Automobilarbeiter gewinnen, die Demokraten verlieren

Wer jemanden kennenlernen möchte, dessen Biografie die jüngsten Entwicklungen in Orten wie Lordstown und Youngstown im ehemaligen industriellen Zentrum Nordost-Ohios widerspiegelt, sollte unbedingt mit George Goranitis sprechen, dem jungen Präsidenten der Ortsgruppe 1112 der United Automobile Workers (UAW). Seine mit 35 Jahren noch recht kurze, aber dennoch interessante Biografie steht im Zentrum der jüngsten Geschichte dieser Region zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen hochtrabenden politischen Versprechen und tiefen privaten Enttäuschungen. Sie zeigt auch die Gewerkschaft der Automobilarbeiter im Spannungsfeld zwischen Elektrofahrzeugen und Verbrennern, sowie zwischen Demokraten und Republikanern. 

George Goranitis hat nur 25 Minuten Zeit für den Besucher, bevor er zu seinem nächsten Meeting mit Arbeitern muss, die sich in ihrem Unternehmen auch gewerkschaftlilch organisieren wollen. Also müssen wir uns beeilen. Sein bisheriger Werdegang: 2008 machte George seinen Schulabschluss und wurde sofort als Maschinist im großen General-Motors-Werk zu einem Stundenlohn von 29 Dollar eingestellt. 2017 geriet die Zukunft des Werks in Gefahr, doch Donald Trump kam im Juli 2017 ins benachbarte Youngstown und forderte Arbeiter wie George auf, ihre Häuser nicht zu verkaufen und wegzuziehen, da er ihre Arbeitsplätze retten werde. Doch Anfang 2019 schloss General Motors das riesige Werk in Lordstown mit rund 4.000 Beschäftigten. Die Rolle des Präsidenten als Retter von Trumbull County schien ausgespielt. 

Da George keine Jobs annehmen wollte, die nur die Hälfte seines früheren Gehalts einbrachten, nahm er das Angebot von General Motors an, in das Schwesterwerk in Spring Hill, Tennessee, zu wechseln, wo GM den Cadillac SUV produzierte. „Aber da ich Grieche bin und meine Familie sehr vermisste“, sagt George Goranitis, „kam ich bald wieder nach Lordstown zurück, als GM hier eine Batteriefabrik für Elektrofahrzeuge eröffnete.“ Dies war bereits der zweite Versuch von GM, die Branche auf eine elektrische Zukunft vorzubereiten. Das erste Start-up namens „Lordstown Motors“ wurde von der Trump-Administration im Wahlkampf 2020 lautstark angepriesen, doch General Motors ignorierte erneut die wiederholten Versprechungen des Präsidenten und beendete das Experiment kurze Zeit später. 

Mit Joe Bidens Präsidentschaft im November 2020 sowie seiner Executive Order, die vorschrieb, dass bis 2035 die Hälfte aller in den USA produzierten Autos elektrisch sein sollen, war die Zukunft des neuen Batteriewerks „Ultium Cells“ gesichert. Ich hatte die beeindruckende, brandneue Anlage auf dem Weg zu Georges Büro bei Local 1112 gesehen. Von hier aus nahm das Leben des Gewerkschafters George Goranitis eine neue Wendung. 

George war der Meinung, dass die 2.200 Arbeiter, die Batteriezellen produzierten, gewerkschaftlich organisiert sein sollten, wie es seine Kollegen im alten GM-Werk waren. George ist ein energischer und lebhafter Mensch, und man kann sich gut vorstellen, wie er seine Kollegen von seiner Mission überzeugte und seinen UAW-Chef Shawn Fain sogar zu einem Streikaufruf bewegte. Danach handelten George und seine Kollegen mit Firmenchefin Mary Barra einen Gewerkschaftsvertrag aus. „Wahrscheinlich bereut sie es jetzt“, vermutet er stolz auf diesen Erfolg. Heute ist „Ultium Cells“ die erste gewerkschaftlich organisierte Produktionsstätte für Elektrofahrzeugzellen in den USA. Der Vertrag deckt alle ihm wichtigen Sicherheitsmechanismen ab und sichert einen Stundenlohn von 35 Dollar bis 2028. Anschließend wurde George mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten der Local 1112 UAW gewählt. 

Die Geschichte von „Ultium Cells“ ist also ein Hoffnungsschimmer in einer Region, die weiter von Werksschließungen und dem Export von Arbeitsplätzen bedroht ist. Dies ist ein seltener Erfolg für eine Gewerkschaftsbewegung, die nur 7 % der amerikanischen Lohn- und Gehaltsempfänger im privaten Sektor organisieren konnte. Aber sie verdeutlicht auch die prekäre Lage der UAW zwischen den politischen Fronten. Und sie zeigt, dass Donald Trump all seine Versprechen brechen und trotzdem die Demokraten als traditionelle Partei der Arbeiterklasse bei der Wahl schlagen kann. Wie kommt das? 

Man denke nur an die wenig beneidenswerte Position von Shawn Fain, dem Präsidenten der UAW, der rund 400.000 aktive Mitglieder vertritt, von denen die meisten in der schrumpfenden Automobilindustrie beschäftigt sind. Im Wahlkampf von 2024 setzte er sich entschieden für die Demokraten ein und lehnt nach wie vor viele republikanische Positionen zur Gewerkschaftsarbeit ab. Doch Anfang April 2025 unterstützte Fain die ersten von Donald Trump verhängten Zölle. 

Als Präsident von Local 1112 ist George Goranitis ebenso hin- und hergerissen. Eben hat er mit dem progressiven demokratischen Kongressabgeordneten Ro Khanna aus Kalifornien telefoniert, um die von Donald Trump im Januar verfügte Aufhebung von Bidens Elektroauto-Mandat zu besprechen. Und beide wussten nicht, so sagt er, ob das nun gut oder schlecht für die US-Industrie sei, wo sich sich die Dinge doch täglich ändern. „Was auch immer man von Zöllen hält“, sagt George, „die Bundesangestellten, deren Arbeitsverträge gerade Trump einfach zerreisst, sind unsere Brüder und Schwestern.“ 

Seit Georges Schulabschluss zur Zeit der Finanzkrise ist sein Heimatstaat Ohio zu einem heiß umkämpften Territorium geworden. Jahrzehntelang war der Staat eine Hochburg der Demokraten. Präsident Obama hatte Ohio 2012 noch überzeugend gewonnen. Doch 2016 fanden Donald Trump’s kühne Versprechen, Industriearbeitsplätze zurückzuholen, bei vielen weißen Arbeitern im Bundesstaat und darüber hinaus Anklang. Selbst 2020, als Joe Biden einige dieser Arbeiter im industriellen Mittleren Westen zurückgewinnen konnte, gewann Trump Ohio und Trumbull County mühelos – ein Erfolg, den er gegen Kamala Harris im letzten November mit einem noch größeren Vorsprung von 12 % wiederholte. „Ein durch Bidens Klimagesetz gestärktes Werk für Elektrofahrzeuge weckt Hoffnung in Nordost-Ohio – aber keine Wiederbelebung demokratischer Wurzeln“, fasst eine CNN-Schlagzeile vom September 2024 die bittere Erfahrung der Demokratischen Partei in der Region zusammen, in der George Goranitis heute die Arbeiter organisiert. 

Bisher hat er seine Gewerkschaftstruppen mit Geschick durch das politische Minenfeld geführt. George hatte seinen Kollegen gegenüber angedeutet, dass er Kamala Harris für die bessere Wahl hielt, weiß aber, dass die meisten seiner Kollegen bei „Ultium Cells“ für Donald Trump gestimmt haben. Und er ist optimistisch, dass zumindest ein Teil der ausgelagerten Fertigung wieder in die USA zurückgeholt werden kann. „Wir haben qualifizierte Leute, wir brauchen nur noch die Arbeitsplätze.“ Es gebe da bereits Gespräche über ein neues Montagewerk, sagt er. 

Aber jetzt ist unsere Zeit abgelaufen und George Goranitis hat sein Zoom-Meeting mit Arbeitern eines Unternehmens, das die gebrauchten Batteriezellen von „Ultium Cells“ recycelt. „Sie wollen sich auch gewerkschaftlich organisieren und lernen, wie wir das in unserem Werk gemacht haben.“ 

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