Christlicher Glaube und Politischer Agnostizismus

Religion und südstaatliche Identität sind eng miteinander verwoben. Wer den amerikanischen Süden bereist, spürt, dass Religion überall präsent ist, auch wenn die Zahl der Kirchenbesucher wie überall sonst zurückgeht. Und wo ließe sich die Identität des Südens besser ergründen als bei den Southern Baptists, der vorherrschenden Konfession mit ihrem wörtlichen Bibelverständnis. Wo Donald Trump „Amerika zurückhaben“ will, wollen die Southern Baptists „zurück zu Gott“. Dennoch dürften fast vier von fünf Southern Baptists den amtierenden, nicht gerade religiösen Präsidenten gewählt haben. Wie passt das zusammen? Um das herauszufinden, sind wir in Nashville, Tennessee, der Hauptstadt der Country-Musik, die manche auch als „Schnalle des Bibelgürtels“ bezeichnen. Und dort, im wohlhabenden südlichen Vorort Brentwood, finden wir Brentford Baptist, eine riesige Kirche, oder besser gesagt, einen modernen, bibelorientierten religiösen Komplex. 

Es ist Mittagszeit im „Surefire Café“, so groß wie eine deutsche Universitätsmensa, und Catherine, Leila und Derrick von der Kommunikationsabteilung der Kirche besprechen ihre tägliche Arbeit. Sie sind alle Anfang 30 und stammen aus religiösen, konservativen Familien, obwohl Catherines Vater aus Syrien nach Amerika kam. Doch nachdem er die Bibel gelesen hatte, so erklärt seine Tochter, wechselte er vom „auf Scham basierten“ Islam zum „transparenten“ baptistischen Christentum und wurde Pastor in Tennessee; „um allen das Evangelium zu verkünden“. Sie geben zwar zu, dass die Mitglieder- und Besucherzahlen auch bei den Baptisten zurückgehen, glauben aber, dass die neuen Kirchenmitglieder der Generation Z aufgrund der „Härten, die sie erleiden“, in ihrer Suche nach Gott „ernsthafter und authentischer“ seien. 

Dennoch besuchten in der Brentwood Baptist Church in der Concord Road 7777 mehr als 6.000 Gläubige die drei diesjährigen Ostergottesdienste, die Vorschule hat 500 Kinder unter fünf Jahren, und die Kirche kümmert sich um alle Menschen, auch um die mit besonderen Bedürfnissen. Mit Pastor Jay Strother hat sie einen überzeugenden Redner, dessen Predigten auf der Website der Kirche verfolgt werden können. Dazu lässt sich der „Plan für das Bibelstudium“ von der App herunterladen. 

Die Southern Baptist Convention (SBC), der Dachverband der jedoch unabhängigen Southern Baptist Churches, ist mit der Zeit gegangen. Seit ihrer vergleichsweise liberalen Phase in den 70er Jahren erlebte die SBC einen „konservativen Aufschwung“ und rückte stetig nach rechts. In den letzten Jahren wurde sie von internen Auseinandersetzungen über die Zulassung von Frauen als Pastorinnen und die Akzeptanz der „kritischen Rassentheorie“ erschüttert, die zu Abspaltungen und dem Austritt einiger Kirchen aus der SBC führten. Es scheint, dass die Southern Baptists, die 1845 zur Verteidigung der Sklaverei gegründet wurden, ihre rassistischen Ursprünge noch immer nicht überwunden haben. 

Bei der Brentwood Baptist Church, erklärt Catherine, „würde der Pastor niemals etwas Politisches von der Bühne predigen“. Hier konzentriere man sich ganz „auf das Evangelium und seine Identität durch Jesus“, fügt sie hinzu. Für Derrick ist die aktuelle politische Kontroverse um DEI (Diversität-, Gleichheit und Inklusionsprogramme) ein kulturell bedingtes Problem. „Aber Jesus sieht das anders.“  Doch was sagt die Bibel zu realen Fragen, zu politischen Maßnahmen und den Executive Orders aus dem Weißen Haus? „Wir beten für den Präsidenten“, sagt Catherine „Aber da wir alle Sünder sind, vertrauen wir nicht auf unsere politischen Führer, weil sie alle scheitern werden.“ 

In seinem wunderbaren Reisebericht „Hunting Mr. Heartbreak“ schreibt der verstorbene britische Schriftsteller Jonathan Raban über die Geschichte dieser Denkweise im amerikanischen Süden: „Die Konföderation betrachtete die Prädestination als politische Notwendigkeit, … der Sklavenhalter wurde zum Hüter des göttlichen Willens. Die Konservativen verteidigten Gottes eigene Ordnung gegen die blasphemischen Plünderungen der gottlosen Armeen des Nordens.“ Auch nach der Niederlage im Bürgerkrieg beriefen sich die Anhänger der Rassentrennung weiter auf „Gottes Befehl“, wenn sie die negroes in den hinteren Teil der Busse verbannten. Zeigt die rabiate Kritik an DEI-Programmen oder die stille Akzeptanz unrechtmäßiger Abschiebungen im Namen des Evangeliums nicht eine ähnliche Denkweise? 

Wie also beurteilen sie die aktuellen Abschiebungen von Migranten? „Das ist hart für uns“, gibt Leila zu, „es ist die traurige Realität, in der wir leben bis Jesus wiederkehrt.“ Ist das alles? „Einfach beten“, fügt sie hinzu, „und für die Menschen, die unseren Weg kreuzen, tun, was wir für richtig halten.“ 

Belmont University, Campus in Nashville, Tennessee

Mit diesen Worten verlassen wir Brentwood Baptist und betreten Belmont University, nur 12 Meilen in Richtung Downtown Nashville, um herauszufinden, was andere Studenten über die Trump-Präsidentschaft denken, deren religiöse Identität zwar immer noch christlich ist, die sich aber weniger strikt an den Worten der Bibel orientieren. Belmont University beschreibt sich selbst als eine „christlich ausgerichtete Institution“, die „Studenten aus einem breiten Spektrum von Glaubenstraditionen willkommen heißt“. In ihren grandiosen, neoklassizistischen Gebäuden beherbergt die Universität fast 9.000 Studenten in 138 Bachelor- und 38 Masterstudiengängen. Die jährliche Studiengebühr beträgt etwa 45.000 Dollar, wobei die Hälfte der Studierenden ein Stipendium bekommt. 

Auf dem Rasen vor dem Jack C. Massey Center finden wir Studenten, die Baseball spielen, und Trayson, Rachel und Savannah, die sich auf ihre letzte Unterrichtsstunde des Semesters vorbereiten. Sie sind Erstsemesterstudenten/-innen im Fach Betriebswirtschaftslehre und stammen aus christlichen Familien, obwohl Trayson betont, dass die Mitglieder seiner Familie unterschiedliche politische Ansichten haben. „Mir gefällt diese politische Polarisierung nicht.“ Wie also diskutieren die Studierenden der Belmont University über die umstrittenen Maßnahmen der Trump-Administration, zum Beispiel über die Abschiebungen? „Wir reden untereinander nicht über Politik“, sagt Rachel. „Die Leute hier in Tennessee sind davon nicht so betroffen wie die Menschen in Kalifornien oder näher an der Grenze“, fügt Trayson hinzu. 

Als der Besucher ihnen von den empörten Reaktionen in Europa auf Trumps Treiben auf der internationalen Bühne berichtet und die kritische Berichterstattung der New York Times über seine Verordnungen beschreibt, wirken sie sichtlich überrascht. Wie sie denn an ihre Informationen kommen, frage ich? „Wir lesen keine Zeitungen“, sagt Savannah, „wir informieren uns über soziale Medien.“ Und wie können sie dort Wahrheit von Fiktion unterscheiden? „Wenn das schwierig wird, fragen wir unter Freunden nach.“ 

Man muss sich offensichtlich nicht strikt an die Bibel halten, um gegenüber der Politik zum Agnostiker zu werden. 

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