Nostalgie für eine sakralisierte Welt

Der Papst ist tot, doch nicht alle beim „Eternal World Television Network“ in Irondale, Alabama, vergießen Tränen. Die hitzigen Angriffe auf Papst Franziskus sind vorerst einer schmeichelnden Berichterstattung über seine Beerdigung gewichen. Doch mit dem bevorstehenden Konklave wird der ideologische Kampf um die Seele des Katholizismus sicherlich auf die Bildschirme von EWTN, dem weltweit größten religiösen Mediennetzwerk, zurückkehren. Die Geschichte dieses katholischen Fernsehsenders läuft parallel zu den politischen Entwicklungen der Republikanischen Partei und der amerikanischen Rechten. Und sie stellt eine Herausforderung für die traditionell liberale katholische Kirche in den USA dar. All dies begann mit Mutter Angelica, einer einfachen Nonne, deren außergewöhnliche Karriere aus dem Kloster auf die globale Bühne des Fernsehens die Entwicklungen und Veränderungen in Medien, Religion und Politik der letzten 40 Jahre widerspiegelt. 

Betritt man die modernen Studiogebäude von EWTN, die an das alte Kloster angeschlossen sind, das Mutter Angelica in den 60er Jahren erbaute, erfährt man die Geschichte der bemerkenswerten Franziskanerin in einer Videopräsentation, gefolgt von der einfühlsamen Führung durch Steven Lynsford. 

Im Alter von 40 Jahren spürte Mutter Angelica den Ruf Gottes, ein Kloster zu gründen, um im damals noch segregierten amerikanischen Süden schwarze Ordensschwestern zu rekrutieren – ein Ziel, das jedoch bald in Vergessenheit geriet. Stattdessen veröffentlichte Mutter Angelica spirituelle Bücher, die Stevens Vater druckte, und trat bald als Evangelistin in religiösen Fernsehsendern auf. In dem Video sieht man sie 1980 in einem Fernsehstudio in Chicago hinter dem Regiepult stehen und sagen: „So etwas will ich auch.“ Und so geschah es. 

Die täglichen Ausstrahlungen begannen 1987. Zehn Jahre später folgten die ersten Satellitenübertragungen über die riesige Schüssel mit dem bezeichnenden Namen „Gabriel“, die heute noch hinter dem EWTN-Gebäude ihren missionarischen Dienst tut. Die Geschichte von Gabriel geht so: Als Mutter Angelica die 300.000 Dollar für die riesige Satellitenschüssel nicht bezahlen konnte, rief ein Millionär aus der Ferne an und überwies umgehend das Geld. Für Steven, der immer wieder betont, dass alles nur von den gläubigen Zuschauern finanziert werde, ist es kein Problem, die Kofinanzierung durch einen Kader wohlhabender konservativer Spender und politischer Aktivisten als Wunder darzustellen, als ein „Geschenk Gottes“. 

Heute umfasst Mutter Angelicas katholischer Komplex mit 400 Mitarbeitern das EWTN-Netzwerk, das täglich rund um die Uhr an ein potenzielles Publikum von 400 Millionen Zuschauern weltweit ausstrahlt, das kämpferische „Catholic Register“ als Konkurrenzpublikation zum zahmen „Catholic News Service“ der US-amerikanischen Bischofskonferenz – und der beeindruckende „Shrine of the Most Blessed Sacrament“, eine Autostunde nördlich der Fernsehstudios. 

Aus den EWTN-Studios wurden auch regelmäßig Angriffe auf die progressive Ideologie von Papst Franziskus gesendet, der diese im Gegenzug als „Werk des Teufels“ bezeichnet hat. Mutter Angelicas Hinwendung zum „wahren Katholizismus“ gegen die Lehren des Zweiten Vatikanischen Konzils begann beim Weltjugendtag 1993 in Denver, als eine Frau ausgewählt wurde, Jesus zu spielen. „Ihr ganzes Ziel ist es, zu zerstören“, wetterte sie gegen diesen Akt der Blasphemie in „Mother Angela Live“. Der Fernsehkritiker James Martin schrieb 1995: „EWTN wurde zu einem verlässlichen Ort, an dem der Zorn auf die ‚liberale Kirche‘ regelmäßig ausgestrahlt wurde.“ 

Nach einem schweren Schlaganfall im Jahr 2001 setzte Mother Angelica ihre Live-Auftritte trotz ihres entstellten Gesichts fort. Doch eine zweite Gehirnblutung zwang Mutter Angelica zur Rückkehr in das Kloster, aus dem sie gekommen war und wo sie 2016 starb. 

Seitdem ist ihr Biograf Raymond Arroyo als Moderator bei EWTN und häufiger Gast in den konservativen amerikanischen Medien, Mutter Angelicas Platzhalter geworden. Die Geschichte von EWTN ist also weniger ein Wunder, sondern eher ein Beispiel für die systematische Unterstützung konservativer Medien durch ein paar Dutzend christlich inspirierter, superreicher Spender. Arroyo lässt in seiner Sendung Leute wie den MAGA-Ideologen Steve Bannon auftreten, um dort seine populistische Position gegen die liberale Lehre zu vertreten. Wer Steven Lynsford fragt, wer während seiner Zeit bei EWTN zuerst den Rechtsruck vollzog – die Gläubigen oder die Leitung des Senders - erhält keine Antwort. 

An einem Freitagnachmittag finden wir am „Schrein des Allerheiligsten Sakraments“ kaum Gläubige vor, sondern gähnende Leere. Das Heiligtum besteht aus einer beeindruckenden Kirche, einem Pseudo-Schloss, das einem Tempel aus dem 13. Jahrhundert nachempfunden ist, und einer Vielzahl weiterer Gebäude. Die Erzählung hierzu besagt, dass Mutter Angelica, als sie das katholische Heiligtum von „El Nino“ in Columbia besuchte, erneut ausgerufen haben soll: „Herr, so etwas möchte ich auch.“ Und so geschah es. Zum Wunder gehört, dass sich fünf Millionäre aus dem Norden Alabamas zusammenfanden und ihr das Land in der Nähe von Hanceville schenkten, um dort ihren „Schrein“ zu errichten. 

An diesem Freitag erinnert die Szenerie am Heiligtum erinnert ein wenig an Lourdes, ehe die Massen kommen. Einige Besucher verlassen nach dem Besuch der 12-Uhr Messe die Kirche und steuern den Souvenirladen von „El Nino“ an. Einer von ihnen ist Chris mit seiner Familie, die aus dem hektischen Kalifornien in das ruhige Alabama „geflüchtet“ sind. Von hier aus absolviert Chris einen Online-Kurs in Psychologie und christlicher Beratung an der „Mercy University“ in Virginia, und er ist sich sicher, dass im ländlichen Alabama viel zu tun sein wird. 

Chris verpasste die Wahl im November, hätte aber aufgrund seines Glaubens für Donald Trump gestimmt. „Trump ist gegen Abtreibungen und versucht, die Dinge in Ordnung zu bringen.“ Aber macht er sich als Filipino keine Sorgen über die illegalen Abschiebungen, die gerade stattfinden? Überhaupt nicht, denn Präsident Biden hat die Grenzen einfach zu weit geöffnet. Und obwohl er ja katholisch ist, hat der demokratische Kandidat „meinen Glauben nicht gut vertreten“. 

Wie lässt sich „wahrer Katholizismus“ mit einer Stimmabgabe für Donald Trump vereinbaren? Kim, die im Heiligen Schrein arbeitet, hat mit diesem scheinbaren Widerspruch kein Problem. Ja, Trumps Leben „war ein einziges Desaster, mit Partys und seinem Playboy-Leben“. Aber manche Heilige waren die größten Sünder, bevor sie Gott fanden, nicht wahr? Und Donald Trump „hat seine Bekehrung erlebt“ „Okay,“ gibt sie zu, „ein bisschen mehr davon könnte ihm nicht schaden.“ Doch er mobilisierte die konservative Basis und appellierte an ihre Pro-Life-Werte. 

Kim kam von Texas nach Nordalabama und zum Heiligen Schrein, nachdem sie mit ihrer Business-Karriere unzufrieden geworden war, ihr Vater gestorben war und „die Frauenbewegung und die damit einhergehende Stärkung der Frauen sich negativ auf die Familie ausgewirkt hatten“. Also blieb sie zu Hause und zog ihre fünf Kinder groß. In Alabama sind Katholiken nur eine kleine Minderheit von 7 %, doch deutsche Einwanderer brachten im 19. Jahrhundert ihren Katholizismus mit, wo er seitdem neue Blüten treibt. Kim lebt im benachbarten Ort Berlin und preist ihre ländliche Umgebung: Die Menschen sind religiös, haben eine gute Arbeitsmoral und gute Manieren. Viele Eltern in ihrer Gemeinde unterrichten ihre Kinder zu Hause und „wollen nicht, dass sie an die Universität gehen, wo sie nur verwirrt und indoktriniert werden“. Mit 52 Jahren kann Kim heute die Schönheit des Gemeindelebens, der Mutterschaft und der Morgenmesse im Heiligtum wortreich und mit Begeisterung genießen. „Mutter Angelica“, sagt sie, “war immer für die Familie“. 

In gewisser Weise hat der Kampf um Kultur und Seele der katholischen Kirche beim weltweit größten religiösen Fernsehsender die ideologischen Diskussionen beim Konklave in Rom vorweggenommen. Aber bei EWTN und im Heiligtum von Mutter Angelica hat der Kulturkampf-Katholizismus, den Papst Franziskus einst als „Nostalgie für eine sakralisierte Welt“ kritisiert hatte, klar gewonnen. 

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