freitagnachmittag finden wir am „Schrein des Allerheiligsten Sakraments“ kaum Gläubige vor, sondern gähnende Leere. Das Heiligtum besteht aus einer beeindruckenden Kirche, einem Pseudo-Schloss, das einem Tempel aus dem 13. Jahrhundert nachempfunden ist, und einer Vielzahl weiterer Gebäude. Die Erzählung hierzu besagt, dass Mutter Angelica, als sie das katholische Heiligtum von „El Nino“ in Columbia besuchte, erneut ausgerufen haben soll: „Herr, so etwas möchte ich auch.“ Und so geschah es. Zum Wunder gehört, dass sich fünf Millionäre aus dem Norden Alabamas zusammenfanden und ihr das Land in der Nähe von Hanceville schenkten, um dort ihren „Schrein“ zu errichten.
An diesem Freitag erinnert die Szenerie am Heiligtum erinnert ein wenig an Lourdes, ehe die Massen kommen. Einige Besucher verlassen nach dem Besuch der 12-Uhr Messe die Kirche und steuern den Souvenirladen von „El Nino“ an. Einer von ihnen ist Chris mit seiner Familie, die aus dem hektischen Kalifornien in das ruhige Alabama „geflüchtet“ sind. Von hier aus absolviert Chris einen Online-Kurs in Psychologie und christlicher Beratung an der „Mercy University“ in Virginia, und er ist sich sicher, dass im ländlichen Alabama viel zu tun sein wird.
Chris verpasste die Wahl im November, hätte aber aufgrund seines Glaubens für Donald Trump gestimmt. „Trump ist gegen Abtreibungen und versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen.“ Aber macht er sich als Filipino keine Sorgen über die illegalen Abschiebungen, die gerade stattfinden? Überhaupt nicht, denn Präsident Biden hat die Grenzen einfach zu weit geöffnet. Und obwohl er ja katholisch ist, hat der demokratische Kandidat „meinen Glauben nicht gut vertreten“.
Wie lässt sich „wahrer Katholizismus“ mit einer Stimmabgabe für Donald Trump vereinbaren? Kim, die im Heiligen Schrein arbeitet, hat mit diesem scheinbaren Widerspruch kein Problem. Ja, Trumps Leben „war ein einziges Desaster, mit Partys und seinem Playboy-Leben“. Aber manche Heilige waren die größten Sünder, bevor sie Gott fanden, nicht wahr? Und Donald Trump „hat seine Bekehrung erlebt“ „Okay,“ gibt sie zu, „ein bisschen mehr davon könnte ihm nicht schaden.“ Doch er mobilisierte die konservative Basis und appellierte an ihre Pro-Life-Werte.
Kim kam von Texas nach Nordalabama und zum Heiligen Schrein, nachdem sie mit ihrer Business-Karriere unzufrieden geworden war, ihr Vater gestorben war und „die Frauenbewegung und die damit einhergehende Stärkung der Frauen sich negativ auf die Familie ausgewirkt hatten“. Also blieb sie zu Hause und zog ihre fünf Kinder groß. In Alabama sind Katholiken nur eine kleine Minderheit von 7 %, doch deutsche Einwanderer brachten im 19. Jahrhundert ihren Katholizismus mit, wo er seitdem neue Blüten treibt. Kim lebt im benachbarten Ort Berlin und preist ihre ländliche Umgebung: Die Menschen sind religiös, haben eine gute Arbeitsmoral und gute Manieren. Viele Eltern in ihrer Gemeinde unterrichten ihre Kinder zu Hause und „wollen nicht, dass sie an die Universität gehen, wo sie nur verwirrt und indoktriniert werden“. Mit 52 Jahren kann Kim heute die Schönheit des Gemeindelebens, der Mutterschaft und der Morgenmesse im Heiligtum wortreich und mit Begeisterung genießen. „Mutter Angelica“, sagt sie, “war immer für die Familie“.
In gewisser Weise hat der Kampf um Kultur und Seele der katholischen Kirche beim weltweit größten religiösen Fernsehsender die ideologischen Diskussionen beim Konklave in Rom vorweggenommen. Aber bei EWTN und im Heiligtum von Mutter Angelica hat der Kulturkampf-Katholizismus, den Papst Franziskus einst als „Nostalgie für eine sakralisierte Welt“ kritisiert hatte, klar gewonnen.
Auf der richtigen Seite der Amerikanischen Geschichte stehen
Man besucht „Farmington Historic Plantation“ am Stadtrand von Louisville, Kentucky, um etwas über Geschichte zu lernen. So ist zumindest die Idee. Hier hatte Präsident Abraham Lincoln 1841 seine erste persönliche Begegnung mit der Sklaverei, als er seinen Sklavenhalterfreund Joshua Speed besuchte, um die Depression und Verzweiflung zu überwinden, in die er als junger Politiker damals gefallen war. Heute führt David Green die Besucher über das 220 Hektar weite Plantagengelände. Und er fragt sich oft, wie er den meist ahnungslosen Touristen die Erfahrung der Sklaverei und deren Rolle in der Geschichte des Südens am besten erklären kann; wo er doch als Geschichtslehrer nicht einmal versteht, was in den letzten Jahrzehnten mit seinem Land geschehen ist.
Man besucht „Farmington Historic Plantation“ am Stadtrand von Louisville, Kentucky, um etwas über Geschichte zu lernen. So ist zumindest die Idee. Hier hatte Präsident Abraham Lincoln 1841 seine erste persönliche Begegnung mit der Sklaverei, als er seinen Sklavenhalterfreund Joshua Speed besuchte, um die Depression und Verzweiflung zu überwinden, in die er als junger Politiker damals gefallen war. Heute führt David Green die Besucher über das 220 Hektar weite Plantagengelände. Und er fragt sich oft, wie er den meist ahnungslosen Touristen die Erfahrung der Sklaverei und deren Rolle in der Geschichte des Südens am besten erklären kann; wo er doch als Geschichtslehrer nicht einmal versteht, was in den letzten Jahrzehnten mit seinem Land geschehen ist.
Mit welchem Geschichtsbild, frage ich David, kommen seine Besucher nach Farmington mit seiner Villa aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg und dem Gelände, auf dem die Familie Speed 57 Sklaven arbeiten ließ? Welches Wissen haben sie, und welches historische Gepäck tragen sie bei sich? Nun, sagt er, die Besucher kämen mit dem an, was sie in der Schule gelernt hätten. „Die Sklaverei war falsch, aber der Süden kämpfte für eine edle Sache, auch wenn sie tragisch und selbstmörderisch war.“ David kann einige Hintergründe zu diesem „Mythos des verlorenen Kampfes“ liefern: 1840 besaß mehr als ein Viertel der Bevölkerung Kentuckys Sklaven, die meisten hatten nur zwei oder drei. Daher war Farmington, wo so viele Sklaven auf den Hanffeldern und in den Obstgärten hinter dem Haupthaus arbeiteten, eine für den Bluegrass State eher ungewöhnliche Konstellation. Und später im Bürgerkrieg trat Kentucky der Union lediglich aus taktischen, nicht aus moralischen Gründen bei. Daher ist das Beiwort „edel“ wohl nicht das passende Wort für das, wofür die Südstaaten im Bürgerkrieg kämpften.
Das Schulwissen besage auch, so fährt David fort, “dass wir nach dem Krieg alle wieder zusammenkamen, obwohl die Schwarzen während der Jim-Crow-Ära weiter Bürger zweiter Klasse blieben“. Doch dann kamen die Bürgerrechtsgesetze und Martin Luther King’s „I have a dream“-Rede, so paraphrasiert er das Wissen der Besucher - „und jetzt sind wir alle gleich“.
Manchmal fragt sich David Green, welche Wirkung seine Führungen auf die Besucher der „Farmington Plantation“ haben, wenn deutlich wird, dass viele einfach nur wissen wollen, wie die weißen Plantagenbesitzer lebten. Doch der pensionierte Geschichtslehrer erzählt weiter „von der Vergangenheit wie sie wirklich war, auch wenn das für manche ziemlich hart klingt“.
Amerikanische Geschichte war immer mehr ein Feiern der Historie als deren kritisches Hinterfragen. Aber man versteht, was er meint, wenn die Besucher kaum eine Antwort auf meine Frage finden, was sie denn hierhergeführt hat. “Weil wir unsere Freundin irgendwohin ausführen wollten”, oder: “Wir wollten einfach nur mal vorbeischauen”.
David Green wuchs in einer fundamentalistischen Kirche auf, wechselte aber später zur presbyterianischen Konfession. Jung und rebellisch in einem damals erzdemokratischen Bundesstaat musste er einfach für Richard Nixon und Ronad Reagan stimmen, lacht er heute über seine Jugendsünden. Doch “erleuchtet von meinem Studium der Geschichte”, hat er seitdem nur noch die Demokraten gewählt, als Bürger in einer noch liberalen Stadt aber im längst zu den Republikanern konvertierten Bundesstaat Kentucky. Am 5. April gehörte David zu den rund 2.000 Bürgern von Louisville, die vor der Metro Hall gegen die Angriffe der Trump-Regierung auf staatliche Institutionen und Sozialdienste protestierten. Nun hofft er, dass die gerichtlichen Anfechtungen der Abschiebung von Migranten und der Widerstand der Harvard University gegen Trumps Anordnungen weiteren öffentlichen Widerstand entfachen werden.
David liest gerade die Memoiren der bekannten Historikerin Doris Kearns Goodwin, in denen sie die Begeisterung und den Idealismus ihres verstorbenen Mannes Dick beschreibt, der als Redenschreiber und Berater für die Präsidenten Lyndon B. Johnson und John F. Kennedy arbeitete. Und er fragt sich, „wie wir das Konzept der “Great Society" aufgeben konnten, nachdem es in Amerika Raum für Einwanderer aller Art gibt.“
Wenn man den Geschichtslehrer, den Christen und Demokraten David Green fragt, wann in Amerika etwas schiefgelaufen sei, antwortet er zunächst: „Ich weiß es nicht.“ Auf die Frage, wie die patriotische amerikanische Öffentlichkeit, die einst so stolz auf ihre Soldaten während der Golfkriege war, es heute tolerieren könne, dass ein Präsident den verstorbenen Kriegshelden und Senator John McCain lächerlich macht und die Mittel für die Veteranen kürzt, schüttelt er nur den Kopf. „Die Großeltern der Leute haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft, und jetzt? Das verstehe ich nicht.“
Und dann beginnt David darüber nachzudenken, wann und wo sein Land vom Weg abgekommen ist: „In den 60er Jahren sprachen die Menschen über Chancen und Menschenrechte. Doch dann, in den 70er- bis 90er-Jahren, wurden wir selbstgefällig und egozentrisch. „Heute nach mehr als 40 Jahren“, so meint er, „müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir unserer Verantwortung gerecht geworden sind.“ David gibt den Kindern von heute keine Schuld. „Wir haben sie nicht richtig erzogen.“ “Vielleicht”, fragt er sich, „sind die Dinge noch nicht so schlimm, dass es wehtut“.
Und die Demokraten? Seiner Ansicht nach ist die Demokratische Partei heute zu technokratisch. Sie bräuchten die Passion, die Franklin D. Roosevelt, J.F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Martin Luther King gezeigt hätten. Nicht MAGA, sondern “Make Americans Remember who they are”. Die Amerikaner müssten sich wieder mit religiöser Inbrunst der Demokratie verpflichten. „Obama konnte uns das geben, und die Leute haben ja reagiert.“
Aber ist der heutige Erfolg rechter Politik nicht auch eine späte Rache derjenigen, die meinen, das Land sei nicht bereit für einen schwarzen Präsidenten? “Ja”, sagt David, “der Rechtsruck hat viel mit Rassismus zu tun.”
Auf jeden Fall ist David Green zwar kurzfristig pessimistisch aber langfristig ein Optimist. Er wird weiterhin seinen Teil dazu beitragen, den Menschen ihre eigene Geschichte näherzubringen, indem er sie über das Gelände der „Farmington Historic Plantation“ führt, dem Ort, an dem Abraham Lincoln zum ersten Mal mit der Sklaverei in Berührung kam. Und wenn die Trump-Administration noch mehr Einwanderer abgeschiebt, wird er wieder demonstrieren gehen, um zu zeigen, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht.
( Das Photo zeigt David Green im Dining Room des Haupthauses auf der “Farmington Plantation”, wo der spätere Präsident Abraham Lincoln 1841 mit Mitgliedern der Familie Speed dinierte. )
Ruhe und Frieden in Munfordville
Während draußen in der Welt die Demokratie stirbt und die internationale Ordnung zusammenbricht, ist dies bei einem Aufenthalt in Munfordville, Kentucky, kaum zu bemerken. Denn diese Kleinstadt mit 1686 Einwohnern und 776 Wohneinheiten an der Interstate 65 auf halbem Weg zwischen Louisville und Nashville bietet alles, was man braucht, wenn man in Frieden und Ruhe leben will – so wie alle hier: die, die schon immer hier gelebt haben, und die, die aus einer amerikanischen Großstadt hierhergezogen sind. Doch es gibt erste Anzeichen für ein paar Sorgen.
Während draußen in der Welt die Demokratie stirbt und die internationale Ordnung zusammenbricht, ist dies bei einem Aufenthalt in Munfordville, Kentucky, kaum zu bemerken. Denn diese Kleinstadt mit 1686 Einwohnern und 776 Wohneinheiten an der Interstate 65 auf halbem Weg zwischen Louisville und Nashville bietet alles, was man braucht, wenn man in Frieden und Ruhe leben will – so wie alle hier: die, die schon immer hier gelebt haben, und die, die aus einer amerikanischen Großstadt hierhergezogen sind. Doch es gibt erste Anzeichen für ein paar Sorgen.
Als Kreisstadt von Hart County bietet Munfordville alles, was man zum Leben so braucht: einen Dollar Store und Pizzahut, ACE Autoparts und Sweet Farming Equipment, ein freundliches “Welcome Center” und eine wunderbare öffentliche Bibliothek mit dem Gefängnis direkt dahinter; genügend Kirchen, ein medizinisches Zentrum und einen schönen Sportplatz am Green River, eine Buffalo Crossing, eine schmucke deutsch-amerikanische Bank, Ärzte und Zahnärzte, eine Drogerie, Anwaltskanzleien und ein Bekleidungsgeschäft für Motorradfans mit einem mobilen Café daneben – und Mexikaner.
Beginnen wir mit den Stadtflüchtlingen. Da sind Harry und Larry, die neben dem Open Road Leather - Laden sitzen. Harry kam von Wisconsin über Texas nach Munfordville und betreibt hier den Laden samt Café. Larry aus Michigan nennt die blank gewienerte 1700-ccm-„Triumph“-Maschine sein eigen, die vor seinem Lehnstuhl aufgebockt ist.
Harry erzählt, dass er vor nicht allzu langer Zeit auf einem Highway in Houston unterwegs war, als direkt vor ihm Gangmitglieder aus ihren rasenden SUVs aufeinander schossen. „An diesem Tag beschlossen meine Frau und ich, an einen ruhigen Ort zu ziehen.“ Hier in Munfordville kann er eine seiner drei Harley Davidsons aus der Garage holen und ungestört durch die wunderschöne Landschaft fahren. „Wenn dich hier jemand erschießt, weißt du, dass es Absicht war“, lacht er mit einem breiten Grinsen hinter seinem imposanten weißen Bart.
Larry kann noch ein paar weitere Geschichten über Kriminalität und Korruption den Städten hinzufügen. Sie beide haben Donald Trump gewählt und bereuen es nicht im Geringsten. „Trump tut nur, was wir brauchen“, sagt Larry, „die Steuerbehörde abschaffen und von Zöllen leben“. Und Trump räume mit dem Betrug in der Regierung auf. Gerade hat Larry in den Nachrichten gehört, dass Elon Musks Washingtoner Stoßtruppen zur Durchsetzung von Regierungseffizienz (DOGE) „im Register der staatlichen Sozialversicherung achthundert 150-Jährige gefunden haben“. Nein, so etwas findet man in einem Ort wie Munfordville nicht.
Vor dieser Begegnung hatte mich die Dame im „Welcome Center“ gut eingewiesen. Von hier aus müsse sie nicht nach Louisville fahren, um einzukaufen. „Zu viele Autos und Fahrspuren auf dem Highway.“ Ihr reiche die 30 Kilometer lange Fahrt nach Elizabethtown. Deshalb kämen die Leute hierher, sagt sie, weil es bequem und friedlich sei. „Ja, alles ist konservativ, so sind wir eben.“ Natürlich habe sie Trump gewählt, wie 80 % der Wähler in Hart County. „Was ist denn daran falsch?“ Wo sie so hilfsbereit ist, erscheint es mir absurd und unfair, sie zu fragen, was sie davon hält, dass Trump den Obersten Gerichtshof ignoriert oder die Bundesmittel für Eliteuniversitäten kürzt. Schließlich will sie einfach nur ihre Ruhe haben.
Hier in Kentucky, erklärt sie, seien die Kirchen sehr stark. Die größte Konfession in dieser Gegend seien die Southern Baptists, gefolgt von den Methodisten und anderen. Und dann gebe es noch die Gemeinden der Amish, die erst Anfang der 1990er Jahre aus Ohio und anderswo hierhergezogen seien. „Sehr nette Leute mit eigenen Schulen und einige von ihnen sehr, sehr konservativ.“
Vom „Welcome Center“ zu Wikipedia. Die Bevölkerung von Hart County besteht zu 87,33 % aus Weißen und zu 11,45 % aus Afro-Amerikanern. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 11.447 Dollar, womit das Haushaltseinkommen das 20- Niedrigste in den USA ist. Mehr als ein Viertel der Haushalte lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Mexikaner tauchen in diesen Statistiken kaum auf, betreiben aber zwei erfolgreiche Restaurants, und man findet sie samstagmorgens auf dem Fußballplatz, wo sie zwei Mannschaften bilden und ein Dutzend Zuschauer stellen. Hier treffen wir Eric, dessen Mannschaft gerade gewonnen hat. Was denkt er über die politische Lage? Er möchte dazu nichts sagen. Hat er gewählt? Nein, hätte er tun können, hat es aber nicht. Warum nicht? „Politik, Technologie und all diese Dinge sind mir einfach zu viel.“ Eric hat sich entschieden, „sich da rauszuhalten“. So kann er sich auch keine Sorgen darüber machen, dass Venezuelaner gerade in salvadorianische Gefängnisse abgeschoben werden, weil er davon einfach nichts weiß.
Seine Frau Jennifer schaut manchmal die Nachrichten und ist besorgt, dass Donald Trump sich nicht an das Gesetz hält. „Es sollte wenigstens ein faires Verfahren geben.“ Aber was kann sie tun, „wenn die meisten Leute hier nur den Kirchen folgen.“
Später treffen wir John, der als „selbsterklärter Linker“ definitiv nicht die Republikaner gewählt hat. Kann er erklären, warum der demokratische Schaden, den Donald Trump in den ersten drei Monaten seiner Präsidentschaft angerichtet hat, kaum jemanden zu stören scheint? Er nennt es „vorsätzliche Ignoranz“.
Für John leben die Menschen im ländlichen Kentucky in einer anderen Welt. „Sie denken, ihre Steuergelder gehen an dicke Afroamerikanerinnen in den Städten, die ein weiteres Kind bekommen, nur um mehr Sozialleistungen zu erhalten.“ Dabei, so erklärt er, gehe ein Großteil dieses Geldes an ihre eigenen Tanten und Großmütter, die Medicare beziehen.
Für John sind die meisten Menschen in seinem Landkreis „Ein-Themen-Wähler“, sei dies nun Abtreibung, Alkohol oder Waffen. Aber er nennt sie trotzdem „Rassisten“, weil sie wussten, dass sie einen Mann gewählt haben, dessen erste Amtshandlung in seiner ersten Präsidentschaft darin bestand, Muslimen die Einreise nach Amerika zu verbieten. John kennt sich aus mit Rassismus und der Realität. Seine Frau ist eine Philippinerin, daher wuchsen seine Kinder in Louisville als Angehörige einer Minderheit auf, als er dort als Lehrer arbeitete.
Aber wie kommt er als einsamer Linker in einem so erzkonservativen Umfeld zurecht? Nun, eine Zeit lang hörte John auf, mit den Trump-Wählern in seiner Familie zu sprechen, aber das half nicht wirklich. So arbeitet er seit kurzem für die Abtei Gethsemane, ein Trappistenkloster unweit von Munfordville, und sieht sich dabei in der Tradition der katholischen Friedensaktivisten Daniel Berrigan und Thomas Merton aus den 1960er Jahren. John ist also von einem religiösen Umfeld in ein anderes geflohen und hofft dort die persönliche Balance zu finden, die er als Einzelkämpfer unter Menschen braucht, die seiner Meinung nach den Bezug zur Realität verloren haben.
Doch langsam hält die Realität von Trump 2.0 auch in Munfordville Einzug. „Bibliotheken in Kentucky könnten 2,7 Millionen Dollar verlieren“, titelt das „Courier Journal“ am 21. April. Leute wie Trish, die leitende Bibliothekarin, macht sich deswegen über die Zukunft durchaus Sorgen. Aber sie sagen es nicht laut, „um die Leute nicht noch mehr zu überfordern“. Trish wird den institutionellen Weg wählen und ihr Anliegen ihren beiden republikanischen Senatoren oder Gouverneur Beshear in Louisville vortragen, einem Demokraten, der als potenzieller Präsidentschaftskandidat für 2028 gilt. Trish jedenfalls sieht die neue Realität auf Munfordville und Hart County zukommen. „Sie fangen ganz oben an“, sagt sie, „bevor sie zu uns kommen.“
Automobilarbeiter gewinnen, die Demokraten verlieren
Wer jemanden kennenlernen möchte, dessen Biografie die jüngsten Entwicklungen in Orten wie Lordstown und Youngstown im ehemaligen industriellen Zentrum Nordost-Ohios widerspiegelt, sollte unbedingt mit George Goranitis sprechen, dem jungen Präsidenten der Ortsgruppe 1112 der United Automobile Workers (UAW). Seine mit 35 Jahren noch recht kurze, aber dennoch interessante Biografie steht im Zentrum der jüngsten Geschichte dieser Region zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen hochtrabenden politischen Versprechen und tiefen privaten Enttäuschungen. Sie zeigt auch die Gewerkschaft der Automobilarbeiter im Spannungsfeld zwischen Elektrofahrzeugen und Verbrennern, sowie zwischen Demokraten und Republikanern.
Wer jemanden kennenlernen möchte, dessen Biografie die jüngsten Entwicklungen in Orten wie Lordstown und Youngstown im ehemaligen industriellen Zentrum Nordost-Ohios widerspiegelt, sollte unbedingt mit George Goranitis sprechen, dem jungen Präsidenten der Ortsgruppe 1112 der United Automobile Workers (UAW). Seine mit 35 Jahren noch recht kurze, aber dennoch interessante Biografie steht im Zentrum der jüngsten Geschichte dieser Region zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen hochtrabenden politischen Versprechen und tiefen privaten Enttäuschungen. Sie zeigt auch die Gewerkschaft der Automobilarbeiter im Spannungsfeld zwischen Elektrofahrzeugen und Verbrennern, sowie zwischen Demokraten und Republikanern.
George Goranitis hat nur 25 Minuten Zeit für den Besucher, bevor er zu seinem nächsten Meeting mit Arbeitern muss, die sich in ihrem Unternehmen auch gewerkschaftlilch organisieren wollen. Also müssen wir uns beeilen. Sein bisheriger Werdegang: 2008 machte George seinen Schulabschluss und wurde sofort als Maschinist im großen General-Motors-Werk zu einem Stundenlohn von 29 Dollar eingestellt. 2017 geriet die Zukunft des Werks in Gefahr, doch Donald Trump kam im Juli 2017 ins benachbarte Youngstown und forderte Arbeiter wie George auf, ihre Häuser nicht zu verkaufen und wegzuziehen, da er ihre Arbeitsplätze retten werde. Doch Anfang 2019 schloss General Motors das riesige Werk in Lordstown mit rund 4.000 Beschäftigten. Die Rolle des Präsidenten als Retter von Trumbull County schien ausgespielt.
Da George keine Jobs annehmen wollte, die nur die Hälfte seines früheren Gehalts einbrachten, nahm er das Angebot von General Motors an, in das Schwesterwerk in Spring Hill, Tennessee, zu wechseln, wo GM den Cadillac SUV produzierte. „Aber da ich Grieche bin und meine Familie sehr vermisste“, sagt George Goranitis, „kam ich bald wieder nach Lordstown zurück, als GM hier eine Batteriefabrik für Elektrofahrzeuge eröffnete.“ Dies war bereits der zweite Versuch von GM, die Branche auf eine elektrische Zukunft vorzubereiten. Das erste Start-up namens „Lordstown Motors“ wurde von der Trump-Administration im Wahlkampf 2020 lautstark angepriesen, doch General Motors ignorierte erneut die wiederholten Versprechungen des Präsidenten und beendete das Experiment kurze Zeit später.
Mit Joe Bidens Präsidentschaft im November 2020 sowie seiner Executive Order, die vorschrieb, dass bis 2035 die Hälfte aller in den USA produzierten Autos elektrisch sein sollen, war die Zukunft des neuen Batteriewerks „Ultium Cells“ gesichert. Ich hatte die beeindruckende, brandneue Anlage auf dem Weg zu Georges Büro bei Local 1112 gesehen. Von hier aus nahm das Leben des Gewerkschafters George Goranitis eine neue Wendung.
George war der Meinung, dass die 2.200 Arbeiter, die Batteriezellen produzierten, gewerkschaftlich organisiert sein sollten, wie es seine Kollegen im alten GM-Werk waren. George ist ein energischer und lebhafter Mensch, und man kann sich gut vorstellen, wie er seine Kollegen von seiner Mission überzeugte und seinen UAW-Chef Shawn Fain sogar zu einem Streikaufruf bewegte. Danach handelten George und seine Kollegen mit Firmenchefin Mary Barra einen Gewerkschaftsvertrag aus. „Wahrscheinlich bereut sie es jetzt“, vermutet er stolz auf diesen Erfolg. Heute ist „Ultium Cells“ die erste gewerkschaftlich organisierte Produktionsstätte für Elektrofahrzeugzellen in den USA. Der Vertrag deckt alle ihm wichtigen Sicherheitsmechanismen ab und sichert einen Stundenlohn von 35 Dollar bis 2028. Anschließend wurde George mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der Local 1112 UAW gewählt.
Die Geschichte von „Ultium Cells“ ist also ein Hoffnungsschimmer in einer Region, die weiter von Werksschließungen und dem Export von Arbeitsplätzen bedroht ist. Dies ist ein seltener Erfolg für eine Gewerkschaftsbewegung, die nur 7 % der amerikanischen Lohn- und Gehaltsempfänger im privaten Sektor organisieren konnte. Aber sie verdeutlicht auch die prekäre Lage der UAW zwischen den politischen Fronten. Und sie zeigt, dass Donald Trump all seine Versprechen brechen und trotzdem die Demokraten als traditionelle Partei der Arbeiterklasse bei der Wahl schlagen kann. Wie kommt das?
Man denke nur an die wenig beneidenswerte Position von Shawn Fain, dem Präsidenten der UAW, der rund 400.000 aktive Mitglieder vertritt, von denen die meisten in der schrumpfenden Automobilindustrie beschäftigt sind. Im Wahlkampf von 2024 setzte er sich entschieden für die Demokraten ein und lehnt nach wie vor viele republikanische Positionen zur Gewerkschaftsarbeit ab. Doch Anfang April 2025 unterstützte Fain die ersten von Donald Trump verhängten Zölle.
Als Präsident von Local 1112 ist George Goranitis ebenso hin- und hergerissen. Eben hat er mit dem progressiven demokratischen Kongressabgeordneten Ro Khanna aus Kalifornien telefoniert, um die von Donald Trump im Januar verfügte Aufhebung von Bidens Elektroauto-Mandat zu besprechen. Und beide wussten nicht, so sagt er, ob das nun gut oder schlecht für die US-Industrie sei, wo sich sich die Dinge doch täglich ändern. „Was auch immer man von Zöllen hält“, sagt George, „die Bundesangestellten, deren Arbeitsverträge gerade Trump einfach zerreisst, sind unsere Brüder und Schwestern.“
Seit Georges Schulabschluss zur Zeit der Finanzkrise ist sein Heimatstaat Ohio zu einem heiß umkämpften Territorium geworden. Jahrzehntelang war der Staat eine Hochburg der Demokraten. Präsident Obama hatte Ohio 2012 noch überzeugend gewonnen. Doch 2016 fanden Donald Trump’s kühne Versprechen, Industriearbeitsplätze zurückzuholen, bei vielen weißen Arbeitern im Bundesstaat und darüber hinaus Anklang. Selbst 2020, als Joe Biden einige dieser Arbeiter im industriellen Mittleren Westen zurückgewinnen konnte, gewann Trump Ohio und Trumbull County mühelos – ein Erfolg, den er gegen Kamala Harris im letzten November mit einem noch größeren Vorsprung von 12 % wiederholte. „Ein durch Bidens Klimagesetz gestärktes Werk für Elektrofahrzeuge weckt Hoffnung in Nordost-Ohio – aber keine Wiederbelebung demokratischer Wurzeln“, fasst eine CNN-Schlagzeile vom September 2024 die bittere Erfahrung der Demokratischen Partei in der Region zusammen, in der George Goranitis heute die Arbeiter organisiert.
Bisher hat er seine Gewerkschaftstruppen mit Geschick durch das politische Minenfeld geführt. George hatte seinen Kollegen gegenüber angedeutet, dass er Kamala Harris für die bessere Wahl hielt, weiß aber, dass die meisten seiner Kollegen bei „Ultium Cells“ für Donald Trump gestimmt haben. Und er ist optimistisch, dass zumindest ein Teil der ausgelagerten Fertigung wieder in die USA zurückgeholt werden kann. „Wir haben qualifizierte Leute, wir brauchen nur noch die Arbeitsplätze.“ Es gebe da bereits Gespräche über ein neues Montagewerk, sagt er.
Aber jetzt ist unsere Zeit abgelaufen und George Goranitis hat sein Zoom-Meeting mit Arbeitern eines Unternehmens, das die gebrauchten Batteriezellen von „Ultium Cells“ recycelt. „Sie wollen sich auch gewerkschaftlich organisieren und lernen, wie wir das in unserem Werk gemacht haben.“
Zwei Meinungen zu Charleroi
Wer aus Pittsburgh kommend nach 50 Kilometer Richtung Süden in die alte Fabrikstadt Charleroi einfährt, glaubt zunächst, der Ort sei völlig verlassen. Die meisten Geschäfte in der Main Street sind vernagelt. Kaum jemand ist auf den Straßen zu sehen. Die Ampeln entlang der 12 Häuserblocks schaukeln nutzlos im Wind, denn es herrscht kaum Verkehr. Am Tag vor meiner Ankunft berichtete die Lokalzeitung vom „Schlusspfiff für das Corelle-Werk“ – der Schließung einer der letzten Fabriken in der einst stolzen Stadt, “nach 132 Jahren der Glasherstellung”. Wieder ein paar hundert Arbeitsplätze verloren. Und wieder geht ein kleines Kapitel in der 50-jährigen Geschichte vom Niedergang des amerikanischen Rust Belt zu Ende. Doch in den jüngsten Nachrichten über die Stadt drehte sich alles um die Invasion der Haitianer.
Wer aus Pittsburgh kommend nach 50 Kilometer Richtung Süden in die alte Fabrikstadt Charleroi einfährt, glaubt zunächst, der Ort sei völlig verlassen. Die meisten Geschäfte in der Main Street sind vernagelt. Kaum jemand ist auf den Straßen zu sehen. Die Ampeln entlang der 12 Häuserblocks schaukeln nutzlos im Wind, denn es herrscht kaum Verkehr. Am Tag vor meiner Ankunft berichtete die Lokalzeitung vom „Schlusspfiff für das Corelle-Werk“ – der Schließung einer der letzten Fabriken in der einst stolzen Stadt, “nach 132 Jahren der Glasherstellung”. Wieder ein paar hundert Arbeitsplätze verloren. Und wieder geht ein kleines Kapitel in der 50-jährigen Geschichte vom Niedergang des amerikanischen Rust Belt zu Ende. Doch in den jüngsten Nachrichten über die Stadt drehte sich alles um die Invasion der Haitianer.
Es war natürlich Donald Trump, der das Thema im vergangenen September während seines Wahlkampfs zur Sprache brachte. Über Charleroi sagte er bei einer Kundgebung in Arizona: „Was für ein schöner Name, aber jetzt ist es nicht mehr so schön. Unter Kamala Harris ist die Zahl haitianischer Migranten um 2.000 Prozent gestiegen … Diese Flut illegaler Einwanderer führt zu massiver Kriminalität in der Stadt und in allen umliegenden Orten.“ Für Trump war dies nur die Fortsetzung seiner erfundenen Geschichte, von den Haitianer in Springfield, Ohio, die Katzen und Hunde verzehrten. Für Charleroi war dies nur ein weiterer Tiefschlag.
Der Hintergrund für Trumps zündelnde Behauptung ist die Tatsache, dass in den letzten Jahren etwa 2.000 Haitianer auf der Suche nach schlecht bezahlten Jobs und billigem Wohnraum nach Charleroi gekommen sind. Auf der Main Street kann man sehen, wie einige der leerstehenden Gebäude von Einwanderern wiederbelebt wurden, in denen nun Lebensmittel und andere Waren verkauft werden. Zwischen einem verblichenen Nagelstudio und dem Chang Fat Mini Market befindet sich der Queen’s Market, und direkt gegenüber der Charleroi-Feuerwehr gibt es den Laden ria money transfer. Kurz gesagt: Die Einwanderer haben die seit 1960 auf die Hälfte geschrumpfte Bevölkerungszahl von unlängst 4.100 Bewohnern wieder ein wenig in die Höhe getrieben. Nicht alle Charleroi-Bürger halten dies für eine gute Sache.
„Charleroi war die magische Stadt“, erinnert sich Chris, der gerade mit seinem Pickup die örtliche Bibliothek verlässt. In seinen 35 Jahren bei der Polizei patrouillierte er in den 70er Jahren die Innenstadt. Samstagabends waren damals alle Bars, Restaurants und vier Kinos bis in die frühen Morgenstunden voller Menschen. Er erinnert sich auch gern an die Boote, die den Monogahela River hinauffuhren und am anderen Ende der Stadt anlegten, um die Kohle zu entladen, mit der früher die Stahlwerke in der Umgebung betrieben wurden.
In den letzten Jahren vor seinem Ruhestand hat Chris miterlebt, wie mit seiner Generation auch die „harte militärische Disziplin“ bei der Polizei verschwand. Stattdessen hielt in seinen Worten „Generation Z – oder wie die heissen” - Einzug, “die nur noch an Geld und einem guten Leben interessiert ist“. Die Zeiten haben sich geändert. Jetzt, mit seinen 71 Jahren, beobachtet Chris solche Veränderungen mit Sorge – und nicht etwa, weil er nur rechtsgerichtete Medien konsumieren würde. Stolz zeigt er mir seine verschiedenen Nachrichtenquellen auf dem Mobiltelefon, von den Nationalen Kabelsendern bis zum lokalen Mon Valley Independent.
Dennoch blieben ihm bestimmte Geschichten im Gedächtnis, wie zum Beispiel die, dass „den Weißen der Zutritt zu einem ausländischen Lebensmittelladen verweigert wurde“. Wie der Reporter des „New Yorker“ diese Geschichte bereits im vergangenen September widerlegt hatte, handelte es sich hier um ein Missverständnis oder eine bewusste Übertreibung. Es gab nie ein solches Schild, das den Zutritt verwehrte, aber weiße Bürger hatten sich über die Werbetafel vor Queen’s Market beschwert, weil dort nur Lebensmittel aus Afrika, Asien und der Karibik angeboten wurden, aber eben keine aus Amerika. Laut dem „New Yorker“ machte die Besitzerin ihren Fehler rasch wieder gut, indem sie hinter der Theke ein Wahlplakat für Donald Trump aufhing.
Und dann erzählt Chris noch die Geschichte, der Besitzer des Fourth Street Barbeque habe illegal Haitianer angeheuert und sie zwischen seinen Restaurants hin- und hergefahren. Und er verknüpft dieses Gerücht mit seinem Verdacht, die neue und sehr teure Ampelanlage an der Hauptstraße sei möglicherweise „von Bezirksbeamten und Lokalpolitikern finanziert worden, indem sie einen Anteil für den Einlass der Haitianer einstrichen“. Das ist eine ziemlich verwegene Verschwörungstheorie, aber sie kursiert offensichtlich in der Stadt. „Ich habe nichts dagegen, dass sie hier sind“, sagt Chris über die Haitianer, bevor er in seinen Pickup steigt und zu seinem Haus in den Hügeln außerhalb der Stadt fährt, „aber wir sind hier keine Zufluchtsstätte.“ Die 62,2 % der Bewohner von Washington, die am 5. November Donald Trump gewählt haben, würden seiner Ansicht wahrscheinlich zustimmen.
Weiter geht es zu Adriana im besagten ria-Geldtransfergeschäft. Sie ist Mexikanerin, ihr Vater kam 1985 in die USA und arbeitete zunächst auf den Gemüsefeldern in Florida, ehe er nach Pittsburgh zog und dort 2007 ein Restaurant eröffnete. Adriana und ihr Mann haben sechs Kinder, einige von ihnen haben bereits ihren Schulabschluss gemacht, der Jüngste hängt mit seinem Handy neben seiner Mutter hinter der Theke ab.
Ihre Familie sei hierhergekommen, erklärt Adriana, „weil Charleroi günstiger ist als Pittsburgh und es hier weniger Kriminalität und Drogen gibt“. Für Adriana sind die Geschichten über die haitianische Kriminalität in Charleroi allesamt gelogen und werden von Leuten verbreitet, „die uns einfach nicht mögen. Ich weiß, wie Haitianer leben; ich bin mit einem verheiratet“. In ihrem Geschäft sieht sie, wie hart Einwanderer arbeiten, um ständig Geld nach Hause zu schicken und sie muss ihre Visa oder Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren, bevor sie Geld überweisen dürfen.
Sie spricht von Menschen wie Exilien, der erst kürzlich aus Haiti angekommen Während er auf den Vollzug seiner Überweisung wartet, zeigt er mir stolz seinen gerade abgegebenen Visumsantrag, da seine Arbeitserlaubnis Ende des Monats ausläuft. Der schmächtige 30-Jährige freut sich über seine Arbeit in einem Grillrestaurant, spricht aber kaum Englisch. Er wirkt verzweifelt hoffnungsvoll, dass sein Antrag rechtzeitig bearbeitet wird. Doch es bleibt unklar, ob Exilien sich der Gefahr durch Donald Trumps jüngstes Dekret bewusst ist, die bereits zu einer ersten Razzia gegen Haitianer in Charleroi geführt hat. Es ist auch unklar, wie viele Haitianer die immer rücksichtslosere Einwanderungs- und Zollbehörde bereits abgeführt hat, eine Art der Aktion, wie sie Chris befürwortet Chris und Adrianna befürchtet.
In der Main Street, die korrekt Fallowfield Avenue heißt, treffe ich auch Linda, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, da sie im Bildungswesen arbeitet. Auf die Frage, ob sie Donald Trump und seine Einwanderungspolitik unterstütze, platzt es aus ihr heraus: „Ja, Trump ist ein Idiot, aber ich habe ihn gewählt.“ Und warum? „Weil wir nicht weiterhin so viel Geld verschenken und Schecks ausstellen können.“ Doch welches Geld meint sie, das Geld für die Verteidigung Europas oder für die Altersversorgung Medicare? Konkreter will sie hier nicht werden. „Aber so konnte es einfach nicht weitergehen.“ Denken ihre Nachbarn denn genauso? Sie und ihr Mann reden mit ihren Nachbarn einfach nicht mehr über Politik. „Es ist alles ein einziges Chaos.“
Washington D.C. - eine Stadt in Angst
In den guten alten Zeiten, wann auch immer diese gewesen sein mögen, konnte man immer mit den Leuten reden, sogar in Washington, D.C. Sie waren unglaublich beschäftigt, erzählten dem neugierigen Journalisten aber in der ersten Stunde unseres Treffens mehr, als er je wissen wollte. Das hat sich geändert, zumindest in der Hauptstadt, die Donald Trump mit seinen Dekreten in eine Stadt der Angst verwandelt hat.
In den guten alten Zeiten, wann auch immer diese gewesen sein mögen, konnte man immer mit den Leuten reden, sogar in Washington, D.C. Sie waren unglaublich beschäftigt, erzählten dem neugierigen Journalisten aber in der ersten Stunde unseres Treffens mehr, als er je wissen wollte. Das hat sich geändert, zumindest in der Hauptstadt, die Donald Trump mit seinen Dekreten in eine Stadt der Angst verwandelt hat.
Niemand, der für die Bundesregierung oder ihre Behörden arbeitet, möchte seinen Namen nennen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Freunde erzählen von ihrem prekären Leben zwischen den ständig wechselnden E-Mails von Elon Musks “Ministerium für Regierungseffizienz” (DOGE), die ihnen heute dies und morgen das mitteilen: dass man gefeuert wurde, oder vielleicht auch nicht. Deshalb wird in diesem Blogbeitrag niemand mit seinem richtigen Namen genannt. Und es gab kein einziges Gespräch mit Freunden und Betroffenen, das ohne die Adjektive „unglaublich“, „chaotisch“ und „erschreckend“ endete.
Einige ihrer Chefs haben das großzügige Angebot der Frühpensionierung angenommen und damit eine demoralisierte Belegschaft zurückgelassen, die ihre Institution nun allein gegen weitere Angriffe verteidigen muss. Andere Vorgesetzte haben das neue Regime mit sklavischem Eifer akzeptiert. Die klügsten Abteilungsleiter, so höre ich, fahren zweigleisig: Kein offenen Widerstand leisten, nicht einmal gegen die absurdesten Anordnungen; aber gleichzeitig alles tun, um zu retten, was möglich ist, indem sie die Auflagen nicht umsetzen.
Freunde von Freunden rufen nicht zurück, aber man hört, dass sie nicht in der Lage seien zu reden, überwältigt von dem plötzlichen Sturm, der ihr behütetes Mittelklasseleben kräftig durcheinander gewirbelt hat. Am stärksten betroffen von Elon Musks systemischem Wahnsinn scheint in Washington der medizinische Sektor mit dem National Institute of Health (NIH) als „Kronjuwel der amerikanischen Wissenschaft“ zu sein.
Laut Washington Post arbeiten 6.000 Wissenschaftler auf dem NIH-Campus mit 75 Gebäuden in Washingtons nördlichem Vorort Bethesda. Niemand würde bestreiten, dass dieser medizinische Komplex nicht einige Kürzungen verdient hätte. Doch hier wurde unser genetischer Code entschlüsselt, und wichtige Forschungsarbeiten für die Entwicklung von Medikamenten gegen AIDS, COVID und nun auch Fettleibigkeit gingen von dieser Institution aus. Die Entlassung vieler und die anschließende Wiedereinstellung weniger Forscher mitten in klinischen Studien versetzten nicht nur die Washingtoner Mitarbeiter in Erstaunen. Die Washington Post hat eine ihrer Lokalreporterinnen zu einer Art Kummerkastenfrau gemacht, der sie in Online-Kästchen mitteilen können: „Wie wirken sich Ihre Arbeitsplatzunsicherheit und wirtschaftliche Instabilität auf Sie aus?“ Oder: „Welche Änderungen an Ihrem Lebensstil mussten Sie in letzter Zeit vornehmen?“
Angst ist allgegenwärtig. Fragt man die Mitarbeiter des wunderbaren neuen National Museum of African American History, was sie von der „unbefristeten Beurlaubung“ ihres Chefs halten, antworten sie nicht. Fragt man die Mitarbeiter der alten und ehrwürdigen National Portrait Gallery, wie hoch sie die Chancen einschätzen, dass die kritischen Verweise auf die Rolle der Sklaverei in der amerikanischen Geschichte die Trump-Administration überleben, zucken sie nur mit den Achseln. Schließlich handelt es sich um eine Stadt mit einem schwarzen Bevölkerungsanteil von rund 43 %, in der die umstrittenen Diversity, Equality and Inclusion-Programme (DEI) erst recht spät in Kraft traten.
Doch genau diese sogenannten Woke-Referenzen zur Förderung der Gleichberechtigung stehen auf der Abschussliste der Republikaner, damit Institutionen – vom Kennedy Center of Arts bis zum Pentagon auf der anderen Seite des Flusses – diese Referenzen aus ihren Programmen, Websites und Kommunikationskanälen entfernen. „Die Museen in unserer Hauptstadt sollten Orte sein, an denen Menschen lernen – und nicht ideologischer Indoktrination oder spaltenden Narrativen ausgesetzt sein, die unsere gemeinsame Geschichte verzerren“, heißt es in Donald Trumps Executive Order zur versuchten Revision der amerikanischen Geschichte.
Washingtons schwarze Bürgermeisterin Muriel Bowser – ihre Demokraten erhielten im vergangenen November 93,5 % der Stimmen – sieht ihre gesamte Stadt von der Trump-Administration angegriffen. Die rechtliche und finanzielle Lage der Washingtons ist prekär. Der US-Kongress, der eine Milliarde Dollar aus seinem Haushalt kürzen will, könnte den erst knapp 50 Jahre alten District of Columbia per Gesetz einfach abschaffen.
Angesichts dieser doppelten Abhängigkeit ihrer Stadt von den gefährdeten Bundesinstitutionen und dem US-Kongress hat die Bürgermeisterin bisher kaum Widerstand geleistet. Einige ihrer Kritiker in der Demokratischen Partei nennen dies appeasement. Doch ein Freund, der für den D.C.-Gemeinderat arbeitet, findet ein solches Urteil „etwas unfair“. Denn wer reagiert derzeit nicht beschwichtigend auf die Angriffe von Trump und Musk: der US-Kongress, die meisten Eliteuniversitäten? Alle scheinen schockiert und von Angst getrieben zu sein.
So ergibt sich der Staat einfach seinem eigenen Abbau. Insgesamt gibt es in den USA 2,4 Millionen Bundesangestellte, 30 % davon Kriegsveteranen. Bis letzte Woche wurden 56.000 Stellenstreichungen bestätigt, weitere 17.000 sind geplant. 75.000 Bundesangestellte entschieden sich für großzügige Abfindungen. Die Entwicklungshilfe-Organisation USAID und der Auslandssender Voice of America wurden komplett aufgelöst, das Personal des Bildungsministeriums wird um 46 % und das des Gesundheitsministeriums um 24 % gekürzt. Da viele dieser Arbeitsplätze in der Hauptstadt liegen, wird dies die Steuerbasis der Stadt verringern und ihre Bürger demoralisieren, von denen nur 21.076 für Donald Trump gestimmt haben.
Warum also sind die Washingtonians nicht auf der Straße? Der Schock, die Hilflosigkeit, die Notwendigkeit, angesichts dieser plötzlichen Wendung der Ereignisse ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Vielleicht besteht die Hoffnung auf eine weitere E-Mail, die einen wieder einstellt - und definitiv die Angst, sich den unberechenbaren Mächten des neuen Regimes auszusetzen. „Es gibt hier im Gegensatz zu Europa kein historisches Erbe“, bemerkt ein Freund, „die Amerikaner mussten nie den Faschismus überwinden.“ Doch sie hatten einst einen Präsidenten, dessen erste Antrittsrede 1933 den berühmten Satz enthielt, den jedes Schulkind kennt: „Das Einzige, das wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.“ Es scheint, als müssten die wohlhabenden Beamten der Stadt die Bedeutung dieses Satzes erst noch erlernen.
Doch am 5. April protestierten erstmals Zehntausende Demonstranten am Washington Memorial. Meiner eher anekdotischen Umfrage zufolge hatten sich hier auch viele von weit her Angereiste und vor allem grauhaarige Rentner versammelt. Natürlich war schwer zu sagen, wie viele gefeuerte Beamte sich in der Menge befanden. Aber nur sehr wenige Teilnehmer wirkten wie Neuzugänge im Bürgerprotest, mit seinen eingeübten Slogans und selbstgebastelten Transparenten.
Nun, da waren Linda und Brian, beide Bundesangestellte, frisch verlobt und Anfang April frisch entlassen. Doch sie hatten keine Zeit, dem Besucher ihre Geschichte zu erzählen. Sie waren nur kurz zur Demonstration gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Nun mussten sie eilig nach Hause, um herauszufinden, wie sie ihre für die Hochzeit vorgesehenen Ersparnisse auslösen konnten, um sie nun für eine unerwartete Jobsuche zu verwenden.
Die Sache mit den Zöllen
Ich kenne Alan Tonelson schon lange als freundlichen, zuvorkommenden und sehr hilfsbereiten Menschen, der sich bestens mit Handelszahlen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen Ländern auskennt. Zölle waren schon immer sein Ding, selbst Anfang der 1990er Jahre, als sie das Gegenmittel zu Bill Clintons umstrittenem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) darstellten – und als sich niemand in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können, dass ein zwielichtiger Immobilienhai in New York und Moderator einer Reality-TV-Show Präsident der Vereinigten Staaten werden würde.
Ich kenne Alan Tonelson schon lange als freundlichen, zuvorkommenden und sehr hilfsbereiten Menschen, der sich bestens mit Handelszahlen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen Ländern auskennt. Zölle waren schon immer sein Ding, selbst Anfang der 1990er Jahre, als sie das Gegenmittel zu Bill Clintons umstrittenem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) darstellten – und als sich niemand in seinen kühnsten Träumen hätte vorstellen können, dass ein zwielichtiger Immobilienhai in New York und Moderator einer Reality-TV-Show Präsident der Vereinigten Staaten werden würde.
Heute Anfang 70, und stolzer Autor des Blogs RealityChek, hat Alan Tonelson miterlebt, welchen Weg das politische Plädoyer für eine energische Zollpolitik seither genommen hat: vom linken Flügel der Demokratischen Partei über den rechten Flügel der Republikaner jetzt bis hin zum Weißen Haus. Alan ist seinen protektionistischen Überzeugungen treu geblieben und folgt jetzt Donald Trump, wenn auch nicht bis auf die letzten Meter. Kurzum, im Gegensatz zu vielen anderen in der US-Politik und -Wirtschaft war Alan in seinen Argumenten zum Thema Handel immer konsequent.
Alan Tonelson ist von Hause aus Historiker und entwickelte seinen Wirtschaftsnationalismus in seiner Arbeit für Ronald Reagan’s ehemaligen Handelsbeauftragten Clyde Prestowiz, der in seinem einflussreichen Buch „Trading Places“ (1990) die amerikanischen Ängste vor einem Handelsdebakel mit Japan zum Ausdruck brachte. Damals vertrat Alan auch die „Paul Kennedy-Theorie des “Oberstretch”, der Überdehnung amerikanischer Macht und befürchtete, “dass sich die Verschlechterung der inländischen Wirtschaftslage negativ auf die US-Außenpolitik auswirken würde.”
In seinem Buch „Race to the Bottom“ (2002) formulierte Alan später seine eigene Theorie darüber, wie unkontrollierter Freihandel amerikanische Arbeitsplätze kostet und den Lebensstandard der Arbeiter senkt. Damals, sagt er heute auch selbstkritisch, „sah niemand die Bedrohung durch China kommen“. So wurde Alan zum China hawk, wie viele in beiden Parteien.
Aber was unterscheidet ihn und Donald Trump von der Biden-Administration, die ebenfalls Sanktionen und Exportkontrollen gegen die China verhängt hatte? Warum, so erwidert er, liefert NVIDIA immer noch seine zweitbesten Computerchips nach China, warum investiert ein Unternehmen wie INTEL immer noch Risikokapital in China? Für ihn hat die Biden-Administration einfach nicht genug getan. Und das liege daran, dass zwei Kategorien von akademischen China-Experten falsch lagen. Die einen, weil sie die Theorie des Freihandels, die sie in der Schule gelernt hatten, nie hinterfragten. „Die anderen, weil sie für das bezahlt werden, was sie schreiben“, glaubt Alan und beklagt die mangelnde Transparenz bei der Finanzierung der US-Denkfabriken. Er lobt Trump dafür, dass er „gegenüber China viel antagonistischer ist“.
Denn für Alan ist dieses chinesische Regime „das, was Nazi-Deutschland am nächsten kommt: ein gefährlicher Gegner“. Man stelle sich nur vor, sagt er, was mit der Kriegsführung passieren würde, wenn China die KI-Technologie kontrolliert. Für ihn besteht das Problem bei Verhandlungen mit China darin, dass „wir mit unserer legalistischen Kultur in den USA zunächst chinesische Subventionen nachweisen müssen. Aber sie schreiben nichts auf.“
Und was ist sein Problem mit Europa? Nun, 40 Jahre lang haben die Europäer die USA an der Nase herumgeführt. Warum der nukleare Schutzschirm, warum weiterhin von den USA in der Verteidigung abhängig sein? Bereits in den 90er Jahren hat Alan über diese unhaltbare und unfaire Situation Artikel verfasst. Er hält es da ganz mit John Foster Dulles, Präsident Eisenhowers Verteidigungsminister, der in den 50er Jahren erklärte: „Wenn die Franzosen die Deutschen nicht wieder aufrüsten lassen, sind wir weg.“ Doch dazu kam es nie.
Und warum, fragt Alan, muss Deutschland so abhängig von Exporten sein? „Es ist ihre Entscheidung. Sie sind souverän, aber wir machen uns Sorgen über die Beschränkungen, die unseren Technologieunternehmen auferlegt werden.“ Wenn hier zwei Wirtschaftsnationalismen aufeinanderprallen, so glaubt er, „wird gewinnen, wer mehr Macht hat“. Und das wird seiner Einschätzung nach Amerika sein, “weil es für die USA einfacher sein wird, den verlorenen heimischen Markt zurück zu erobern, als für Europa, neue Märkte zu erschließen” Für Alan sind wir damit beim sogenannten „Hegemons Dilemma” (Robert Triffin angekommen: “Wenn wir zu viele Kosten für andere Nationen tragen, wird Amerikas Macht erodieren.“
So viel zu den Gründen, die Alan Tonelson dazu gebracht haben, die Zollpolitik der Trump-Administration zu unterstützen. Er plädiert jedoch für ein wirtschaftspolitisches Gesamtpaket mit einem allgemeinen Zoll von 20 %, einer vernünftigen Industriepolitik und einer deutlichen Senkung der Körperschaftssteuer für in Amerika hergestellte Produkte. Und natürlich für deutlich höhere Zölle gegenüber China. Außerdem wünscht er sich Mechanismen, die alle Verhandlungenergebnisse mit anderen Ländern dauerhaft kontrollieren. Man solle ihnen lieber ein paar Monate Zeit geben, bevor sie Zölle erheben, um diese Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Genau das hat Donald Trump während unseres Mittagessens getan!
Aber wie fühlt es sich an, ein solch drastisches Zollregime gegen eine Phalanx von 16 Nobelpreisträgern und die gesamte liberale Kommentatorenschaft vom „New Yorker“ bis zur „Financial Times“ zu verteidigen? “Du meinst die Experten, die weder den Aufstieg Chinas noch die Finanzkrise vorausgesehen haben und am Washingtoner Konsens festhalten, dass deregulierte Märkte Wohlstand für alle fördern? Für Alan „keine gerade beeindruckende Bilanz“. Er streitet sich gern mit dem langjährigen Kolumnisten der „New York Times“, Paul Krugman, der ihn als „wirtschaftlichen Ignoramus“ bezeichnete. Was Krugman und viel links-liberale Ökonomen nicht verstehen, kontert Alan, sei, „dass man nicht nur gegen China allein Sanktionen oder Zölle verhängen kann. Das ist komplizierter”.
Aber macht sich Alan Tonelson keine Sorgen über die anderen Aspekte von Trumps Politik?
Nehmen wir nur DOGE, Elon Musks Ministerium für Regierungseffizienz, das die staatliche Bürokratie verschlanken soll. „Gute Idee“, sagt Alan, „aber Musk ist einfach nicht gut darin, sie umzusetzen.“
Oder was ist mit den autokratischen Tendenzen in Trumps Dekreten? Nun ja, „das Problem der imperialen Präsidentschaft kennen wir schon lange“. Schließlich habe auch Präsident Biden die Rückzahlung von Studienkrediten gestrichen, ohne den US-Kongress um Erlaubnis zu fragen. Und für Alan sind es beide Parteien, die das Gesetz politisieren und ihre politischen Gegner politisieren. Donald Trump für alle lange währenden und parteiübergreifenden Probleme verantwortlich zu machen, sei seiner Ansicht nach lediglich ein „Trump-Derangement-Syndrom der Linken“.
Alan Tonelsons Bedenken sind anderer Natur: dass Trump einlenkt oder dass seine Zollpolitik nicht lange genug anhält, um Amerikas gefährdete Wirtschaft wieder rentabel zu machen; oder dass die verarbeitende Industrie auch wirklich zurückgeholt wird, wenn auch nicht unbedingt alle alten Arbeitsplätze, da viele zurückgeholte Aufgaben, wie die Herstellung von Gesichtsmasken und Beatmungsgeräten, automatisiert werden. Dennoch ist er optimistisch, weil dem manufacturing jobs multiplicator zufolge ein Arbeitsplatz im Produktionssektor drei weitere in den Bereichen Dienstleistung, Logistik und Forschung & Entwicklung schaffen wird.
Alan ist nicht naiv. Er versteht, dass „die Amerikaner nicht bereit sind, Opfer zu bringen“, dass der politische Zyklus zu kurz ist, um die positiven Auswirkungen von Reformmaßnahmen rechtzeitig wirken zu lassen, wie es Joe Biden bei seiner Niederlage im November schmerzhaft erfuhr. Aber Alan hofft, dass die MAGA-Basis hält und moderate Republikaner ihrem Präsidenten gegenüber loyal blieben. Natürlich werden sich die Demokraten immer beschweren. „Aber womit können sie denn bei der nächsten Wahl punkten?“
Auch Alan kann die Möglichkeit einer Rezession nicht ausschließen, aber für ihn wie für Donald Trump wäre dies nur die bittere Medizin für eine Krankheit, die viel zu lange unbehandelt blieb. Bei einem Schuldenstand von über 35 Billionen Dollar, nach dem Verlust von wahrscheinlich Millionen Arbeitsplätzen durch die Globalisierung, für Amerika als militärischer Retter und Goldesel seiner Verbündeten und mit seiner Wirtschaft als Markt der letzten Instanz, so glaubt Alan, bieten politics as usual keine Lösungen mehr.
Für Alan Tonelson ist es genau das, was Präsident Trump sagt: „Es konnte einfach nicht mehr so weitergehen.“
Trump’s Psychopathologie
Der “Tag der Befreiung“, an dem Donald Trump am 4. April Amerika’s Zölle gegen die gesamte Welt verkündete, war ein Wendepunkt. Es war nicht nur der Tag, an dem die globale Wirtschaftsordnung erschüttert wurde. Es war auch der Tag, an dem viele liberale Kommentatoren ihren Kurs änderten. Hatten sie bisher noch versucht, seine sprunghaften, emotionalen und widersprüchlichen Ankündigungen mit einer tiefer liegenden Logik zu erklären – seien es Bruchstücke einer politischen Idee, Überreste einer Wirtschaftstheorie oder einfach ein billiges Geschenk an seine MAGA-Basis – so gingen sie nun zu persönlicheren Erklärungen über: der Typ sei einfach verrückt und gestört.
Der “Tag der Befreiung“, an dem Donald Trump am 4. April Amerika’s Zölle gegen die gesamte Welt verkündete, war ein Wendepunkt. Es war nicht nur der Tag, an dem die globale Wirtschaftsordnung erschüttert wurde. Es war auch der Tag, an dem viele liberale Kommentatoren ihren Kurs änderten. Hatten sie bisher noch versucht, seine sprunghaften, emotionalen und widersprüchlichen Ankündigungen mit einer tiefer liegenden Logik zu erklären – seien es Bruchstücke einer politischen Idee, Überreste einer Wirtschaftstheorie oder einfach ein billiges Geschenk an seine MAGA-Basis – so gingen sie nun zu persönlicheren Erklärungen über: der Typ sei einfach verrückt und gestört. „Donald Trumps Ego bringt die Weltwirtschaft zum Schmelzen“, schreibt Susan Glasser im „New Yorker“ und beklagt unser langjähriges „Missverständnis von Trumps Psychologie“. Und Derek Thompson analysiert in „The Atlantic“ eine „Metastasierung von Trumps Persönlichkeit“, er nennt die Krankheit „Grandiosität als Strategie“.
Angesichts der Tatsache, dass so viele politische Analysten und Wirtschaftsexperten Trump 2.0 falsch eingeschätzt haben, war es naheliegend, jemanden zu befragen, der Donald Trump häufiger als andere zu seiner Psyche interviewt hat, nämlich Marc Fisher, Co-Autor von „Trump Revealed: The Definitive Biography of the 45th president“ (2016/7). Marc war 37 Jahre lang als Reporter und Redakteur für verschiedene Nachrichtenbereiche der „Washington Post“ tätig und ist derzeit Kolumnist der Zeitung für D.C. und seine Vororte. Wir trafen uns in einem Café in Washington.
Marc ist nicht überrascht über die allgemeine Entwicklung der Ereignisse in den ersten 75 Tagen von Trumps zweiter Präsidentschaft. „Die grundlegende Scharade, die Respektlosigkeit gegenüber Opfern, die Übertreibungen, die Rache und der Wunsch nach Chaos, all das ist beständig und war schon immer da.“ Neu sei diesmal jedoch, so der Biograf, dass er jetzt im „overdrive“ vorgehe, um alles auf einmal zu erledigen, aus Angst, zur lame duck zu werden, zu einem Präsidenten auf Abruf.
Trump sei längst durch sein Alter geschwächt, was in der Öffentlichkeit jedoch durch die Energie von Elon Musk verdeckt werde. Das perfekte Bild dafür war die Szene, in der Elon und sein vierjähriger Sohn ihm im Oval Office die Schau stehlen. „Der Donald Trump des Jahres 2017 hätte eine solche Szene niemals toleriert“, sagt Fisher, „er saß einfach nur da, als wäre er besiegt.“
Im Donald Trump von heute erkennt Marc Fisher den Sohn, der die kognitiven Beeinträchtigungen seines Vaters und den langsamen Verfall seiner Mutter miterlebt hat; er sieht den Vater, der mit ansehen musste, wie ihn seine Tochter Ivanka, „die einzige Person, die er respektiert“, 2022 als Beraterin verließ, und mit ihm, wie sie es nannte, die „dunkle Welt“ der Politik; und einen 78-Jährigen mit wenigen oder gar keinen Freunden mehr. Als die Biografen Kontakt zu den Personen aufnahmen, die Trump ihnen als engste Freunde beschrieben hatte, waren drei von vier überrascht, so genannt zu werden.
Heute lebt Trump allein im Weißen Haus, ohne seine Frau Melania, twittert die Nacht durch und sieht sich vielleicht immer noch die Dokumentationen auf dem History Channel an, wie er dies schon in seinen Zwanzigern tat, als er seine Faszination für die starken Männer der Geschichte entwickelte. Für Trump gibt es 2025 keine politische Kundgebungen mehr, bei dem ihm die MAGA-Menge zujubelte, nur noch den wöchentlichen Trip zu seinem floridianischen Schloss in Mar-a-Lago, wo er von Donnerstag bis Sonntag als Teilzeitkönig einer einst rebellischen Nation regiert.
Da haben wir also den 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten zunehmend einsam und schon schon lange schwer gekränkt, weil er vom Establishment nie akzeptiert wurde, weder in New York noch in Washington. Das perfekte Bild dafür war sein von Rachsucht und Drohungen gekennzeichneter Besuch im Kennedy Center, der Hochburg des kulturellen Establishments der Hauptstadt, „der Leute”, so Fisher, “die ihn sein ganzes Leben lang ausgelacht haben“.
Diese gesellschaftliche Ablehnung könnte auch seine Bewunderung für die Tech-Brüder des Silicon Valley erklären, mit denen er den Narzissmus, den völligen Mangel an Empathie und, wie Fisher sagt, „die kindlichen Wünsche“ teilt. Diese Männer waren die einzigen verbliebenen Figuren des Establishments, die bereit waren, seine Pläne voll mitzutragen – zu ihrem eigenen Vorteil, versteht sich, und wer weiß, wie lange noch.
Was Elon Musk und die Tech-Industrie von Donald Trump wollen, ist klar: neue Verträge, bei denen die staatlichen Dienstleistungen weiter gekürzt und an private Unternehmen ausgelagert werden. Deren Firmenquartiere liegen entlang der neuen Metrolinie vom Flughafen Dulles in die Innenstadt. Und im Wald dahinter, sagt Fisher, könne man die Villen der Tech-Manager erkennen, die mit den Gewinnen aus der letzten Privatisierungsrunde gebaut wurden. Da will man lieber nicht wissen, was passiert, wenn Elon Musk die Kontrolle über die neuen Computersysteme der Regierung übernimmt, die diesmal auf seiner hauseigenen, künstlichen Intelligenz basieren.
Nur warum fühlen sich so viele Durchschnittsamerikaner von Trump angezogen? „Weil er schon immer ein guter Verkäufer war und jetzt einen binären “pitch” hat, der perfekt für soziale Medien ist”, sagt Marc Fisher. Ganz im Gegensatz zu den Demokraten, die sich immer wieder als „Meister der Nuancen“ präsentieren. Fast alle der letzten zwölf demokratischen Präsidenten seien Anwälte gewesen, also Männer, die dazu neigten, Regeln zu befolgen. Ganz anders die Republikaner, die Geschäftsleute oder einen Cowboy wie Ronald Reagan als Präsidentschaftskandidaten aufstellten. Damit sind wir beim aktuellen Konflikt: „Es geht um Bürgerrechte gegen Gesetzesbrüche“, beschreibt Fisher den Wettbewerb der beiden Parteien – und damit auch die Ambivalenz der amerikanischen Geschichte. Mit Donald Trump hat 2024 wieder ein Renegat gesiegt.
„Trump hat einen fabelhaften Instinkt, das Wichtige hinter dem Nebensächlichen zu sehen“, beschreibt Marc Fisher einen Grund für seine Anziehungskraft. Er arbeitet mit Alltagsthemen, die emblematisch sind. Doch was wird er mit seinem politischen Erfolg anfangen? Angesichts seiner Persönlichkeit und Familiengeschichte, seines übersteigerten Egos und seiner zunehmenden Einsamkeit muss Donald Trump befürchten, dass diese Präsidentschaft der letzte wichtige Akt seines Lebens sein könnte. „Und diese Untergrabung seiner grundlegenden Lebenserwartung“, fragt sich der Biograf, „könnte so verstörend werden, dass er ausflippt.“
Ist das etwa schon, so frage ich mich, was wir in dieser Woche sehen, in der Donald Trump den ausgerufenen Zollkrieg weiter eskaliert?
Auf nach Amerika…
Freunde hatten mich vor meiner Abreise in die USA gewarnt. „Es muss ein masochistischer Akt sein, in diesen dunklen Zeiten durch Amerikas Hinterland zu fahren“, sagte mir eine ehemalige Washington-Korrespondentin, bevor ich Berlin verließ. „Es ist schwer, hier guter Stimmung zu bleiben“, schrieb mir ein, desillusionierter Einwohner aus der US-Hauptstadt, bevor ich ankam.
Doch ich bleibe neugierig herauszufinden, was in den letzten 30 Jahren in und mit Amerika geschehen ist, nachdem meine sechsjährige Tätigkeit als US-Korrespondent für deutsche Zeitungen Anfang 1995 endete.
Freunde hatten mich vor meiner Abreise in die USA gewarnt. „Es muss ein masochistischer Akt sein, in diesen dunklen Zeiten durch Amerikas Hinterland zu fahren“, sagte mir eine ehemalige Washington-Korrespondentin, bevor ich Berlin verließ. „Es ist schwer, hier guter Stimmung zu bleiben“, schrieb mir ein, desillusionierter Einwohner aus der US-Hauptstadt, bevor ich ankam.
Doch ich war neugierig herauszufinden, was in den letzten 30 Jahren in und mit Amerika geschehen ist, nachdem meine sechsjährige Tätigkeit als US-Korrespondent für deutsche Zeitungen Anfang 1995 endete.
Dieser Blog hat also eine Geschichte. Diese begann im Sommer 1989, als die Reagan-Administration im Dämmerlicht verblasste und ich mich in Washington, D.C. zunächst journalistisch deplatziert fühlte während in Berlin die Mauer fiel. Doch es folgten Jahre faszinierender Erfahrungen und Einsichten in Geschichte, Gegenwart und Psyche eines Landes zwischen Hybris und Selbstzweifel. Zwischen Bewunderung und Unverständnis hatte ich eine wunderbare Zeit. Meine Geschichte mit Amerika endete als Forrest Gump“ den Oscar gewann, Jeff Bezos Amazon gründete und O.J. Simpson in Los Angeles vor Gericht stand – und kurz nachdem die Republikaner, erstmals seit 40 Jahren, die Mehrheit in beiden Kammern des US-Kongresses gewonnen hatten.
Damals, Anfang 1995, führte Newt Gingrich seine frischen republikanischen Stoßtruppen gegen die Globalisten der Clinton-Administration in die parlamentarische Schlacht, eine Gruppe neu gewählter Volksvertreter, stolz darauf keine Reisepässe zu besitzen, da sie Reisen ins Ausland für unnötig erachteten. Nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ und dem von Francis Fukuyama verkündeten „Ende der Geschichte“ widersprach Amerikas traditionelles Engagement in der Welt ihrer Haltung des „America First“, einem Slogan, den der Paläokonservative Pat Buchanan nur zwei Jahre zuvor in seiner erfolglosen Präsidentschaftskandidatur wiederentdeckt und salonfähig gemacht hatte. Dennoch sollten Wirtschaftsliberalismus und neokonservatives nationbuilding die Tugenden Amerikas noch über ein weiteres Jahrzehnt in der Welt verbreiten.
Doch nach dem skandal-trächtigen Ende der Clinton-Präsidentschaft im Jahr 2000, nach den fragwürdigen Anti-Terror-Kriegen des George W. Bush, nach der Finanzkrise von 2007 und den außenpolitischen Fehltritten der Obama-Regierungen kehrte „America First“ wieder zurück: zunächst 2016 als Wahlkampfthema und politischer Testballon - nach dem misslungenen Biden-Intermezzo jetzt mit aller Macht und in autokratischem Gewand.
Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass fast die Hälfte der 140 Millionen Wähler nicht für den rachsüchtigen Donald Trump gestimmt hat, der seitdem Feind wie Freund systematisch demütigt – all dies live on TV aus dem Weißen Haus, wie einst in seiner früheren Fernsehserie „The Apprentice“.
Deswegen möchte ich verstehen, was mit Amerika über den Zeitraum einer Generation hin geschehen ist. Wie hat sich das Leben der Menschen gewandelt? Was hat sich verändert, in der Nachbarschaft, auf den Bürgerversammlungen, an den Schulen und Universitäten, auf die sie ihre Kinder schicken. Was dachten und denken sie zu den Themen race und immigration, über alte und neue Einwanderer? Wie hat sich ihr Medien- und Nachrichtenkonsum verändert? Und was sagen die Bürger heute zur Arbeitswelt, zum Sozialsystem und zur Rolle des Staates in ihrem Alltag?
Mich interessiert also weniger, wie ein narzisstischer und skrupelloser Präsident agiert und reagiert, sondern mehr, wie seine Performanz und seine Versprechungen so populär werden konnten, und warum seine Politik seit dem 20. Januar auf so geringen Widerstand stößt.
„Bowling Alone“, „What happened to Kansas”, “The Unwinding”, “Fantasyland”, “Strangers in their own Country”, “Wildland”, “Hillbilly Elegies”, “When the Clock broke”, „Stolen Pride”, “History has begun” – all diese Bücher erkunden und erklären auf hervorragende Weise, wie die Vereinigten Staaten zu dem geworden sind, was sie derzeit darstellen: eine polarisierte Gesellschaft, voller Ressentiments und Wut. Aber gleichzeitig muss es auch ein ganz „gewöhnliches“ Leben geben, mit Freundlichkeit, Solidarität und Optimismus, mit Haltungen und Gefühlen also, über die weder traditionelle noch alternative Medien berichten.
All dies wollte ich einfach für mich selbst herausfinden.
Los geht es also, beginnend mit den Eliten in Washington, D.C. Und dann langsam durch das Hinterland Amerikas bis hinunter in den Süden der immer noch Vereinigten Staaten.
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