Die Zukunft von MAGA nach Donald Trump
Man hätte kaum erwartet, dass ausgerechnet eine waffenbefürwortende, streng christliche, gegen Muslime und Juden hetzende, für „weiße Männer“ und das „ungeborene Leben“ kämpfende dreifache Mutter und glühende MAGA-Anhängerin die erste wahre Rebellin unter Donald Trumps Präsidentschaft sein würde. Eine Politikerin, die in der Vergangenheit behauptete, die Welt werde von einem Netzwerk satanischer, von George Soros finanzierter und von Hillary Clinton unterstützter Pädophiler kontrolliert. Doch genau diese radikale Kongressabgeordnete Marjorie Taylor Greene hat mit einem eindrucksvollen, elfminütigen Video den Präsidenten herausgefordert – und damit die tiefen Risse innerhalb der rechten Bewegung sichtbar gemacht. Risse, die die Frage aufwerfen, welche Zukunft “Make America Great Again” nach Donald Trump überhaupt noch hat.
Die unterschiedlichen Strömungen innerhalb von MAGA existieren schon länger, doch erst jetzt treten sie offen zutage: „America First“-Anhänger, die Trumps Außenpolitik missbilligen – ob Finanzhilfen für Argentinien, Kriegsschiffe gegen Venezuela oder sein Engagement im Nahen Osten; Tech-Milliardäre, die die Anwerbung hochqualifizierter ausländischer Fachkräfte fordern, während das Weiße Haus einen erbitterten Feldzug gegen alle Immigranten führt; reuige Konservative, die inzwischen die wachsende Toleranz der Bewegung gegenüber offen faschistischen und antisemitischen Influencern kritisieren; und die zunehmende Zahl von MAGA-Anhängern, die realisieren, dass auch sie den Preis für Trumps erratische und schädliche Zollpolitik zahlen müssen.
Und dann ist da der immer erbitterter geführte interne Kampf um die Veröffentlichung der „Epstein Files“ – jener Dokumente über skandalöse Verfehlungen eines elitären Netzwerks aus Pädophilen und Mitläufern, Republikanern wie Demokraten. Marjorie Taylor Greene ist dabei nur die lauteste Stimme, die kompromisslos die vollständige Veröffentlichung fordert.
Wo also kommt MAGA her – und wohin steuert die Bewegung? Viele der rechten Positionen, die heute unter ihrem Namen zirkulieren, existieren seit Jahrzehnten. Sie wurden von konservativen Denkern wie William F. Buckley Jr. oder Allan Bloom formuliert und von Randfiguren der Republikanischen Partei wie David Duke oder Pat Buchanan in Wahlkämpfen der frühen 1990er-Jahren politisch aufgegriffen. Es folgten George W. Bushs teure „Forever Wars“ der 2000er-Jahre und die Finanzkrise von 2008. Zunehmend wurden die sozialen Kosten der Globalisierung und kulturelle Veränderungen als Versagen eines neoliberalen Systems wahrgenommen – verstärkt durch das „Problem“ der Massenmigration. Genau diese weit verbreitete, aber politisch unbeantwortete Entfremdung nutzten zunächst die Tea Party und später Donald Trump mit populistischem Instinkt und politischem Gespür.
In ihrem faszinierenden Buch „Furious Minds“ beschreibt Laura K. Field die zahlreichen Fraktionen, die im MAGA-Universum zusammenfanden: die „Claremonter“, konservative Intellektuelle aus dem gleichnamigen think tank, die an die amerikanischen Gründungsmythen anknüpfen; die überwiegend katholischen “Postliberalen”; die christlichen Nationalisten; und die Techno-Futuristen des Silicon Valley. Trumps Genie bestand darin, diese alten und neuen Strömungen der politischen Rechten in einer Zeit fundamentaler Veränderungen in Medien, Wirtschaft und politischer Kultur unter einer einzigen Marke zu bündeln – MAGA – und so die öffentliche Unzufriedenheit zu kanalisieren.
Eine aktuelle NBC-Umfrage zeigt, dass sich weiterhin 30 Prozent der US-Bevölkerung mit der Bewegung identifizieren, die Donald Trump für sich beansprucht. Auf die Frage nach seinen ständigen Kurswechseln in konservativen Positionen erklärte er kürzlich in einen TV-Interview: „Vergesst nicht: MAGA war meine Idee. MAGA war die Idee von niemand sonst. Niemand weiß besser als ich, was MAGA will.“ Doch mit „MAGA c’est moi“ – was bleibt dann von der Bewegung ohne ihren selbsternannten König? Oder anders formuliert: Wenn der Präsident zunehmend unter Druck gerät und selbst republikanische Abgeordnete nicht mehr blind seinen Befehlen folgen, stellt sich für die Bewegung unter einem politisch geschwächten Präsidenten im Weißen Haus die Frage: Wie geht es weiter?
Es gibt verschiedene Sichtweisen auf MAGAs Erfolg und Fragilität. Man kann die Bewegung, wie Jonathan Chait in The Atlantic, im Vergleich zum klassischen Konservativismus für „hirntot“ erklären. Oder man betont – wie George Packer im selben Magazin – im Vergleich zu einer fehlenden liberalen Antwort MAGA’s intellektuelle Energie der vergangenen Jahre. Der Autor Marc Lilla beschreibt drei mögliche Deutungen des MAGA-Phänomens: als „Vollendung der konservativen Bewegung“, als „Verrat am traditionellen Konservatismus“ oder als „gleichzeitigen Stoß eines gewaltigen kulturellen Sturms, der im Westen wütet und Errungenschaften von Jahrhunderten hinwegfegt“. In einem sind sich alle einig: Der politische Erfolg von MAGA geht einher mit einem tiefen moralischen Verfall und der Entmenschlichung des politischen Gegners.
Eine Bewegung wie MAGA braucht eine Ideologie. Doch unter einem Präsidenten, der die Realität nach Belieben beugt, verlieren Begriffe wie Nationalismus, Nativismus, Isolationismus, Protektionismus oder Techno-Feudalismus ihre Bedeutung – und damit ihre Bindekraft für einzelne Fraktionen. Dies zeigt sich etwa in dem internen Konflikt über „Chancen und Risiken von Künstlicher Intelligenz “, der laut Economist „der vielleicht der folgenreichste ist. Während die KI-“Beschleuniger” im Silicon-Valley die totale Deregulierung fordern, warnen die moralgetriebenen “Entschleuniger” in der Bewegung vor Jobverlusten und kulturellem Verfall. Solche Spaltungen führen zu einem Grundproblem der Bewegung: Sollen die Anhänger ihre Überzeugungen verteidigen – oder ihren Anführer? Während Trumps politische Zeit abläuft, müssen Republikaner entscheiden, wo im künftigen konservativen Spektrum sie sich aufstellen wollen.
Diese Positionierung wird mit jeder Niederlage des Präsidenten im Kongress und vor Gericht dringlicher. Man sieht dies in Marjorie Taylor Greenes Rücktritt aus dem Repräsentantenhaus und in den Manövern potenzieller Präsidentschaftskandidaten, die um die Gunst des amtierenden Vizepräsidenten buhlen, der während des Niedergangs Trumps einflussreichsten Figur im republikanischen Lager. Auch wird spannend zu beobachten sein, wie MAGA-Anhänger den Weg zurück aus einer Welt der Verschwörungen, Wunschvorstellungen und vereinfachenden Dogmen in eine komplexe, diverse amerikanische Realität finden. Wenn überhaupt. Rückkehr zur Realität – oder weitere Radikalisierung? Die Frage bleibt offen.
Für manche wird das Verlassen der MAGA-Welt ein langer und schmerzhafter Prozess sein, wie Richard Loges zu berichten weiß. Der ehemalige Verfechter der Bewegung benötigte Jahre, um seine politische Verirrung einzugestehen. „Die ständige Diät aus MAGA-Medien“ habe ihn in den konservativen Abgrund geführt, sagt er. Erst „die Diversifizierung seiner Informationsquellen“ habe ihm vor Augen geführt, dass er „in der MAGA Bewegung seine Menschlichkeit verloren hatte”.
Viele werden ihre Radikalisierung jedoch nie reflektieren. Die Mehrheit der enttäuschte MAGA-Wähler dürfte sich politisch einfach zurückziehen – auch weil die Demokraten bislang keine überzeugende Erzählung für jene anbieten, die das Spielfeld eines regelbasierten und zivilen Zweiparteiensystems verlassen haben. Hinzu kommt, dass die Übernahme traditioneller Medienhäuser durch rechte Milliardäre die Verbreitung einer liberale Gegen-Erzählung immer schwieriger macht.
Manche ehemalige oder aktuelle Hardliner könnten versuchen, einen neuen Populismus zu entwickeln, der „America First“ mit einer progressiveren Sozialpolitik verbindet – ein Ansatz, den sowohl Marjorie Taylor Greene als auch Steve Bannon bereits antesten. Möglicherweise gäbe es hier sogar Schnittmengen mit linken Politikern, die außenpolitischen Isolationismus mit wirtschaftlichem Populismus kombinieren wollen, denn politische Erfolge in den USA werden ohne Antworten auf die „Bezahlbarkeitskrise“ kaum noch möglich sein.
Andere extremistische Stimmen aus der rechten Blogosphäre könnten sich an den weißen, christlichen Nationalismus anlehnen, wie er von Vizepräsident J.D. Vance vertreten wird. Doch eine von dieser Strömung dominierte Republikanische Partei dürfte an den Wahlurnen kaum mehrheitsfähig sein. Um die Zukunft amerikanischer Politik bestimmen zu können, müssten diese extremen Nationalisten demokratische Institutionen erst noch weiter beschädigen – nicht völlig ausgeschlossen, aber doch eher unwahrscheinlich. Bis 2028 könnten sie trotzdem großen gesellschaftlichen Schaden anrichten.
Eines ist in der politisch instabilen Phase unter einem “schrumpfenden” Präsidenten jedoch bereits sicher: Nach Trump wird es keine Rückkehr zur Politik von gestern geben – weder für Republikaner noch für Demokraten. Die „Grand Old Party“ wird sich nach ihrer Kapitulation vor Trump und seiner Kabale aus korrupten und kriminellen Gefolgsleuten grundlegend neu erfinden müssen. Die Demokraten wiederum müssen Wege finden, die schwer beschädigten Institutionen wieder aufzubauen und dabei gleichzeitig zu reformieren – damit „der Staat“ effizienter wird und von allen Bürgern akzeptiert werden kann. Neben einer entschiedeneren Verteidigung von Rechtsstaatlichkeit und öffentlichen Institutionen muss die Demokratische Partei aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, vor allem dem fehlenden Blick für das Bedürfnis vieler Menschen nach Respekt und Zugehörigkeit.
Doch die wichtigste und zugleich schwierigste Aufgabe der Politik nach Trump wird sein, die die online wie offline propagierte Kultur der Gewalt, der Wut, der Bigotterie, der Häme, der Erniedrigung und Entmenschlichung wieder einzudämmen. Und um ehrlich zu sein: derzeit weiß niemand, wie das gelingen soll.