Ruhe und Frieden in Munfordville
Während draußen in der Welt die Demokratie stirbt und die internationale Ordnung zusammenbricht, ist dies bei einem Aufenthalt in Munfordville, Kentucky, kaum zu bemerken. Denn diese Kleinstadt mit 1686 Einwohnern und 776 Wohneinheiten an der Interstate 65 auf halbem Weg zwischen Louisville und Nashville bietet alles, was man braucht, wenn man in Frieden und Ruhe leben will – so wie alle hier: die, die schon immer hier gelebt haben, und die, die aus einer amerikanischen Großstadt hierhergezogen sind. Doch es gibt erste Anzeichen für ein paar Sorgen.
Als Kreisstadt von Hart County bietet Munfordville alles, was man zum Leben so braucht: einen Dollar Store und Pizzahut, ACE Autoparts und Sweet Farming Equipment, ein freundliches “Welcome Center” und eine wunderbare öffentliche Bibliothek mit dem Gefängnis direkt dahinter; genügend Kirchen, ein medizinisches Zentrum und einen schönen Sportplatz am Green River, eine Buffalo Crossing, eine schmucke deutsch-amerikanische Bank, Ärzte und Zahnärzte, eine Drogerie, Anwaltskanzleien und ein Bekleidungsgeschäft für Motorradfans mit einem mobilen Café daneben – und Mexikaner.
Beginnen wir mit den Stadtflüchtlingen. Da sind Harry und Larry, die neben dem Open Road Leather - Laden sitzen. Harry kam von Wisconsin über Texas nach Munfordville und betreibt hier den Laden samt Café. Larry aus Michigan nennt die blank gewienerte 1700-ccm-„Triumph“-Maschine sein eigen, die vor seinem Lehnstuhl aufgebockt ist.
Harry erzählt, dass er vor nicht allzu langer Zeit auf einem Highway in Houston unterwegs war, als direkt vor ihm Gangmitglieder aus ihren rasenden SUVs aufeinander schossen. „An diesem Tag beschlossen meine Frau und ich, an einen ruhigen Ort zu ziehen.“ Hier in Munfordville kann er eine seiner drei Harley Davidsons aus der Garage holen und ungestört durch die wunderschöne Landschaft fahren. „Wenn dich hier jemand erschießt, weißt du, dass es Absicht war“, lacht er mit einem breiten Grinsen hinter seinem imposanten weißen Bart.
Larry kann noch ein paar weitere Geschichten über Kriminalität und Korruption den Städten hinzufügen. Sie beide haben Donald Trump gewählt und bereuen es nicht im Geringsten. „Trump tut nur, was wir brauchen“, sagt Larry, „die Steuerbehörde abschaffen und von Zöllen leben“. Und Trump räume mit dem Betrug in der Regierung auf. Gerade hat Larry in den Nachrichten gehört, dass Elon Musks Washingtoner Stoßtruppen zur Durchsetzung von Regierungseffizienz (DOGE) „im Register der staatlichen Sozialversicherung achthundert 150-Jährige gefunden haben“. Nein, so etwas findet man in einem Ort wie Munfordville nicht.
Vor dieser Begegnung hatte mich die Dame im „Welcome Center“ gut eingewiesen. Von hier aus müsse sie nicht nach Louisville fahren, um einzukaufen. „Zu viele Autos und Fahrspuren auf dem Highway.“ Ihr reiche die 30 Kilometer lange Fahrt nach Elizabethtown. Deshalb kämen die Leute hierher, sagt sie, weil es bequem und friedlich sei. „Ja, alles ist konservativ, so sind wir eben.“ Natürlich habe sie Trump gewählt, wie 80 % der Wähler in Hart County. „Was ist denn daran falsch?“ Wo sie so hilfsbereit ist, erscheint es mir absurd und unfair, sie zu fragen, was sie davon hält, dass Trump den Obersten Gerichtshof ignoriert oder die Bundesmittel für Eliteuniversitäten kürzt. Schließlich will sie einfach nur ihre Ruhe haben.
Hier in Kentucky, erklärt sie, seien die Kirchen sehr stark. Die größte Konfession in dieser Gegend seien die Southern Baptists, gefolgt von den Methodisten und anderen. Und dann gebe es noch die Gemeinden der Amish, die erst Anfang der 1990er Jahre aus Ohio und anderswo hierhergezogen seien. „Sehr nette Leute mit eigenen Schulen und einige von ihnen sehr, sehr konservativ.“
Vom „Welcome Center“ zu Wikipedia. Die Bevölkerung von Hart County besteht zu 87,33 % aus Weißen und zu 11,45 % aus Afro-Amerikanern. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 11.447 Dollar, womit das Haushaltseinkommen das 20- Niedrigste in den USA ist. Mehr als ein Viertel der Haushalte lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Mexikaner tauchen in diesen Statistiken kaum auf, betreiben aber zwei erfolgreiche Restaurants, und man findet sie samstagmorgens auf dem Fußballplatz, wo sie zwei Mannschaften bilden und ein Dutzend Zuschauer stellen. Hier treffen wir Eric, dessen Mannschaft gerade gewonnen hat. Was denkt er über die politische Lage? Er möchte dazu nichts sagen. Hat er gewählt? Nein, hätte er tun können, hat es aber nicht. Warum nicht? „Politik, Technologie und all diese Dinge sind mir einfach zu viel.“ Eric hat sich entschieden, „sich da rauszuhalten“. So kann er sich auch keine Sorgen darüber machen, dass Venezuelaner gerade in salvadorianische Gefängnisse abgeschoben werden, weil er davon einfach nichts weiß.
Seine Frau Jennifer schaut manchmal die Nachrichten und ist besorgt, dass Donald Trump sich nicht an das Gesetz hält. „Es sollte wenigstens ein faires Verfahren geben.“ Aber was kann sie tun, „wenn die meisten Leute hier nur den Kirchen folgen.“
Später treffen wir John, der als „selbsterklärter Linker“ definitiv nicht die Republikaner gewählt hat. Kann er erklären, warum der demokratische Schaden, den Donald Trump in den ersten drei Monaten seiner Präsidentschaft angerichtet hat, kaum jemanden zu stören scheint? Er nennt es „vorsätzliche Ignoranz“.
Für John leben die Menschen im ländlichen Kentucky in einer anderen Welt. „Sie denken, ihre Steuergelder gehen an dicke Afroamerikanerinnen in den Städten, die ein weiteres Kind bekommen, nur um mehr Sozialleistungen zu erhalten.“ Dabei, so erklärt er, gehe ein Großteil dieses Geldes an ihre eigenen Tanten und Großmütter, die Medicare beziehen.
Für John sind die meisten Menschen in seinem Landkreis „Ein-Themen-Wähler“, sei dies nun Abtreibung, Alkohol oder Waffen. Aber er nennt sie trotzdem „Rassisten“, weil sie wussten, dass sie einen Mann gewählt haben, dessen erste Amtshandlung in seiner ersten Präsidentschaft darin bestand, Muslimen die Einreise nach Amerika zu verbieten. John kennt sich aus mit Rassismus und der Realität. Seine Frau ist eine Philippinerin, daher wuchsen seine Kinder in Louisville als Angehörige einer Minderheit auf, als er dort als Lehrer arbeitete.
Aber wie kommt er als einsamer Linker in einem so erzkonservativen Umfeld zurecht? Nun, eine Zeit lang hörte John auf, mit den Trump-Wählern in seiner Familie zu sprechen, aber das half nicht wirklich. So arbeitet er seit kurzem für die Abtei Gethsemane, ein Trappistenkloster unweit von Munfordville, und sieht sich dabei in der Tradition der katholischen Friedensaktivisten Daniel Berrigan und Thomas Merton aus den 1960er Jahren. John ist also von einem religiösen Umfeld in ein anderes geflohen und hofft dort die persönliche Balance zu finden, die er als Einzelkämpfer unter Menschen braucht, die seiner Meinung nach den Bezug zur Realität verloren haben.
Doch langsam hält die Realität von Trump 2.0 auch in Munfordville Einzug. „Bibliotheken in Kentucky könnten 2,7 Millionen Dollar verlieren“, titelt das „Courier Journal“ am 21. April. Leute wie Trish, die leitende Bibliothekarin, macht sich deswegen über die Zukunft durchaus Sorgen. Aber sie sagen es nicht laut, „um die Leute nicht noch mehr zu überfordern“. Trish wird den institutionellen Weg wählen und ihr Anliegen ihren beiden republikanischen Senatoren oder Gouverneur Beshear in Louisville vortragen, einem Demokraten, der als potenzieller Präsidentschaftskandidat für 2028 gilt. Trish jedenfalls sieht die neue Realität auf Munfordville und Hart County zukommen. „Sie fangen ganz oben an“, sagt sie, „bevor sie zu uns kommen.“