Amerikas Veteranen und der Niedergang des Patriotismus
Als ich während des ersten Golfkriegs 1991 durch Amerika fuhr, war ein immenser Stolz auf die Soldaten und Veteranen des Landes zu spüren. Die Menschen feierten die 43 Tage der „Operation Desert Storm“ in Kuwait als Wiedergutmachung für die Niederlage in Vietnam. In jedem Vorgarten prangten Schilder mit der Aufschrift „Unterstützt unsere Truppen“, und in jeder Stadt fanden Siegesparaden statt. Doch 2015 konnte Donald Trump Kriegshelden und Kriegstote als „Verlierer“ und „Trottel“ bezeichnen und trotzdem ins Weiße Haus einziehen, da fast zwei Drittel der amerikanischen Veteranen seitdem konsequent für ihn stimmten. Als “Dankeschön” treffen die jüngsten Kürzungen von Elon Musks Stoßtruppe für Regierungseffizienz (DOGE) Veteranen überproportional, da sie ein Drittel der Bundesbediensteten ausmachen. Und gerade hat Donald Trump angekündigt, den traditionellen Feiertag des „Veterans Day“ in „Tag des Sieges im Ersten Weltkrieg“ umzubenennen? Wie konnte ein solcher „winner-takes-it-all“- und engstirniger Nationalismus den tiefempfundenen Patriotismus vergangener Zeiten ersetzen?
Ein geigneter Ort, um mehr über diese Veränderungen und Widersprüche zu erfahren, ist Tuskegee, Alabama, Heimat der „Tuskegee Airman National Historic Site“. Hier, in den alten Hangars eines Flugfeldes, wird die Geschichte der ersten Afroamerikaner erzählt, die im Zweiten Weltkrieg zu Piloten des Army Corps ausgebildet wurden. Hier werden die Erfahrungen der schwarzen Piloten realistisch und drastisch dargestellt, der Skandal ihrer rassistischen Diskriminierung und der Stolz auf ihre Leistungen; außerdem die Rückkehr vom siegreichen Kampf im Ausland in ihre alte Rolle als Bürger zweiter Klasse daheim.
Hier treffen wir Eric Walker, seine Schwester Sharon und ihren Neffen Blair, die sich die vielfältigen Darstellungen von Rassismus und Patriotismus in einem Museum ansehen, das leider nur wenige Besucher hat. Sie bezeichnen sich selbst als „stolze Militärfamilie“. Ihr Onkel Robert war ein Tuskegee Airman, für den, wie sie erzählen, die erlittene Diskriminierung ebenso traumatisch war wie die Flüge über feindlichem Gebiet. Eric selbst diente 15 Jahre lang in der Armee in Asien, Sharon war in der Reserve. Sie haben ihren Neffen mitgebracht, „um etwas über unsere Geschichte zu lernen“.
Wo aber ist dieser Patriotismus geblieben? „Die Menschen haben kein Gedächtnis, kein Interesse mehr an Geschichte oder den Dingen außerhalb ihres eigenen Lebens“, sagt Eric, „und eine sehr kurze Aufmerksamkeitsspanne.“ Das Bild, das er verwendet, um die aktuelle Mischung aus Gedächtnisverlust und Unschuld zu beschreiben, ist das von Rip van Winkle, dem Helden eines beliebten Kinderbuchs, der nach 20 Jahren Tiefschlaf verwirrt aufwacht, während die Vereinigten Staaten sich von einer britischen Kolonie in ein unabhängiges Land verwandelt haben. „Die Leute sind vewirrt und von all dem anderen Zeug überwältigt.“
The Gift Shop at the Central alabama Veteran Affairs Medical Center in Tuskegee, Alabama
Tuskegee beherbergt auch das „Central Alabama Veteran Affairs Medical Centre“ mit zahlreichen Einrichtungen außerhalb der Stadt. Auf meine Frage antwortet einer der medizinischen Mitarbeiter: „Die Kriege in Afghanistan und im Irak haben die Menschen gegen den Patriotismus aufgebracht. Sie fühlen sich vom militärisch-industriellen Komplex verarscht.“ Und nun beobachtet er, wie viele seiner Patienten in der Röntgenabteilung Angst haben, dass Elon Musk und sein Team die Leistungen und Sonderprogramme kürzen könnten. Menschen wie James mit seinen 64 Jahren, den wir in der Kantine treffen. Er hat bei den California Cannoneers gedient und kämpft nun um ein neues Hörgerät. Vielleicht bekommt er es ja noch, und er ist sich sicher, dass seine zukünftige Rente von 35.000 Dollar nicht angetastet wird. Aber das Programm, das ihn von den Drogen abbrachte und ihn vor der Obdachlosigkeit bewahrte, ist eine andere Sache. „Das wird es für andere vielleicht nicht mehr geben, wenn ich weg bin“, befürchtet er.
Nach der Volkszählung von 2023 leben in Amerika fast 16 Millionen Veteranen, von denen 66.000 noch im Zweiten Weltkrieg kämpften. Das entspricht etwa 6 % der Gesamtbevölkerung gegenüber 18 % im Jahr 1980. 2024 verfügte das Department of Veteran Affairs (VA) über ein Budget von 129 Milliarden Dollar und sorgte mit rund 400.000 Mitarbeitern für die lebenslange Pflege und Versorgung von neun Millionen Veteranen. Doch das sogenannte „Projekt 2025“, die Blaupause für viele politische Maßnahmen der Trump-Administration, sieht Kürzungen bei den Leistungen für behinderte Veteranen und die Ersetzung der VA-Krankenhäuser durch privatisierte Ambulanzen vor. Ein internes Memo vom März 2025 spricht von 80.000 Stellenstreichungen beim VA ab Juni.
Bislang ist nicht bekannt, wie viele VA-Mitarbeiter bereits ihre Kündigungen erhalten haben; einige wurden gefeuert und kurz darauf wieder eingestellt. Sharon bei den Tuskegee Airmen erklärt, dass Finanzmittel des Museums gekürzt und erst nach heftigen Protesten der schwarzen Community wieder freigegeben wurde. Landesweit protestieren viele Veteranengruppen gegen das „Chaos“, das diese Anordnungen und verwirrenden Maßnahmen verursacht haben.
Aber warum greift man die Regierungsbürokratie dort an, wo sie den Schwächsten und Behinderten dient? Ein Artikel im „The Atlantic“ vom September 2020 listet eine ganze Litanei von Donald Trumps verächtlichen Äußerungen über Helden, Kriegsopfer und den Militärdienst auf. Die hier zitierten Quellen zeichnen das Bild einer Person, die einen Militärfriedhof meidet, weil „er voller Verlierer ist“; die Konzepte wie Patriotismus, Dienst und Opferbereitschaft nicht versteht, weil dies „nicht-transaktionale Lebensentscheidungen“ sind; das Bild eines Präsidenten, der “eine tiefsitzende Angst davor hat, zu sterben oder entstellt zu werden, und diese Sorge manifestiert sich in Abscheu vor denen, die gelitten haben“.
In Montgomery, unweit von Tuskegee, treffe ich den Journalisten Dwayne Fatherree, der die Psychopathologie des Präsidenten politisch fasst. „Mit Donald Trump erleben wir eine Verschiebung dessen, was wir heute als Erfolg und als Patriotismus definieren.“ „Erfolg ist was einem direkt nutzt und die weißen amerikanischen Patrioten von heute sind eine Gruppe von Leuten, für die Weltpolitik kein Thema mehr ist. Für sie ist da draußen “Der Andere.“
Doch wie konnte dies in einer Republikanischen Partei geschehen, die historisch lange Zeit auf der Seite der Veteranen und der Streitkräfte stand? Alles begann mit dem Fall der Berliner Mauer 1989, als die Republikanische Partei ihre ideologische Orientierung verlor. Nachdem der anfänglichen Versuch des, „Amerika First” Mitte der 90er Jahre mit einer Niederlage gegen Präsident Bill Clinton endete, nachdem die Bush-Jahre „ewige Kriege“ und eine Finanzkrise hervorbrachten und Barack Obama 2008 als erstem schwarzen Präsidenten den Weg ebneten, fand die Republikanische Partei endlich einen neuen Feind im Innern des Landes. Zu diesem Zeitpunkt gab es wieder genug Ressentiments und Rassismus, um die neue Propaganda zu befeuern.
Mithilfe einflussreicher rechter Medien tauften die Verfechter des weißen Nationalismus die liberale und „woke“ demokratische Linke als die neuen „Kommunisten“ im eigenen Land. Und es funktionierte. Bis November 2016 hatten Ideologen wie Steve Bannon, dank Fox TV, den Boden für einen egotistischen Entertainer bereitet, der das Weiße Haus usurpierte, indem er einen christlichen Nationalismus ohne jegliche Moral präsentierte, in dem sich jeder selbst der nächste ist. Und es spricht für die Überzeugungskraft von Trumps Performanz, dass dieses lange reifende Projekt sogar bei Menschen Anklang findet, die darunter leiden.
Denn wenn man durch Amerika reist und hier und da mit Veteranen, bleiben viele ihrem Präsidenten treu, egal, was seine Politik mit ihnen macht; Männer wie Bubba, den wir am Posten 3016 der „Veteran of Foreign War“ in Selma, Alabama, treffen. Bubba hat in keinem Krieg gekämpft. Er diente von 1970 bis 1976 nur in der Nationalgarde, „um dem Vietnamkrieg zu entgehen“. Aber er kommt gerne hierher, wegen der Kameradschaft und um am späten Nachmittag ein Bier zu trinken.
Hat er Donald Trump gewählt? „Ja, natürlich, und ich bereue es nicht.“ Und was ist mit der offenen Verachtung des Präsidenten für Veteranen? „Ich hatte ja keine Wahl“, sagt er, denn Kamala Harris hätte die Grenzen offen gehalten. Er erzählt mir, dass viele Weiße Selma verlassen haben, „weil sie denken, die Schwarzen hätten die Macht übernommen“. Er hat Donald Trump gewählt, „damit die Steuergelder nicht weiter an alle Sozialhilfeempfänger gehen, nur nicht an mich“. Für Bubba scheint das wichtiger zu sein als die Wertschätzung der „Veterans of Foreign Wars“. Und viele in den vielleicht 5.000 VFW-Posten des Landes dürften im Augenblick ähnlich denken wie Bubba.
Nachdem ich das beeindruckende Fliegermuseum in Tuskegee verlassen hatte, schickte mir Eric Walker aus der “stolzen schwarzen Familie mit einer langen Geschichte im Kampf für die Freiheit“ eine E-Mail, in der er seine vorherigen Kommentare noch ergänzt: „Ich schäme mich für mein Land mit Trump und seiner Idiotenbande. Aber was mich zutiefst trifft, ist die schiere Zahl der Menschen, die für ihn gestimmt haben.“
Man fragt sich, was mit Amerika geschehen muss, damit diese Art Stolz wieder gewürdigt wird.