Unter Rednecks und Anderen beim NASCAR Autorennen
Ich sitze in Abschnitt ME, Reihe 22, Platz 14 auf dem Taladega Superspeedway - und damit mitten in der Redneck-Kultur. So zumindest geht das Klischee: zwischen konservativen Biertrinkern und Südstaaten-Rassisten, die alles hassen, was mit schwarzer Kultur, Feminismus, LGBTQ und nüchternen Küsteneliten zu tun hat. Wenn ich mich umschaue, sehe ich tatsächlich viele weiße Männer von eher ungepflegtem Äußeren, aber auch propere Mittelklassefamilien, kleine Gruppen von Afroamerikanern und einige Männer, die problemlos im Vorstand eines mittelständischen Unternehmens sitzen könnten; und alle amüsieren sich prächtig unter der schon sengenden Frühlingssonne Alabamas. Doch NASCAR-Rennen werden als Schlachtfeld der Klassen- und Kulturkämpfe beschrieben, auf dem die Flagge der Konföderation weht und republikanische Politiker vorbeischauen, um ihren echten oder vorgetäuschten Südstaaten-Konservatismus zu demonstrieren. Wir werden sehen.
Der wiederkehrende, höllische Lärm, wenn die hochgetunte Meute der stock cars im Minutentakt mit einer Geschwindigkeit von 250 Stundenkilometer auf dem 4.30 km langen Oval am Publikum vorbeirast, erschwert jede Unterhaltung. Doch bei seiner Rückkehr zu einem NASCAR-Rennen nach über 30 Jahren wirkt John Schleicher rechts neben mir etwas enttäuscht und nostalgisch. „Dieses Rennen ist nicht mehr das, was es einmal war“, sagt er. „Die Zuschauerreihen haben sich gelichtet, die Autos sind zu schnittig und gleichförmig, die jungen Fahrer kommen aus Kalifornien oder von irgendwo weit her und könnten ihre Autos nicht einmal mehr selbst reparieren“. Ganz anders als deren Vorgänger bei seinem letzten Besuch.
Tatsächlich haben sich der Stockcar-Rennsport und die NASCAR-Organisation stark verändert, insbesondere seit Dale Earnhardt, der berühmteste Held des Sports, 2001 in Daytona gegen die Außenwand des Steilkurven-Ovals prallte. Das war zu einer Zeit als der NASCAR-Sport den Höhepunkt seiner Popularität erreicht hatte.
Was mit den bootleggers begann, die während und nach der Prohibition versuchten, mit ihren getunten Autos der Polizei und dem Fiskus zu entkommen, was für die Befürworter der Rassentrennung später zum sportiven Ausdruck ihres sturen Südstaaten-Stolzes wurde, hat sich längst zu einem weiteren hoch kommerzialisierten amerikanischen Sport entwickelt. Als „die Anzugträger kamen“, so beschrieb das Magazin „Politico“ die Entwicklung seit dem Tod Earnhardts, änderten die neuen Manager die Autos und die Regeln, schlossen kleinere Rennstrecken im Südosten der USA und verärgerten die traditionelle Fangemeinde.
Diese Fangemeinde in den Südstaaten der ehemaligen Konföderation lebte überwiegend in Regionen, die von der Globalisierung stark betroffen waren. Wo Fabriken schlossen, erlitten die lokalen Rennstrecken oft dasselbe Schicksal unter einem NASCAR-Management auf der Suche nach Profiten und neuen Märkten mit einem kaufkräftigeren Publikum. Dennoch ist es immer noch schwierig, am Taladega Superspeedway jemanden zu finden, der bei der letzten Wahl für die Demokraten gestimmt hat.
„Ich schätze, 9 zu 1 für Trump“, antwortet Sheriff Shawn McBride aus Shelby County, wenn man ihn nach der politischen Zugehörigkeit der Zuschauer bei diesem Rennen fragt. „Wir sind schließlich hier im Süden.“ Aber auch er und seine Kollegen haben an der Rennstrecke schon bessere Zeiten erlebt, als keiner der 100.000 Plätze unbesetzt blieb und zusätzlich Zehntausende innerhalb und außerhalb des Ovals campierten. Dennoch verfolgen an diesem Samstagnachmittag rund drei Millionen Zuschauer die Rennen in Taladega im Fernsehen. Und es gibt diejenigen, die nicht zuletzt für die große Party mit Country-Musik heute Abend gekommen sind.
Freunde wie Mike, Steven und Richard, die hinter dem aufgebockten Pickup auf dem grasbewachsenen Parkplatz ihr Bier trinken. Zwei von ihnen gehören der Armee an, die eng mit der NASCAR-Kultur verbunden ist und in der Vergangenheit die Rennen mitgesponsert hat. Einer ihrer Freunde ist bereits in seinem Gartenstuhl abgesackt. Das folgende Gespräch über Politik und Wahlen windet sich zwischen den Argumenten hin und her, wie es die Chevrolets, Fords und Toyotas zuvor auf der Rennstrecke getan haben. Und auch hier gibt es einige intellektuelle Karambolagen.
Mike, der in der IT arbeitet, hat sich von der Politik ganz verabschiedet. „Alles geht nur ums Geld und du hast nichts zu sagen. Es ist verdammt egal, was du denkst und tust. Alles ist manipuliert.“ Sein Freund Steven beginnt mit der Schönheit von Trump‘s Zöllen und endet mit dem Horror des Kommunismus, den er seit seiner Stationierung in Deutschland zu kennen glaubt, in einer Stadt kennt, deren Namen er vergessen hat. Es ist bleibt unklar, was das mit Joe Biden zu tun hat, aber die Diskussionen sind, gelinde gesagt, wild. Für alle drei sind die Demokraten „einfach nur die Hölle“, obwohl Richard immer noch dafür ist, dass beide Seiten miteinander reden. Und dann müssen die drei Jungs los, um ein paar chicks zu finden, womit sie offenbar die jungen Damen in Bikini-Tops, kurzen Röcken und hohen Cowboystiefeln meinen, die in Taladega leicht zu finden sind.
Wie viel Südstaaten-Konservatismus steckt also noch im NASCAR-Publikum? Nun ja, da war das lange Gebet, in dem Gott gebeten wurde, die Fahrer sicher bis zur Zielflagge zu steuern, als alle vor der Nationalhymne ihre Baseballkappen abnahmen. Doch wir haben auch die positiven Reaktionen aus der Menge gehört, als Catherine Legge zur ersten Fahrerin gekürt wurde, die je auf der längsten Rennstrecke des Sports hier in Taladega an der Spitze gefahren ist; und sei es nur für eine Runde. Natürlich wurde sie hauptsächlich von „Fußballmüttern“ gefeiert, die sich in den letzten Jahren zu den „NASCAR-Vätern“ gesellt haben – eine neue Mischung kultureller Stereotypen. Und ja, wir sahen auch ab und zu, wie die Flagge der Konföderation vor den Toren herumgefahren wurde, weil sie seit 2015 auf NASCAR-Geländen verboten sind.
Aber wir trafen auch Charles, der aus Charleston kommt, wo er für Boeing arbeitet. Charles und seine schwarzen Freunde wissen, „dass die drei Monate Hölle mit dem Idioten im Weißen Haus, der nicht weiß, was er tut, schlecht für Boeing und schlecht für Amerika sind.“ Und wie fühlen sie sich als Afroamerikaner inmitten der Menge angeblicher Rednecks bei diesem Stock-Car-Rennen? Charles kommt seit Jahren nach Taladega und „interessiert sich einen Dreck um die Flaggen der Konföderierten“. Er wurde hier in Alabama geboren. „Diese Leute sind Idioten“, sagt er munter, „aber wir haben Spaß bei den Rennen, und mir sind die scheißegal.“