Trump’s Psychopathologie

Der “Tag der Befreiung“, an dem Donald Trump am 4. April Amerika’s Zölle gegen die gesamte Welt verkündete, war ein Wendepunkt. Es war nicht nur der Tag, an dem die globale Wirtschaftsordnung erschüttert wurde. Es war auch der Tag, an dem viele liberale Kommentatoren ihren Kurs änderten. Hatten sie bisher noch versucht, seine sprunghaften, emotionalen und widersprüchlichen Ankündigungen mit einer tiefer liegenden Logik zu erklären – seien es Bruchstücke einer politischen Idee, Überreste einer Wirtschaftstheorie oder einfach ein billiges Geschenk an seine MAGA-Basis – so gingen sie nun zu persönlicheren Erklärungen über: der Typ sei einfach verrückt und gestört. „Donald Trumps Ego bringt die Weltwirtschaft zum Schmelzen“, schreibt Susan Glasser im „New Yorker“ und beklagt unser langjähriges „Missverständnis von Trumps Psychologie“. Und Derek Thompson analysiert in „The Atlantic“ eine „Metastasierung von Trumps Persönlichkeit“, er nennt die Krankheit „Grandiosität als Strategie“. 

Angesichts der Tatsache, dass so viele politische Analysten und Wirtschaftsexperten Trump 2.0 falsch eingeschätzt haben, war es naheliegend, jemanden zu befragen, der Donald Trump häufiger als andere zu seiner Psyche interviewt hat, nämlich Marc Fisher, Co-Autor von „Trump Revealed: The Definitive Biography of the 45th president“ (2016/7). Marc war 37 Jahre lang als Reporter und Redakteur für verschiedene Nachrichtenbereiche der „Washington Post“ tätig und ist derzeit Kolumnist der Zeitung für D.C. und seine Vororte. Wir trafen uns in einem Café in Washington. 

Marc ist nicht überrascht über die allgemeine Entwicklung der Ereignisse in den ersten 75 Tagen von Trumps zweiter Präsidentschaft. „Die grundlegende Scharade, die Respektlosigkeit gegenüber Opfern, die Übertreibungen, die Rache und der Wunsch nach Chaos, all das ist beständig und war schon immer da.“ Neu sei diesmal jedoch, so der Biograf, dass er jetzt im „overdrive“ vorgehe, um alles auf einmal zu erledigen, aus Angst, zur lame duck zu werden, zu einem Präsidenten auf Abruf. 

Trump sei längst durch sein Alter geschwächt, was in der Öffentlichkeit jedoch durch die Energie von Elon Musk verdeckt werde. Das perfekte Bild dafür war die Szene, in der Elon und sein vierjähriger Sohn ihm im Oval Office die Schau stehlen. „Der Donald Trump des Jahres 2017 hätte eine solche Szene niemals toleriert“, sagt Fisher, „er saß einfach nur da, als wäre er besiegt.“ 

Im Donald Trump von heute erkennt Marc Fisher den Sohn, der die kognitiven Beeinträchtigungen seines Vaters und den langsamen Verfall seiner Mutter miterlebt hat; er sieht den Vater, der mit ansehen musste, wie ihn seine Tochter Ivanka, „die einzige Person, die er respektiert“, 2022 als Beraterin verließ, und mit ihm, wie sie es nannte, die „dunkle Welt“ der Politik; und einen 78-Jährigen mit wenigen oder gar keinen Freunden mehr. Als die Biografen Kontakt zu den Personen aufnahmen, die Trump ihnen als engste Freunde beschrieben hatte, waren drei von vier überrascht, so genannt zu werden. 

Heute lebt Trump allein im Weißen Haus, ohne seine Frau Melania, twittert die Nacht durch und sieht sich vielleicht immer noch die Dokumentationen auf dem History Channel an, wie er dies schon in seinen Zwanzigern tat, als er seine Faszination für die starken Männer der Geschichte entwickelte. Für Trump gibt es 2025 keine politische Kundgebungen mehr, bei dem ihm die MAGA-Menge zujubelte, nur noch den wöchentlichen Trip zu seinem floridianischen Schloss ​​in Mar-a-Lago, wo er von Donnerstag bis Sonntag als Teilzeitkönig einer einst rebellischen Nation regiert. 

Da haben wir also den 47. Präsidenten der Vereinigten Staaten zunehmend einsam und schon schon lange schwer gekränkt, weil er vom Establishment nie akzeptiert wurde, weder in New York noch in Washington. Das perfekte Bild dafür war sein von Rachsucht und Drohungen gekennzeichneter Besuch im Kennedy Center, der Hochburg des kulturellen Establishments der Hauptstadt, „der Leute”, so Fisher, “die ihn sein ganzes Leben lang ausgelacht haben“. 

Diese gesellschaftliche Ablehnung könnte auch seine Bewunderung für die Tech-Brüder des Silicon Valley erklären, mit denen er den Narzissmus, den völligen Mangel an Empathie und, wie Fisher sagt, „die kindlichen Wünsche“ teilt. Diese Männer waren die einzigen verbliebenen Figuren des Establishments, die bereit waren, seine Pläne voll mitzutragen – zu ihrem eigenen Vorteil, versteht sich, und wer weiß, wie lange noch. 

Was Elon Musk und die Tech-Industrie von Donald Trump wollen, ist klar: neue Verträge, bei denen die staatlichen Dienstleistungen weiter gekürzt und an private Unternehmen ausgelagert werden. Deren Firmenquartiere liegen entlang der neuen Metrolinie vom Flughafen Dulles in die Innenstadt. Und im Wald dahinter, sagt Fisher, könne man die Villen der Tech-Manager erkennen, die mit den Gewinnen aus der letzten Privatisierungsrunde gebaut wurden. Da will man lieber nicht wissen, was passiert, wenn Elon Musk die Kontrolle über die neuen Computersysteme der Regierung übernimmt, die diesmal auf seiner hauseigenen, künstlichen Intelligenz basieren. 

Nur warum fühlen sich so viele Durchschnittsamerikaner von Trump angezogen? „Weil er schon immer ein guter Verkäufer war und jetzt einen binären “pitch” hat, der perfekt für soziale Medien ist”, sagt Marc Fisher. Ganz im Gegensatz zu den Demokraten, die sich immer wieder als „Meister der Nuancen“ präsentieren. Fast alle der letzten zwölf demokratischen Präsidenten seien Anwälte gewesen, also Männer, die dazu neigten, Regeln zu befolgen. Ganz anders die Republikaner, die Geschäftsleute oder einen Cowboy wie Ronald Reagan als Präsidentschaftskandidaten aufstellten. Damit sind wir beim aktuellen Konflikt: „Es geht um Bürgerrechte gegen Gesetzesbrüche“, beschreibt Fisher den Wettbewerb der beiden Parteien – und damit auch die Ambivalenz der amerikanischen Geschichte. Mit Donald Trump hat 2024 wieder ein Renegat gesiegt. 

„Trump hat einen fabelhaften Instinkt, das Wichtige hinter dem Nebensächlichen zu sehen“, beschreibt Marc Fisher einen Grund für seine Anziehungskraft. Er arbeitet mit Alltagsthemen, die emblematisch sind. Doch was wird er mit seinem politischen Erfolg anfangen? Angesichts seiner Persönlichkeit und Familiengeschichte, seines übersteigerten Egos und seiner zunehmenden Einsamkeit muss Donald Trump befürchten, dass diese Präsidentschaft der letzte wichtige Akt seines Lebens sein könnte. „Und diese Untergrabung seiner grundlegenden Lebenserwartung“, fragt sich der Biograf, „könnte so verstörend werden, dass er ausflippt.“ 

Ist das etwa schon, so frage ich mich, was wir in dieser Woche sehen, in der Donald Trump den ausgerufenen Zollkrieg weiter eskaliert?

 

 

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