Marjorie Taylor Greene und die Lizenz zu hassen

Wer die letzten Kurven von den malerischen Blue Ridge Mountains in den Nordwesten Georgias hinunterfährt, würde nicht vermuten, dass die Menschen, die diese sanfte Landschaft bewohnen, dreimal hintereinander die rabiateste Kongressabgeordnete im US-Repräsentantenhaus gewählt haben. Wenn man dann nach Dalton hineinfährt, das sich stolz „Teppichhauptstadt der Welt“ nennt, glaubt man kaum, dass diese respektable Stadt so viel Groll und Wut ihrer Bürger in sich birgt, dass sie eine verrückte Verschwörungstheoretikerin nach Washington D.C. schickt, die wiederholt zu Gewalt gegen Demokraten und andere Gegner der MAGA-Bewegung aufruft. Diese Geschichte handelt davon, wie die durchgeknallte Kandidatin Marjorie Taylor Greene im 14. Kongresswahlbezirk in Georgia zwischen der Grenze zu Tennessee und den Vororten Atlantas als Siegerin hervorgehen konnte – und wie sie von den Bürgern in Dalton wahrgenommen wird. 

Mit Marjorie Taylor Greene, kurz MTG, wird der traditionell republikanische Distrikt nun von einer 50-jährigen Mutter dreier Kinder vertreten, deren frühere Lebensleistung darin bestand, von ihrem Vater eine Baufirma geerbt und das CrossFit-Fitnessstudio im nahegelegenen Alpharetta geführt zu haben, ehe ihre politische Karriere nach dem plötzlichen Eintauchen in die rechtsextreme Blogosphäre begann. Bald schon schloss sie sich der QAnon-Verschwörungstheorie an, wonach die Welt von einem Netzwerk satanischer Pädophiler kontrolliert wird, finanziert von dem jüdischen Philantrophen George Soros. 

MTG präsentierte sich in den sozialen Medien als “pro gun”, “pro life”, pro-weiße Männer, ultrachristlich, antimuslimisch und pro-Israel aber durchaus antisemitisch. Ihre politische Karriere begann mit der Unterstützung der Trump-nahen Republikaner im Repräsentantenhaus, als sie alle gemäßigten Rivalen in den Vorwahlen aus dem Rennen warf. Seitdem gewann sie 2020, 2022 und 2024 den 14. Distrik von Georgia. 

„Die republikanische Basis war auf der Suche nach einer Marjorie Taylor Greene – einer Frau aus der Vorstadt, die nicht vor Trump zurückschreckte und eine überzeugte Anhängerin der MAGA-Bewegung war“, erklärte das Magazin „The Atlantic“ 2022 ihren politischen Erfolg. Im letzten Wahlkampf erkärte MTG: „Die Demokraten wollen die Republikaner erledigen, und sie haben bereits mit dem Morden begonnen.“ Heute leitet MTG in Washington, D.C., den Unterausschuss des Repräsentantenhauses, der Elon Musks DOGE-Einheit für Regierungseffizienz beaufsichtigen soll. Sie ist so sehr MAGA, dass sie ihren geliebten Präsidenten von rechts kritisiert, wenn er auch nur einen Zentimeter von seinen absurden Versprechungen abweicht. So viel zu ihrer politischen Karriere. 

Doch wer waren die 243.446 Menschen (64,37 % des Wählervolks) in diesem Kongresswahlbezirk und die 25.767 Bürger (66 %) von Whitfield County, einschließlich der Stadt Dalton, die im vergangenen November für eine so extremistische Kandidatin gestimmt haben? Sharon, die im Bildungssektor arbeitet und ihren richtigen Namen lieber nicht nennen möchte, hat dazu einige Vermutungen. „In diesem zutiefst konservativen Teil Georgias“, beginnt sie, „sind es Menschen, denen sich die Welt zu schnell dreht, die keinen Fortschritt und keine weitere  Zuwanderung von Hispanics wollen, Leute, die ihre eigene Geschichte zerstört sehen, wenn Statuen der Konföderierten aus der Stadt auf die historischen Schlachtfelder gebracht werden.“ 

In den sozialen Medien beobachtet Sharon, dass die Leute jemanden, der den Status quo durchbricht, „ziemlich unterhaltsam” finden – “der Schockeffekt nährt ihre Wut“. „Es ist, als würde MTG ihnen die Erlaubnis geben, offen hasserfüllt zu sein.“ Sharon erinnert sich an die Zeit, als die Bürger von Dalton die Einwanderer noch willkommen hießen, die in den 90er Jahren in Mexiko angeworben wurden, um in den Teppichfabriken der Region zu arbeiten. Jetzt verfolgt sie auf Facebook, dass Menschen aus ihrer Community „einfach unglaublich rassistisch sind“. 

Was konservative Autoren schon lange befürchten und das US Census Bureau für das Jahr 2044 voraussagt – nämlich dass der Anteil der nicht-hispanischen weißen Bevölkerung in den USA unter 50 % sinken wird – ist in Dalton und Whitfield County längst eingetreten. Heute sind 54 % der 35.000 Einwohner der Stadt Hispanics. 

Als die Teppichproduzenten in den frühen 90er Jahren erkannten, für welch geringe Löhne Saisonarbeiter aus Mittelamerika in der lokalen Landwirtschaft arbeiteten, begannen sie, Latinos auch für ihre Industrie anzuwerben. Während heute 80 % der weltweiten Bodenbeläge in den über 300 Teppichfabriken der Region hergestellt werden, ist dieser wirtschaftliche Erfolg hauptsächlich auf den Import billiger Arbeitskräfte zurückzuführen. Er hat auch eine Reihe weißer Milliardäre hervorgebracht. 

An den Banken und in den Schaufenstern von Dalton sieht man zweisprachige Schilder, und sobald man das Stadtzentrum in Richtung Osten verlässt, tragen die Autowerkstätten, Reparaturshops und Restaurants zunehmend hispanische Namen. Kaum jemand in Dalton bestreitet, dass die Latino-Familien von Arbeitern, Kleinunternehmern, stolzen Hausbesitzern und Anwälten gut integriert sind. Es gibt keine Anzeichen für offene Konflikte, doch für viele Bürger scheint dieser produktive Zustrom dann doch zu viel gewesen zu sein. 

Was können die lokalen Mitglieder der Demokraten von Whitfield County tun, um diesen Kongresssitz für ihre Partei zurückzuerobern? Um diese Frage zu beantworten, haben sich Mary, Sheryl, Debbie und Dan im modernen Arts Guild Center in Dalton neben der geräumigen und gut ausgestatteten öffentlichen Bibliothek eingefunden. Regelmäßig protestieren sie mit ihren Anti-Trump-Plakaten vor der MTG-Geschäftsstelle gegen den Hass und die Gewalt ihrer politischen Gegnerin. 

Dan, der als Manager eines Recyclingunternehmens arbeitet, kann gut erklären, was der Republikanischen Partei im Laufe der Jahre auf nationaler Ebene widerfahren ist. Er erzählt, wie seit Ronald Reagans Zeiten die „Architekten der großen Südstaatenstrategie das religiöse Gefühl eingefangen haben”; dass „Gott zum Wahlautomaten geworden und nicht mehr der liebende Gott ist“; dass das Thema Abtreibung eine große Rolle spielte; und dass ein schwarzer Präsident die Lage für die Demokraten verschlechtert und danach leider viele Menschen zum Seitenwechsel bewegt habe. “So wurden aus rassistischen Demokraten rassistische Republikaner.“ Diese hätten das Gefühl, dass die Regierung sie übergangen hat und dass die Trickle-down-Ökonomie nicht funktioniert, da die Immobilienpreise explodiert sind. In Marjory Taylor Green, sagt Dan, „haben sie eine Führungspersönlichkeit gefunden, die genau die Menschen hasst, die auch sie hassen.“ 

Aber Mary und Sheryl verstehen immer noch nicht wirklich, was mit ihrer Gemeinde geschehen ist. Die Wahl von MTG, sagt Mary, „passt nicht zu unserer Lebensweise und den Menschen, die wir auf gesellschaftlichen Veranstaltungen treffen.“ Aber die konservativen Botschaften über die Demokraten seien eben seit Jahren durchweg schlecht gewesen, wirft Dan ein, und die Leute glaubten einfach diese Erzählung. „Wir Demokraten“, sagt eine von ihnen, „sind Teil der “des Anderen“ geworden. 

Die regelmäßige Umfrage der „Atlanta Journal Constitution“ zeigt in der Woche, in der wir uns treffen, dass nur 35 % der registrierten Wähler in Georgia eine positive Meinung von der Demokratischen Partei haben, nachdem Trump den Bundesstaat bei seiner Rückkehr an die Macht mit großer Mehrheit gewonnen hat. Sogar ein Drittel der liberalen Wähler hat eine negative Wahrnehmung der Partei. „Eine Rebellion genau derjenigen, von denen erwartet wurde, dass sie ihre Vision vertreten“, kommentiert die Zeitung das schlechteste Umfrageergebnis der Demokraten aller Zeiten. 

Was also können demokratische Aktivisten auf lokaler Ebene gegen den nationalen Trend und die politische Dynamik in ihrem Bundesstaat tun? Sie nennen viele Punkte: Konzentration auf Kommunalwahlen; Rekrutierung besserer Kandidaten für Verwaltungs- und Schulbehörden; Spenden für die Wiederwahl des demokratischen Senators im Jahr 2026 sammeln; sich für Wählerschutz einsetzen und den Wahlprozess vor republikanischen Manipulationen schützen; die Menschen ansprechen, die nicht gewählt haben; und schließlich, die Latino-Bevölkerung erreichen. 

Angesichts meiner eigenen, meist vergeblichen Versuchen, mit Hispanics in Dalton ins Gespräch zu kommen, wird Letzteres ein schwieriges Unterfangen werden. Die drei hispanischen Jugendlichen im Stadtzentrum sind erst vor ein paar Monaten aus Kalifornien angekommen und haben noch nie von Marjorie Taylor Greene gehört. Carla, die hinter einer hispanischen Anwaltskanzlei Würstchen brät, um für deren Einwanderer-Service zu werben, will nicht wirklich sagen, ob sie weiß, worum es  MTG geht, nachdem sie vor 17 Jahren aus El Salvador hierhergekommen ist. 

Endlich finden wir auf dem örtlichen Baseballplatz in Rollins Park das vielfältige und integrierte Umfeld vor, von dem unsere demokratischen Aktivisten gesprochen hatten. Weiße, schwarze und Latino-Kinder spielen vor den Augen ihrer Eltern Baseball in einer friedlichen und entspannten Atmosphäre. Die Szene wirkt wie eine Werbung für die Traumlandschaft eines multikulturellen Amerikas. Nur dass niemand von der hispanischen Seite über Trump, MTG oder Politik reden will. Der Preis für erfolgreiche Integration scheint die vollständige Abwendung von Politik zu sein. Solange das so bleibt, haben die Demokraten in Dalton kaum eine Chance. 

Später am Abend treffen wir in der „Dalton Brewery“ einen alten weißen Mann, der bereit ist, über Politik und Marjorie Taylor Greene zu reden. Er ist Rentner, muss aber trotzdem drei Tage die Woche arbeiten, um über die Runden zu kommen. Bei dem kleinen Glas Bier für 6,45 Dollar, das vor ihm steht, weiß man warum. Und MTG? „Sie ist so verrückt wie Fledermausscheiße“, sagt er, „aber ich habe sie gewählt.“ Und wenn man ihn nach dem Grund fragt, markiert seine Antwort wohl die erfolgreichste Botschaft aus Donald Trumps jahrzehntelanger Dominanz der Medienwelt: „Weil die Demokraten all das Geld einfach weggegeben haben”. An wen kann sich jeder Trumpwähler denken. 

Previous
Previous

Das Erbe des Rassismus und der Erfolg von Donald Trump

Next
Next

Amerikas Veteranen und der Niedergang des Patriotismus