“Make Europe great again” - in MAGA’s Image

„Make Europe Great Again“ – durch Verunglimpfung seiner Regeln und Werte. So lautet der zentrale Schlachtruf der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) von Donald Trump vom 4. Dezember. „America First“ macht damit die Neuerfindung Europas in MAGA’s Image zu einem neuen Ziel US-amerikanischer Geopolitik. Der Rest der 33-seitigen Schrift fällt gedanklich ins 19. Jahrhundert zurück, indem die Welt erneut in Einflusssphären aufgeteilt wird. Die einst beschworene Bedrohung durch China schrumpft zur bloßen wirtschaftlichen Konkurrenz. Russland wird gestattet, zu seinen sowjetischen oder gar imperialen Wurzeln zurückzukehren. Und die „westliche Hemisphäre“ gehört – wie eh und je – den Vereinigten Staaten, nun unter einer aufgemotzten Version der Monroe-Doktrin von 1823. Dass der starke Mann im Weißen Haus als ehemaliger Immobilien-Hai die Welt in Parzellen aufzuteilen will, die dann von den dortigen Herrschern ausgebeutet werden können, überrascht kaum. Doch woher rührt Trumps – und MAGAs – tiefe Verachtung für Europa?

Erstens wird sie von einem Präsidenten vorgegeben, der Schwäche verachtet, sich von Geschichte nicht gebunden fühlt, sich selbst für zu groß hält, um Verbündete zu brauchen, und der keine  moralischen Maßstäbe kennt. Kurz: einem Darwinisten, Transaktionalisten, Narzissten und Nihilisten – einem Führer, dem alle Eigenschaften fehlen, die es braucht, um eine Demokratie zu führen.

Zweitens wurde diese Nationale Sicherheitsstrategie mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem engen Kreis ideologischer Berater verfasst, ohne Einbindung von erfahrenen Beamten oder gar Diplomaten. Anders als die Sicherheitsstrategie seiner ersten Amtszeit, die sich noch in den stetigen Rückzug der jüngeren US-Außenpolitik einfügte, markiert das neue Dokument einen radikalen Bruch mit dem bisherigen amerikanischen Weltbild – und eine so selbstbeweihräuchernde (man lese nur Trumps zweiseitige Einleitung!) wie skrupellose Neuverortung der USA in der Welt.

Dieser deutliche Unterschied zwischen der NSS von 2017 und jener vom Dezember 2025 spiegelt den Weg von der ersten zur zweiten Trump-Administration wieder – und den Übergang von MAGA 1.0 zu MAGA 2.0. In der ersten Amtszeit hatten die radikalen Kräfte an Trumps Seite festgestellt, dass wirkliche Macht und der angestrebte Wandel von einer liberalen zu einer illiberalen Hegemonie mehr erfordern, als bloß andere Politikvorschläge. Da Macht in Institutionen verankert ist, mussten auch diese verändert werden: von Behörden über Kanzleien bis hin zu Universitäten und Medien. Genau das ist das Drehbuch von Trump II – mit dem DOGE-Experiment, Racheanklagen gegen frühere Staatsanwälte, Angriffen auf Eliteuniversitäten und Drohungen gegen kritische Traditionsmedien.

Wer glaubt, liberale Schwäche liege vor allem in Regeln und Institutionen begründet, überträgt diese Sicht zwangsläufig auch auf die Außenpolitik. Und dann sieht man in Europa nur das, was man im eigenen Land hasst. Durch diese Brille erscheint die „alte Welt“ als Bastion des Liberalismus und als Hölle einer vermeintlich „woken“ Kultur – ungeachtet der Tatsache, dass der Begriff des „Wokismus“ selbst eine amerikanische Verzerrung französischer Philosophie darstellt. Man glaubt dann, wie Donald Trump, Europa sei einzig geschaffen, um die USA „zu bescheißen”.

Man kann all die Provokationen, Auslassungen und Widersprüche dieser Europapolitik aufzählen. Die neue Bibel des „America First“ will „auf der eurasischen Landmasse die Bedingungen strategischer Stabilität wiederherstellen“ – eine Formulierung, die Wladimir Putin kaum besser hätte wählen können. Anders als im vorhergehenden Dokument fehlt in der neuen NSS jeglicher Verweis auf Menschenrechte. Sie tadelt die EU für eine zu lasche Migrationspolitik, während die USA selbst früher eine nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit haben werden als die meisten europäischen Staaten. Manche würden dies als Projektion eigener Ängste bezeichnen. Die Strategie predigt Nicht-Interventionismus und empfiehlt zugleich eine gezielte Einmischung in europäische Politik, indem man „Widerstand gegen Europas gegenwärtigen Kurs innerhalb europäischer Nationen kultiviert“. Das heißt, die nationale Souveränität der Vereinigten Staaten soll durch Eingriffe in die Souveränität anderer Länder verteidigt werden.

Doch das bloße Aufzeigen fehlender Wertevorstellungen und mangelnder Kohärenz in diesem provokanten, aber ehrlichen Dokument hilft Europa wenig angesichts seiner Abhängigkeit von den USA und seiner prekären globalen Lage. Aus europäischer Sicht erscheint es sinnvoller, die Kräfte in den USA zu analysieren, die diese Positionen vertreten, um die dahinterstehenden Interessen zu verstehen: Welche Elemente dieses Konvoluts aus Fakten, Fiktionen und Halbwahrheiten sind populär genug, um die zweite Trump-Administration zu überdauern – und warum?

Die NSS versucht, jeder Fraktion der Koalition, die Trump zweimal ins Weiße Haus getragen hat, etwas zu bieten. Den Isolationisten verspricht sie den Rückzug aus der traditionellen Rolle als Weltpolizist. Die China-Hardliner erhalten zumindest eine abgeschwächte Bestätigung der Sicherheitsgarantie für Taiwan. Der Rückzug aus dem Nahen Osten öffnet Spielräume für Deal-Maker innerhalb und außerhalb der Präsidentenfamilie. Der verbliebenen weißen Arbeiterklasse verspricht die Zollpolitik eine Rückkehr der Industrie ins amerikanische Kernland. Die Deregulierungsrhetorik ist das Geschenk an die Tech-Brüder im Silicon Valley. Und der Export des Kulturkampfes nach Europa bedient die christlich-nativistische, anti-woke Fraktion um Steve Bannon und Vizepräsident J. D. Vance.

Zwischen diesen Gruppen gibt es weiterhin genügend Konfliktstoff. Doch Trump hat innerkoalitionäre Streitereien stets als Mittel zur Machtsicherung genutzt, und es ist unwahrscheinlich, dass die Allianz ausgerechnet an Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zerbricht. Hinter der inhaltlichen Inkohärenz und den kleinteiligen Versprechungen liegt die eigentliche Kunst dieser NSS – und der trumpistischen Politik insgesamt: die Verbindung von Narrativ und Zweck, die Verschmelzung kultureller „weicher“ Themen mit handfesten politischen Interessen, das Schüren von Emotionen, um Ausbeutung und Abschöpfung zu verschleiern.

Der eigentliche Grund, warum Europa – der vermeintliche Verbündete – stärker unter amerikanischem Beschuss gerät als traditionelle Gegner, liegt darin, dass die EU der letzte Teil der alten Ordnung ist, der am Rechtsstaat festhält und versucht, die Dominanz der US-Techindustrie zu begrenzen. Deshalb wurde Microsoft von der US-Regierung gezwungen, die E-Mails des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs, Karim Ahmad Khan, abzuschalten. Und deshalb löste eine lächerliche 140-Millionen-Dollar-Strafe der EU gegen Elon Musk wegen Verstößen seiner Plattform X einen Sturm der Entrüstung aus Trumps Kabinett aus. Da der wirtschaftliche Vorsprung der USA gegenüber Europa maßgeblich auf der Macht der Techindustrie und ihrer Wette auf Künstliche Intelligenz beruht, folgt Trump’s Politik den Forderungen der Oligarchen des Silicon Valley. Ihnen in einem Europa von Vasallenstaaten freie Hand zu lassen, ist Teil dieses Deals.

Ob die MAGA-Koalition die Zwischenwahlen im November 2026 übersteht, ist offen. Die  US-Demokraten sollten versuchen, die zunehmenden innenpolitischen Probleme und die weitverbreitete Skepsis gegenüber KI mit Trumps umstrittener Politik zu verknüpfen, wie sie in der NSS formuliert wird. Und Europas Parteien der Mitte sollten die weitverbreitete Abneigung gegen Donald Trump, zusammen mit einer Verteidigung nationaler Souveränität „als Waffe gegen die Euro-MAGA-Bewegung“ einsetzen – wie Mark Leonard im Economist vorschlägt.

Doch all das wird schwierig. Fragt man den durchschnittlichen US-Wähler nach seiner Sicht auf Europa, lautet die Antwort meist: „Schöner Ort, aber sie sollten für ihre Verteidigung selbst zahlen.“ Es gibt noch immer eine sentimentale Bindung an die „alte Welt“, solange sie die „neue Welt“ wenig kostet. Meinungsumfragen zeigen zwar, dass über 60 Prozent der Amerikaner weiterhin die NATO, die Unterstützung der Ukraine und die Verteidigung Taiwans befürworten. Doch solche Befragungen gehen selten tiefer: „Und was, wenn man dafür zahlen muss?“

Legte man dem durchschnittlichen Wähler in den USA die sieben Stichpunkte der NSS zu den „Prioritäten“ der neuen Europapolitik vor, würden er oder sie diese vermutlich problemlos durchwinken – vielleicht mit Ausnahme des Punktes der „Kultivierung von Widerstand in Europa“. „Strategische Stabilität mit Russland…“ – abgehakt. „Europa befähigen, auf eigenen Füßen zu stehen…“ – warum nicht. „Offene europäische Märkte…“ – selbstverständlich. Europa zu Maßnahmen gegen „feindliche wirtschaftliche Praktiken“ bewegen – na klar. Anders gesagt: Die Trump-Koalition wird wegen dieses Dokuments kaum Wähler verlieren. Und auch die Demokratische Partei hätte es schwer, im Wahlkampf oder gar in Regierungsverantwortung grundlegend gegen diese Punkte zu argumentieren. Die gnadenlose Neuformulierung der amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik in der NSS mag die liberalen Eliten auf beiden Seiten des Atlantiks aufschrecken. Doch die einzelnen Punkte entsprechen weitgehend den Gefühlen eines Großteils der US-Bevölkerung.

Die EU sollte die Kräfte hinter der Wortwahl dieser NSS daher ernst nehmen, sich auf einen anhaltenden Deregulierungsdruck aus dem US-Techsektor einstellen und nicht auf substanzielle Veränderungen der transatlantischen Beziehungen nach Trumps Abgang hoffen. Europa muss rasch lernen, auf eigenen Füßen zu stehen – wenn es Amerika nicht endgültig verlieren will. 

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