Von Akademikern und Journalisten, die lieber schweigen

Sie haben sicher von der mutigen Harvard University gehört, die Präsident Trumps Versuch widersteht, die akademische Freiheit einzuschränken, die Amerika einst auszeichnete. Und Sie haben sicher von der feigen Columbia University gelesen, die seinen Zensurbefehlen nachgab. Aber Sie wissen vielleicht nicht, welche Auswirkungen der von der Trump-Administration ausgerufene Krieg gegen „wokeness“ an Universitäten, in öffentliche Bibliotheken und lokale Medien hat, dort, wo es nicht ums große Geld geht, kaum einer hinschaut und Widerstand schwierig wird; das heißt in den amerikanischen Kleinstädten, wo die Agenten der Einwanderungsbehörde (ICE) die örtliche Universität oder die Treffpunkte von Einwanderern besuchen, wo niemand weiß, was da genau passiert und Gerüchte die Runde machen. Hier soll es um die Leute gehen, die sich auf meiner Reise durch das „flyover country“ der Nachfrage entzogen, und um meine Spekulationen darüber, was sie dazu bewogen hat, meiner Bitte um ein Gespräch nicht nachzukommen. 

Ich hatte – nennen wir sie Anna – vor einigen Jahren bei meiner Arbeit in Ostafrika kennengelernt. Sie war eine junge, intelligente Masterstudentin der Psychologie an einer der besten afrikanischen Universitäten und hatte das Zeug dazu, weit zu kommen. Als ich hörte, dass sie an einer Universität im Bundesstaat Mississippi promovierte, rief ich sie an, um mich mit ihr zu treffen. Doch Annas erste Reaktion auf meine Anfrage war ungewöhnlich zurückhaltend. Sie müsse sich das noch überlegen und ihre Kommilitonen und Dozenten fragen, ob sie denn mit mir sprechen wollten. Wollten Sie nicht! Und Anna traute sich nicht einmal, unseren Austausch per WhatsApp fortzusetzen. 

Es stellte sich heraus, dass Annas Universität Studierenden geraten hatte, das Land nicht zu verlassen, da sie möglicherweise nicht zurückkehren könnten; sie sollten nicht mit Journalisten oder Außenstehenden sprechen, da dies sie und die Institution in Schwierigkeiten bringen könnte. Zu wichtigen Themen tauschten sich die Studierenden untereinander nicht mehr über soziale Medien aus, sondern nur noch von Person zu Person, da sie gehört hatten, dass „Spione“ auf dem Campus seien,  die Einwanderungs- und Zollbehörde ICE (Immigration and Customs Enforcement) informierten, um sie abschieben zu lassen. 

Anna ist nur eine von 1,1 Millionen ausländischen Studierenden, die heute in den USA eingeschrieben sind. Laut „The Atlantic“ trugen sie im vergangenen akademischen Jahr 44 Milliarden Dollar zur US-Wirtschaft bei und sichern 378.000 Arbeitsplätze. Doch die aktuelle Angst auf dem Campus vor Abschiebungen geht nicht zuletzt auf die vergangenen Äußerungen des heutigen Vize-Präsidenten JD Vance zurück, der Universitäten 2021 zu „feindselige Institutionen“ erklärt hatte, die „aggressiv angegriffen“ werden müssten. 

Annas Befürchtungen mögen teilweise auf Gerüchten beruhen, doch sie erfüllten ihren Zweck, Studierende und Lehrende zum Schweigen und zur Unterwerfung zu zwingen. Wie erfolgreich diese Einschüchterungen waren, stellte ich fest, als ich Professoren und Dozenten der Sozialwissenschaften kontaktierte, um mit ihnen über Geschichte, Politik, Religion und Donald Trumps Bildungsmaßnahmen zu sprechen. Niemand antwortete auf meine Anfragen, nicht einmal eine Begründung, man sei zu beschäftigt, kam zurück. 

Als ich Anfang der 90er Jahre über die Vereinigten Staaten berichtete, lehnte niemand die Interviewanfrage eines deutschen Korrespondenten ab. Alle wollten mit mir sprechen und dem Ausländer stolz ihr Land erklären. Als ich damals durch das Hinterland reiste, war Europa für die meisten Menschen zwar weit weg, doch sie stellten dennoch Fragen über die Welt da draußen, sei es über den Fall der Mauer oder die Krise im Nahen Osten. Damals grassierte die Befürchtung, Japan würde das Land mit billigeren Computern und besseren Autos überschwemmen, doch dies trübte weder das innenpolitische Urteil der Bürger noch belastete es die internationalen Beziehungen. 

Im Frühjahr 2025 war dies anders. Trump-Wähler erklärten mir immer wieder, warum drastische Maßnahmen nötig seien, um Amerika wieder zu alter Größe zu führen und China entgegenzutreten. Dagegen schienen viele Journalisten und Akademiker mit ihren Meinungen zu den Ereignissen in Amerika in den Untergrund gegangen zu sein. 

Da war der Herausgeber einer Zeitung aus West Virginia, der weder ans Telefon  ging noch auf E-Mails antwortete. Dasselbe galt für den Religionskorrespondenten einer Zeitung in Nashville oder den Kolumnisten einer Lokalzeitung in Georgia. Da war der Schuldirektor, der eloquent über die Nachteile des Heimunterrichts schrieb, aber mir zur Schulpolitik keine Auskunft geben wollte. 

Da waren die Bibliothekare in Amerikas wunderbarem und gut ausgestattetem System öffentlicher Bibliotheken, die sich aus sehr verständlichen Gründen entschuldigten, manche von ihnen mutiger als andere. 

Natürlich traf ich auch liberale Angehörige der professional classes, die mir in privaten Gesprächen ihr Herz öffneten – geprägt von Verzweiflung oder offener Feindseligkeit gegenüber Donald Trump und seinen Anhängern. „Was“, sagte ein Freund in Washington D.C. zu mir, „du fährst nach Dummfuckistan“, als er von meiner geplanten Route durchs Hinterland hörte. Er hatte versucht, Trumps Erstwähler 2016 zu entschuldigen, aber für diejenigen, die 2024 erneut für ihn stimmten, konnte er nur „tiefe Abscheu“ empfinden. „Ich bin verdammt wütend, dass Trump seit zehn Jahren mein Leben dominiert“, so ein anderer frustrierter Freund in Atlanta. Aber das waren Leute im Ruhestand, die ihre Meinung und ihren Ärger frei äußern konnten, ohne Vergeltungsmaßnahmen fürchten zu müssen. 

Und dann gab es da noch die Akademiker an den „feindlichen Institutionen“, die linken Verwalter von „Wokeness“- und DEI-Programmen an Universitäten, wie die Republikaner sie beschreiben würden. Sie wollten partout nicht mit mir reden. Ich konnte sie anrufen, ihnen E-Mails schicken oder sie sie auf den Fluren ihrer Fakultäten der Geschichts- oder Sozialwissenschaft zur Rede stellen. Sie hatten keine Zeit, zeigten kein Interesse oder taten so, als hätten sie keine Ahnung, als ich ihnen direkte Fragen zu Kultur und Politik stellte. 

Nach dem Studium der Biografien von Professoren und Doktoren an einigen Universitäten in den Südstaaten konnte ich ansatzweise die Argumentation konservativer Kritiker nachvollziehen, dass eine zufällige Expertise zu Randthemen traditionellere akademische Schwerpunkte verdrängt habe. Es war tatsächlich schwierig, einen Experten für meine eher bodenständigen Fragen zu finden – nicht zum Buddhismus in Bhutan, sondern zur Politik des amerikanischen Südens –, der dann meine Anfrage ohnehin nicht beantworten würde. 

Da ich die verstummten Akademiker nicht nach den Gründen für ihr Schweigen fragen konnte, muss ich über die Gründe spekulieren. War es die Angst davor, Ärger mit der ebenso verschreckten Leitung ihrer Universität zu bekommen? Oder die Scham liberaler Demokraten, ihr Heimatland nicht mehr zu verstehen, geschweige denn erklären zu können? Ist das akademische Leben etwa so hektisch und herausfordernd geworden, dass keine Zeit mehr dazu bleibt, neugierige Besucher zu treffen? 

Oder ist es der Schock darüber, dass die älteste moderne Demokratie plötzlich ein Orwells‘sches Szenario durchlebt? Sind diese Akademiker damit beschäftigt, „1984“ noch einmal zu lesen und sich dabei vorzustellen, sie wären nicht mehr in Tennessee oder Mississippi, sondern in „Ozeanien“ tätig; und sich zu überlegen, was sie in der Rolle des Protagonisten Winston Smith tun sollen? 

Ich weiß es nicht, und ich frage mich, ob sie es genau wissen. Am Ende habe ich das Schweigen, der Leute, die mich nicht treffen wollten, als Warnung verstanden. Denn angesichts der Angst in Amerika heute sollten wir nicht ausschließen, dass sich ein ähnliches Szenario nicht morgen auch wieder in Europa entfalten könnte. Wären unsere Akademiker und Journalisten dann mutiger? Vielleicht sollten wir Europäer jetzt Sinclair Lewis’ dystopischen Roman „It can’t happen here“ lesen, in dem der Autor seine Landsleute Mitte der 30er Jahre vor der Nachahmung der europäischen Faschismen warnte. 

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