Politisch tot oder noch lebendig? Was können die Demokraten tun?

Selbst nach sechs Monaten in der zweiten Amtszeit von Donald Trump zeigen die meisten Umfragen, dass der Rückgang seiner Beliebtheitswerte nicht in Unterstützung für die Demokratische Partei umschlägt. Das stimmt mit dem überein, was mir während meiner Reisen durch das ländliche Amerika im Frühjahr republikanische Wähler erzählt haben. Sie konnten sich vorstellen, in ein paar Jahren von Donald Trump enttäuscht zu werden – und vielleicht sind einige es jetzt schon. Aber sie konnten sich nicht vorstellen, in absehbarer Zukunft für die Demokraten zu stimmen: „nicht für diese “woke” Partei, die nichts anderes getan hat, als Geld an andere zu verteilen, nur nicht an uns“. Es gibt viele und zum Teil widersprüchliche Erklärungen dafür, warum die Demokraten bei der Präsidentschaftswahl im November 2024 verloren haben. Und die Partei diskutiert seitdem ihre zahlreichen Fehler. Aber es gibt keine überzeugende Erklärung für das tief empfundene Misstrauen und diese heftige Abneigung gegen die Demokraten, sogar bei moderaten Republikanern und unabhängigen Wählern. 

Zunächst gab es eine Debatte, ob die Niederlage von Kamala Harris auf den späten Ausstieg von Präsident Joe Biden aus dem Rennen und das Missmanagement ihrer verspäteten Wahlkampagne zurückzuführen sei, oder auf einen strukturellen „vibe shift“ in der amerikanischen Politik. Heute können wir sagen, dass wohl beides der Fall war. Mit einem um 20 Jahre jüngeren Joe Biden oder einem anderen Kandidaten gleich von Beginn an des Wahlkampfs hätten die Demokraten gewinnen können. Aber gleichzeitig verändern sich die Grundlagen der amerikanischen Politik schon seit einiger Zeit, und die meisten dieser Veränderungen sind zum Nachteil der Demokratischen Partei. 

Ja, die Demokraten hätten 2024 gewinnen können, wenn Kamala Harris sich stärker von Bidens Politik, insbesondere im Bezug auf Gaza, distanziert hätte. In diesem Fall hätten sie mehr Stimmen von jungen und arabisch-amerikanischen Wählern bekommen. Die Demokraten haben es auch versäumt, sich als Anti-Kriegs-Partei zu positionieren, statt diese Rolle Donald Trump zu überlassen. Sie hätten gewinnen können, wenn sie nicht eine Kandidatin aufgestellt hätten, die schon für das Vizepräsidentenamt nur zweite Wahl war, dazu noch aus Kalifornien, die dachte, sie könne es mit Unterstützung von Beyoncé und Taylor Swift schaffen. Sie hätten gewinnen können, wenn sie sich mehr um die afroamerikanischen und hispanischen Wähler und Wählerinnen gekümmert hätten. Und sie hätten gesiegt, wenn sie ihre Wirtschaftspolitik besser erklärt und das Inflationsproblem frühzeitig angegangen wären. 

Aber das ist Schnee von gestern. Was die Demokratische Partei jetzt angehen muss, sind die strukturellen Verschiebungen, die das Ergebnis zukünftiger Wahlen beeinflussen und rechts-populistische Kandidatendidaten begünstigen werden  – das, was einige Beobachter  „das Ende der alten Politik“ nennen. Denn die Demokraten hinken mit ihrem Verständnis des neuen politischen Umfelds und ihren Versuchen, sich dem anzupassen, weit hinterher. 

Wenn man sich die Demokratische Partei heute ansieht, streitet sie immer noch über die Niederlage von 2024, anstatt sich auf die Zwischenwahlen im November 2026 vorzubereiten. Ihre Struktur und Finanzierung werden immer noch von Eliten geprägt, ihre internen Gremien scheinen unvorbereitet, viele ihrer Vertreter sind wenig inspirierend, ihre Kongressführung wirkt hilflos und verloren. Und die Energie hinter den großen Demonstrationen im April und Juni kam aus der Zivilgesellschaft, nicht aus der Demokratischen Partei selbst. 

Nach der Niederlage hat sich der Generationenkonflikt verschärft, zwischen jüngeren Wählern, die denken, die Partei müsse nach links rücken, und älteren Demokraten, die glauben, dass weniger Identitätspolitik und mehr “Bidenismus” mit einem anderen Kandidaten ausreichen werden. Doch arbeiten derzeit nur wenige Demokraten an einer neuen Erzählung, die Elemente beider Strömungen zu einer positiven Vision vereint, damit die Wähler wissen, wofür die Partei eigentlich steht. Und noch fehlt es den “Democrats” an risikobereiten Beratern, die diese neue Identität in einen über alle Medienkanäle kommunizierten Wahlkampf übersetzen. 

Über die Jahre haben die Demokraten „die Arbeiterklasse verloren“, wie es heißt. Sie haben nicht auf die Ergebnisse der Finanzkrise von 2008 reagiert, als Präsident Obama die Banker rettete und die middle class mit ihren Hypotheken und Rentenplänen im Stich ließ. Sie haben die Beschwerden der Bürger über die Kosten der fragwürdigen Kriege in Afghanistan und im Irak ignoriert, während diese zu Hause die Gürtel enger schnallen mussten. Sie spürten nicht, dass sich das Spielfeld verschob, als eine radikalisierte Republikanische Partei den traditionellen politischen Wettbewerb in einen Kulturkrieg verwandelte: von den ersten Angriffen auf politische Korrektheit in den 90er Jahren, über die 2008 von der Tea Party ausgedrückte Wutkampagne, bis hin zu dem Hass, der 2015 von der MAGA-Bewegung geschürt und von Donald Trump gefördert wurde. Sie nahmen nicht wahr, in welchem Ausmaß sie selbst als Partei der gebildeten kulturellen Eliten angesehen wurden, die den Kontakt zu den gewöhnlichen Wählern, insbesondere zu jungen Männern ohne Hochschulabschluss, verloren hatten. Und schließlich verstanden sie nicht, wie sehr die “Aufmerksamkeitsökonomie” einer veränderten Medienlandschaft sie im Vergleich zu einer politischen Rechten benachteiligte, die systematisch ihren alternativen Mediensektor mit Talkshow-Jocks aus der Manosphere und Influencern aufgebaut hatte, angeführt von einem Präsidenten, dessen permanente Prahlereien und Lügen Amerika in eine „No-Truth“-Gesellschaft verwandelten. 

Rund 450 Tage vor den Zwischenwahlen, bis zu denen die Partei ihre Identitätskrise bewältigen muss, mangelt es nicht an Ratschlägen von Politikern und Meinungsforschern. Ex-Präsident Obama, der nicht gerade für politischen Mut bekannt ist, hat seine Partei dafür kritisiert, sich nicht genug gegen Trump zu wehren und fordert sie jetzt auf, „sich zusammenzureißen“. Das Democratic National Committee verspricht, den seine Sprache in den sozialen Medien von sorgfältig vorformuliertem und in Umfragen getestetem Formulierungen um vulgäre Ausdrücke wie „sh...“ und „f...“ zu erweitern, um mehr „Authentizität“ zu zeigen. Und Antonio Delgado, der Vizegouverneur von New York, fordert die Landes- und Kommunalregierungen auf, die von Republikener durchgesetzten Kürzungen des sozialen Sicherheitsnetzes durch höhere lokale Steuern für Reiche auszugleichen. 

Der überraschende Erfolg von Zohran Mamdani bei der kürzlichen demokratischen Vorwahl für das Bürgermeisteramt in New York mit seiner energischen, originellen und mediengetriebenen Kampagne ist wohl der meist analysierte Sieg in der jüngeren Wahlgeschichte der Demokraten. Der 33-jährige, freundliche, sprachgewandte, in Uganda geborene Abgeordnete des Bundesstaates New York indischer Abstammung hatte die favorisierten Kandidaten des demokratischen Establishments klar geschlagen, indem er das Thema „Bezahlbarkeit“ direkt an den Wähler brachte. Er durchquerte die Stadtviertel und dokumentierte seine Diskussionen mit New Yorkern aus allen Bevölkerungsschichten an Kebab-Ständen und Straßenecken auf TikTok und Instagram. Daraufhin haben junge  Wähler mit großer Mehrheit für ihn gestimmt. 

Mit guten Chancen, im November Bürgermeister des traditionsgemäß demokratischen New York zu werden, ist Mamdani nun das Aushängeschild für progressive Parteigänger, die glauben, dass seine linksgerichteten Politvorschläge und seine Medienstrategie der Weg nach vorn sind. Als im Ausland geborener muslimischer “Sozialist” ist er aber auch die ideale Hassfigur für die Republikaner. Was auch immer man von seinen politischen Vorschlägen und der Anwendbarkeit seiner Kampagnen-Techniken bei Kongress- oder Präsidentschaftswahlen hält, Mamdani ist der erste Demokrat, der seiner Partei gezeigt hat, wie man im neuen Medienumfeld einen erfolgreichen Wahlkampf führt.

Was können die Demokraten also tun, um das tief verwurzelte Misstrauen, das sich im Laufe der Jahre gegen sie aufgebaut hat, zu überwinden? Wenn man dem Kolumnisten Thomas B. Edsall folgt, der seit Jahrzehnten Wahlergebnisse und Expertenrat für die New York Times interpretiert und einen grundlegenden Wandel in der politischen Landschaft vom „Gruppendenken“ zu den „Bedürfnissen und Beschwerden einzelner“ beobachtet, sollten die Demokraten nicht auf einen automatischen Machtwechsel, auf den traditionellen anti-incumbency-effect hoffen. Nachdem sie die Stimmen der Gewerkschafter verloren haben, während die Republikaner das Votum der Kirchen gewonnen haben, müssten sie ihre Reichweite vergrößern. Sie sollten sich von politischer Korrektheit und kulturellem Liberalismus distanzieren und eine größere ideologische Vielfalt tolerieren. Sie sollten keine Kandidaten mehr aufstellen, die zwar den liberalen Lackmus-Test der Parteiaktivisten bestehen, aber dann die konkreten Erwartungen eines breiteren Publikums nicht erfüllen. 

Es gibt eine Reihe von Beispielen, bei denen demokratische Politiker in Bundesstaaten und Wahlkreisen erfolgreich waren, die im Herbst 2024 von Donald Trump gewonnen wurden. Es gibt Demokraten wie den früheren Verkehrsminister Pete Butigieg, der es schafft, in konservativen Talkshows und Influencer-Kreisen zu bestehen; oder wie Senatorin Elissa Slotkin (Michigan), die Wähler erfolgreich in einfacher Sprache anspricht; oder wie Senator Chris Murphy (Connecticut), der mit seinen Aussagen zur Wirtschaft wie ein progressiver Populist klingt. Aber insgesamt wird das Bild der Partei noch immer von denen geprägt, die einfach nicht vom demokratischen Podium abtreten wollen: den Bidens, den Clintons, den Pelosis und Obamas – und von Kamala Harris, die letzte Woche nicht ausgeschlossen hat, 2028 erneut zu kandidieren. 

Doch es bleibt wenig Zeit, die alte Garde loszuwerden und eine neue Generation hoffnungsvoller Außenseiter in der Partei zu fördern, bevor die entscheidenden Zwischenwahlen Ende 2026 stattfinden. Mindestens eine Kammer des US-Kongresses zurückzugewinnen, wird keine leichte Aufgabe. Es ist unwahrscheinlich, dass die Demokraten die erforderlichen vier Sitze im Senat hinzugewinnen. Im Repräsentantenhaus, wo etwa 20 Kongresswahlkreise offen sind und die aktuelle republikanische Mehrheit bei 219 zu 212 Sitzen liegt, haben sie dagegen bessere Chancen. 

Doch es gibt erhebliche Hindernisse. Beim Sammeln von Wahlkampfspenden für die Kongress und Bundesstaatswahlen, liegen die Demokraten bereits weit hinter den Republikanern zurück. In Bundesstaaten wie Texas versucht die Grand Old Party derweil mit ihrer Mehrheit im Lokalparlament, durch Änderung der Wahlbezirksgrenzen mehr sichere Sitze für die Republikaner zu schaffen. 

Und die nationale Bevölkerungswanderung von “blauen” Bundesstaaten wie Kalifornien, zu von den Republikanern beherrschten “roten” Bundesstaaten wie Florida und Texas, benachteiligt die Demokraten zusätzlich; ganz zu schweigen vom drohenden Zusammenbruch der Demokratischen Wählerschaft in ländlichen Bundesstaaten. Kurzum, auch die längerfristigen Veränderungen sprechen nicht für die Demokraten.

Umso wichtiger wird es für die Demokratische Partei, die Auswahl der Kandidaten zu verbessern und Wahlkampagnen zu entwickeln, die weniger ideologisch und pragmatischer sind – weniger von allgemeinen Politikvorschlägen geprägt, dafür aber maßgeschneidert auf den jeweiligen Bundesstaat oder Wahlkreis, um eine breitere Wählerschaft als nur die demokratische Basis anzusprechen. Und diese Kampagnen müssen auf allen sozialen Medienkanälen geführt werden, wo nicht nur das Medium die Message ist, sondern beides auch noch zum Kandidaten passen muss. Keine leichte Aufgabe.

Doch um der zunehmend radikalen Agenda der Republikaner ein Veto entgegensetzen zu können, wird eine demokratische Mehrheit zumindest im Repräsentantenhaus entscheidend sein. Denn mit einer unterwürfigen Republikanischen Partei, einem Supreme Court, der klar auf der Seite von Donald Trump steht, Wirtschaftseliten, die ihre Eigeninteressen verfolgen, und Rechtskonservativen, die in den Medien den Kampf um die Aufmerksamkeit gewinnen, könnte die Trump-Administration in den verbleibenden zwei Jahren ihrer Amtszeit – sofern es bei zwei Jahren bleibt – ohne jegliche Kontrolle oder Gegenmacht agieren. „Uns gehen die Schutzwälle aus”, wie es der Kolumnist der New York Times, Frank Bruni, ausdrückt. Sollten die Demokraten auch 2026 wieder scheitern, wird es kaum noch Widerstand gegen den weiteren Abbau der amerikanischen Demokratie geben. 

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