Trump und der Feind von Innen

Vor 251 Jahren stimmte der Erste Kontinentalkongress gegen die Aufstellung einer stehenden Armee, weil seine Mitglieder befürchteten, eine schlechte Regierung könnte eine solche Armee gegen ihr Volk aufhetzen. Letzte Woche wurden dies Befürchtung von Präsident Donald Trump bestätigt, als er beschloss, die Nationalgarde und die US-Marines gegen einen vermeintlichen Aufstand in Los Angeles einzusetzen. Am 14. Juni 1775 gründete der Zweite Kontinentalkongress schließlich eine US-Armee, da es keinen anderen Weg zu geben schien, die britische Kolonialmacht loszuwerden – eben jene Armee, die Donald Trump nun gegen den „inneren Feind“ aufhetzt. 

Die Anzeichen für Trumps geplante Usurpation des amerikanischen Militärs aus politischen Gründen waren schon länger zu sehen. Im Jahr 2020, als die Black-Lives-Matter-Proteste das Land erschütterten, wurde sein Versuch, das „Aufstandsgesetz“ von 1807 anzuwenden, von Mitgliedern seiner eigenen Regierung und der Führung des Pentagon sabotiert, die verfassungsrechtliche Bedenken hegten und professionell handelten. Und im Oktober 2024 sagte er es ausdrücklich in einem Interview auf Fox-TV: „Der Feind von innen ist meiner Meinung nach gefährlicher als China, Russland und all diese Länder.“ 

Im November 2024 wiedergewählt, verbot Donald Trump Transgender-Personen den Militärdienst. Im Februar ließ er die Spitzenanwälte von Heer, Marine und Luftwaffe entlassen, weil er sie als Bremser seiner politischen Agenda ansah. Er ordnete an, sämtliches Material, das Themen zu “Rasse”, Geschlecht und Diversität behandelt, aus Bibliotheken und der Lehre an Militärakademien zu verbannen und alle Pentagon-Programme zu diesen Themen abzusetzen. 

Zu Beginn seiner zweiten Amtszeit hat der Präsident Fernsehmoderatoren aus rechtsgerichteten Medien und Anhänger der MAGA-Bewegung in sein Kabinett und in wichtige Positionen seines nationalen Sicherheitsstabs berufen: Speichellecker, Schausspieler und Clowns des rechten Zirkus, deren Loyalität und Inkompetenz es ihnen dieses Mal nicht erlauben würden, seine politischen Befehle in bezug auf militärische Angelegenheiten zu unterlaufen. 

Er setzte die Ernennung des FOX-TV-Moderators, hyperreligiösen Schürzenjägers und offensichtlichen Trunkenbolds Pete Hegseth zum Verteidigungsminister durch, nachdem selbst sein erster Kandidat für das Amt zu extrem war, um den Ausschuss zu passieren. Und in der Gouverneurin von South Dakota, Kristi Noem, fand er seinen Idealtyp einer Politikerin – Maskengegnerin, Waffenbefürworterin und voller Verehrung für ihren Präsidenten. 

Beunruhigend ist nicht nur, dass Trump solch fragwürdige Persönlichkeiten in hohe Ämter berufen konnte, sondern mehr noch, dass sie trotz ihrer blamablen Auftritte vor den Kongressausschüssen von den republikanischer Abgeordneten weiterhin vor Kritik in Schutz genommen werden. Sie mögen zwar ein permanentes Sicherheitsrisiko für die Vereinigten Staaten darstellen, doch das scheint die gewählten Vertreter von „America First“ nicht zu stören. 

Manche Beobachter bagatellisieren die Situation in der Hoffnung, viele von Trumps Executive Orders, Maßnahmen oder Ernennungen seien vorwiegend performativer Art oder würden nicht von Dauer sein. Das war schon immer naiv. Doch seit letzter Woche sind solche Entschuldigungen leichtsinnig und gefährlich. 

Was also ist in den letzten Tagen zwischen Los Angeles, North Carolina und Washington, D.C. geschehen, das Freunde und Feinde des Trump-Regimes – und selbst seine Verbündeten im Ausland – beunruhigen sollte? 

Am 21. Mai drängten Trumps persönlicher Berater Stephen Miller und Heimatschutzministerin Kristi Noem die Leiter der Einwanderungsbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement), täglich 3.000 „illegale Einwanderer“ festzunehmen, um Trumps Wahlversprechen umzusetzen, eine Million von ihnen zurückzuschicken. Dies würde die jährliche Abschiebungsraten unter den Präsidenten Obama und Biden vervierfachen. Was von lokalen ICE-Einheiten im ganzen Land bisher planlos praktiziert wurde, sollte nun koordiniert, intensiviert und - der größeren Wirkung wegen - auf die Großstädte ausgeweitet werden. 

Als ICE-Einheiten am ersten Juniwochenende begannen, nicht-weiße Arbeiter vor dem Home Depot Store in Central Los Angeles festzunehmen, kam es zu Protesten der lokalen Latino-Bevölkerung. Andere schlossen sich den Demonstrationen an, die jedoch auf wenige Häuserblocks in der Innenstadt beschränkt blieben. Wo es zu Gewalt kam, handelte es sich allenfalls um ein lokales Scharmützel, das von der nie zimperlichen Polizei von Los Angeles leicht hätte bewältigt werden können. 

Da Kalifornien jedoch eine Hochburg der Demokraten ist und Los Angeles – in konservativen Augen – schon immer eine “Stadt der Sünde” war, schickte Verteidigungsminister Peter Hegseth die Nationalgarde und die US-Marines dorthin, mit der Absicht, den demokratischen Gouverneur Gavin Newsom in Verlegenheit zu bringen und durch dramatische Fernsehbilder die Unterstützung der Bevölkerung für Trumps Abschiebeprogramm zu stärken. 

Gerichte erklärten den Einsatz der Nationalgarde ohne echten Notfall für illegal. Gouverneur Newsom hielt eine kämpferische Rede, in der er die demokratische Ordnung  gegen die Übergriffe der Bundesmacht aus dem Weißen Haus verteidigte – doch ohne Erfolg. Die Bilder lieferten der Regierung genau das, was sie wollte, um die Mehrheit der Bevölkerung für ihr Abschiebeprogramm zu gewinnen. Nicht ohne Erfolg. Die konservativen Medien feierten diese Aktion. Die nationalen Umfragen sind noch nicht eindeutig, aber etwa die Hälfte der Bevölkerung scheint eine strengere Einwanderungspolitik zu befürworten, obwohl Trump bei der Frage des Militäreinsatzes wohl einige Wähler verliert.  

Das inszenierte Chaos zeigte auch das Versagen der traditionellen Medien in einem Umfeld, das sich seit den Unruhen in Los Angeles von 1992 oder den landesweiten „Black Rights Matter“-Protesten von 2020 völlig verändert hat. Selbst die Berichterstattung des sonst eher ausgewogenen Kabelsenders CNN vermittelte den Zuschauern den von der Regierung geschürten Eindruck, in Los Angeles die Hölle los. Ein vermummter Jugendlicher, der eine Wasserflasche auf die Polizei wirft, war für die live-Berichterstattung deutlich attraktiver als Tausende, die nur einen halben Kilometer entfernt ungestört ihren Wochenendeinkauf erledigten.

Diese Veränderungen in der Medienlandschaft sind von großer Bedeutung, nicht zuletzt für die Demokratische Partei. Nostalgische Demokraten, die sich einen zweiten Obama wünschen, schreibt Tressie McMillan Cottom in „The Atlantic“, vergessen dabei, „dass dieses Land nicht mehr das gleiche ist”. Sie meint damit das Jahr 2008, zur Zeit des iPhone 3G, in dem mit Twitter gerade ein webbasierter Diskurs entstand und „ein Präsident stark von einer Medienwelt profitierte, in der wir dieselbe Realität teilten“. 2012 begann dann der Wandel vom offenen Internet hin zu einer online-Welt, in der die Algorithmen der großen Technologieunternehmen den Medienkonsum steuerten.  

Dies war also schon bei den Protesten von Black Lives Matter der Fall, doch seitdem haben extremistische Influencer die rechte Propaganda in einem stark polarisierten Medienökosystem weiter verstärkt. Und nachdem Elon Musk 2022 Twitter kaufte, verwandelte es sich von einer Diskursplattform in eine Medien-Maschine, die nur noch die Meinung der Menschen wiedergibt und rechtfertigt. Was auch immer diese rechten Influencer sagen und tun, argumentiert McMillan Cottom: „Die wahre Macht liegt bei der Plattform, die diese Popularität verstärkt und sie vor Kritikern schützen kann.“ 

Der US-Kongress hat es also versäumt, die Neutralität und Professionalität der Streitkräfte zu gewährleisten. Und eine zersplitterte Medienlandschaft kann keine gemeinsame Realität mehr schaffen, weder in Los Angeles noch anderswo. Und das Militär selbst? 

Während sich das Spektakel in Los Angeles abspielte, hielt Präsident Trump in Fort Bragg eine sehr parteiische Rede. Er trug seine MAGA-Mütze, griff den Gouverneur von Kalifornien an und verleitete die jungen Rekruten dazu, seiner politischen Agenda zu folgen – d. h., er missachtete alle militärischen Traditionen und die Regeln zivilen Benehmens. Und niemand aus der von ihm ernannten militärischen Führung wagte es, ihrem Oberbefehlshaber die Stirn zu bieten, wie es in einer bedrohten demokratischen Ordnung seine Pflicht gewesen wäre. „Das Schweigen der Generäle“, titelte „The Atlantic“. Allein der Philosophieprofessor Graham Parsons an der West Point-Akademie übte offenen Widerstand, indem er im gleichen Magazin die Gründe für seinen Abschied von der renommierten Militärschule darlegte. 

Die Militärparade, die am Samstag, dem 14. Juni, in Washington D.C. folgte, war so nur ein weiterer Akt in einer Woche militarisierter Spektakel. Die Kosten für die Kolonne schweren Panzern durch Straßen von Washington D.C. waren enorm, der Marsch der Soldaten grauenhaft, die Menschenmenge enttäuschend; und Donald Trump schlief beim Zuschauen von der Ehrentribüne fast ein. Doch endlich hatte „sein Militär“ nach seiner politischen Pfeife tanzen lassen. 

Vieles, was in dieser Woche geschah, war als Rache für seine gescheiterten Vorhaben während seiner ersten Präsidentschaft gedacht: das Nichtzustandekommen einer Militärparade 2020, der ihm nicht erlaubte Truppeneinsatz während der „Black Lives Matter“-Proteste, sein gebrochenes Versprechen, Einwanderer aller Art abzuschieben. 

Rückblickend dürfte dies die Woche gewesen sein, in der Donald Trump’s Show als starker Mann politische Wirklichkeit wurde, wie Susan Glasser im New Yorker schreibt. Und in der er das Militär gegen den “inneren Feind” richtete und damit „die nationale Sicherheit neu definierte“.

 Die Militärparade am Samstag in Washington geriet mit weniger als 200.000 Teilnehmern zum Flop, während die am gleichen Tag stattfindenden „No Kings“-Proteste von Millionen Menschen im ganzen Land für die Opposition ermutigend waren. Doch das amerikanische Militär bleibt in den Händen einer durchgeknallten politischen Führung, mit Generälen, die in die Vorgefechte eines Bürgerkriegs schlafwandeln, der online bereits ausgetragen wird. 

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