Auf der richtigen Seite der Amerikanischen Geschichte stehen
Man besucht „Farmington Historic Plantation“ am Stadtrand von Louisville, Kentucky, um etwas über Geschichte zu lernen. So ist zumindest die Idee. Hier hatte Präsident Abraham Lincoln 1841 seine erste persönliche Begegnung mit der Sklaverei, als er seinen Sklavenhalterfreund Joshua Speed besuchte, um die Depression und Verzweiflung zu überwinden, in die er als junger Politiker damals gefallen war. Heute führt David Green die Besucher über das 220 Hektar weite Plantagengelände. Und er fragt sich oft, wie er den meist ahnungslosen Touristen die Erfahrung der Sklaverei und deren Rolle in der Geschichte des Südens am besten erklären kann; wo er doch als Geschichtslehrer nicht einmal versteht, was in den letzten Jahrzehnten mit seinem Land geschehen ist.
Mit welchem Geschichtsbild, frage ich David, kommen seine Besucher nach Farmington mit seiner Villa aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg und dem Gelände, auf dem die Familie Speed 57 Sklaven arbeiten ließ? Welches Wissen haben sie, und welches historische Gepäck tragen sie bei sich? Nun, sagt er, die Besucher kämen mit dem an, was sie in der Schule gelernt hätten. „Die Sklaverei war falsch, aber der Süden kämpfte für eine edle Sache, auch wenn sie tragisch und selbstmörderisch war.“ David kann einige Hintergründe zu diesem „Mythos des verlorenen Kampfes“ liefern: 1840 besaß mehr als ein Viertel der Bevölkerung Kentuckys Sklaven, die meisten hatten nur zwei oder drei. Daher war Farmington, wo so viele Sklaven auf den Hanffeldern und in den Obstgärten hinter dem Haupthaus arbeiteten, eine für den Bluegrass State eher ungewöhnliche Konstellation. Und später im Bürgerkrieg trat Kentucky der Union lediglich aus taktischen, nicht aus moralischen Gründen bei. Daher ist das Beiwort „edel“ wohl nicht das passende Wort für das, wofür die Südstaaten im Bürgerkrieg kämpften.
Das Schulwissen besage auch, so fährt David fort, “dass wir nach dem Krieg alle wieder zusammenkamen, obwohl die Schwarzen während der Jim-Crow-Ära weiter Bürger zweiter Klasse blieben“. Doch dann kamen die Bürgerrechtsgesetze und Martin Luther King’s „I have a dream“-Rede, so paraphrasiert er das Wissen der Besucher - „und jetzt sind wir alle gleich“.
Manchmal fragt sich David Green, welche Wirkung seine Führungen auf die Besucher der „Farmington Plantation“ haben, wenn deutlich wird, dass viele einfach nur wissen wollen, wie die weißen Plantagenbesitzer lebten. Doch der pensionierte Geschichtslehrer erzählt weiter „von der Vergangenheit wie sie wirklich war, auch wenn das für manche ziemlich hart klingt“.
Amerikanische Geschichte war immer mehr ein Feiern der Historie als deren kritisches Hinterfragen. Aber man versteht, was er meint, wenn die Besucher kaum eine Antwort auf meine Frage finden, was sie denn hierhergeführt hat. “Weil wir unsere Freundin irgendwohin ausführen wollten”, oder: “Wir wollten einfach nur mal vorbeischauen”.
David Green wuchs in einer fundamentalistischen Kirche auf, wechselte aber später zur presbyterianischen Konfession. Jung und rebellisch in einem damals erzdemokratischen Bundesstaat musste er einfach für Richard Nixon und Ronad Reagan stimmen, lacht er heute über seine Jugendsünden. Doch “erleuchtet von meinem Studium der Geschichte”, hat er seitdem nur noch die Demokraten gewählt, als Bürger in einer noch liberalen Stadt aber im längst zu den Republikanern konvertierten Bundesstaat Kentucky. Am 5. April gehörte David zu den rund 2.000 Bürgern von Louisville, die vor der Metro Hall gegen die Angriffe der Trump-Regierung auf staatliche Institutionen und Sozialdienste protestierten. Nun hofft er, dass die gerichtlichen Anfechtungen der Abschiebung von Migranten und der Widerstand der Harvard University gegen Trumps Anordnungen weiteren öffentlichen Widerstand entfachen werden.
David liest gerade die Memoiren der bekannten Historikerin Doris Kearns Goodwin, in denen sie die Begeisterung und den Idealismus ihres verstorbenen Mannes Dick beschreibt, der als Redenschreiber und Berater für die Präsidenten Lyndon B. Johnson und John F. Kennedy arbeitete. Und er fragt sich, „wie wir das Konzept der “Great Society" aufgeben konnten, nachdem es in Amerika Raum für Einwanderer aller Art gibt.“
Wenn man den Geschichtslehrer, den Christen und Demokraten David Green fragt, wann in Amerika etwas schiefgelaufen sei, antwortet er zunächst: „Ich weiß es nicht.“ Auf die Frage, wie die patriotische amerikanische Öffentlichkeit, die einst so stolz auf ihre Soldaten während der Golfkriege war, es heute tolerieren könne, dass ein Präsident den verstorbenen Kriegshelden und Senator John McCain lächerlich macht und die Mittel für die Veteranen kürzt, schüttelt er nur den Kopf. „Die Großeltern der Leute haben im Zweiten Weltkrieg gekämpft, und jetzt? Das verstehe ich nicht.“
Und dann beginnt David darüber nachzudenken, wann und wo sein Land vom Weg abgekommen ist: „In den 60er Jahren sprachen die Menschen über Chancen und Menschenrechte. Doch dann, in den 70er- bis 90er-Jahren, wurden wir selbstgefällig und egozentrisch. „Heute nach mehr als 40 Jahren“, so meint er, „müssen wir uns ernsthaft fragen, ob wir unserer Verantwortung gerecht geworden sind.“ David gibt den Kindern von heute keine Schuld. „Wir haben sie nicht richtig erzogen.“ “Vielleicht”, fragt er sich, „sind die Dinge noch nicht so schlimm, dass es wehtut“.
Und die Demokraten? Seiner Ansicht nach ist die Demokratische Partei heute zu technokratisch. Sie bräuchten die Passion, die Franklin D. Roosevelt, J.F. Kennedy, Lyndon B. Johnson und Martin Luther King gezeigt hätten. Nicht MAGA, sondern “Make Americans Remember who they are”. Die Amerikaner müssten sich wieder mit religiöser Inbrunst der Demokratie verpflichten. „Obama konnte uns das geben, und die Leute haben ja reagiert.“
Aber ist der heutige Erfolg rechter Politik nicht auch eine späte Rache derjenigen, die meinen, das Land sei nicht bereit für einen schwarzen Präsidenten? “Ja”, sagt David, “der Rechtsruck hat viel mit Rassismus zu tun.”
Auf jeden Fall ist David Green zwar kurzfristig pessimistisch aber langfristig ein Optimist. Er wird weiterhin seinen Teil dazu beitragen, den Menschen ihre eigene Geschichte näherzubringen, indem er sie über das Gelände der „Farmington Historic Plantation“ führt, dem Ort, an dem Abraham Lincoln zum ersten Mal mit der Sklaverei in Berührung kam. Und wenn die Trump-Administration noch mehr Einwanderer abgeschiebt, wird er wieder demonstrieren gehen, um zu zeigen, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht.
( Das Photo zeigt David Green im Dining Room des Haupthauses auf der “Farmington Plantation”, wo der spätere Präsident Abraham Lincoln 1841 mit Mitgliedern der Familie Speed dinierte. )