Washington D.C. - eine Stadt in Angst
In den guten alten Zeiten, wann auch immer diese gewesen sein mögen, konnte man immer mit den Leuten reden, sogar in Washington, D.C. Sie waren unglaublich beschäftigt, erzählten dem neugierigen Journalisten aber in der ersten Stunde unseres Treffens mehr, als er je wissen wollte. Das hat sich geändert, zumindest in der Hauptstadt, die Donald Trump mit seinen Dekreten in eine Stadt der Angst verwandelt hat.
Niemand, der für die Bundesregierung oder ihre Behörden arbeitet, möchte seinen Namen nennen, aus Angst vor negativen Konsequenzen. Freunde erzählen von ihrem prekären Leben zwischen den ständig wechselnden E-Mails von Elon Musks “Ministerium für Regierungseffizienz” (DOGE), die ihnen heute dies und morgen das mitteilen: dass man gefeuert wurde, oder vielleicht auch nicht. Deshalb wird in diesem Blogbeitrag niemand mit seinem richtigen Namen genannt. Und es gab kein einziges Gespräch mit Freunden und Betroffenen, das ohne die Adjektive „unglaublich“, „chaotisch“ und „erschreckend“ endete.
Einige ihrer Chefs haben das großzügige Angebot der Frühpensionierung angenommen und damit eine demoralisierte Belegschaft zurückgelassen, die ihre Institution nun allein gegen weitere Angriffe verteidigen muss. Andere Vorgesetzte haben das neue Regime mit sklavischem Eifer akzeptiert. Die klügsten Abteilungsleiter, so höre ich, fahren zweigleisig: Kein offenen Widerstand leisten, nicht einmal gegen die absurdesten Anordnungen; aber gleichzeitig alles tun, um zu retten, was möglich ist, indem sie die Auflagen nicht umsetzen.
Freunde von Freunden rufen nicht zurück, aber man hört, dass sie nicht in der Lage seien zu reden, überwältigt von dem plötzlichen Sturm, der ihr behütetes Mittelklasseleben kräftig durcheinander gewirbelt hat. Am stärksten betroffen von Elon Musks systemischem Wahnsinn scheint in Washington der medizinische Sektor mit dem National Institute of Health (NIH) als „Kronjuwel der amerikanischen Wissenschaft“ zu sein.
Laut Washington Post arbeiten 6.000 Wissenschaftler auf dem NIH-Campus mit 75 Gebäuden in Washingtons nördlichem Vorort Bethesda. Niemand würde bestreiten, dass dieser medizinische Komplex nicht einige Kürzungen verdient hätte. Doch hier wurde unser genetischer Code entschlüsselt, und wichtige Forschungsarbeiten für die Entwicklung von Medikamenten gegen AIDS, COVID und nun auch Fettleibigkeit gingen von dieser Institution aus. Die Entlassung vieler und die anschließende Wiedereinstellung weniger Forscher mitten in klinischen Studien versetzten nicht nur die Washingtoner Mitarbeiter in Erstaunen. Die Washington Post hat eine ihrer Lokalreporterinnen zu einer Art Kummerkastenfrau gemacht, der sie in Online-Kästchen mitteilen können: „Wie wirken sich Ihre Arbeitsplatzunsicherheit und wirtschaftliche Instabilität auf Sie aus?“ Oder: „Welche Änderungen an Ihrem Lebensstil mussten Sie in letzter Zeit vornehmen?“
Angst ist allgegenwärtig. Fragt man die Mitarbeiter des wunderbaren neuen National Museum of African American History, was sie von der „unbefristeten Beurlaubung“ ihres Chefs halten, antworten sie nicht. Fragt man die Mitarbeiter der alten und ehrwürdigen National Portrait Gallery, wie hoch sie die Chancen einschätzen, dass die kritischen Verweise auf die Rolle der Sklaverei in der amerikanischen Geschichte die Trump-Administration überleben, zucken sie nur mit den Achseln. Schließlich handelt es sich um eine Stadt mit einem schwarzen Bevölkerungsanteil von rund 43 %, in der die umstrittenen Diversity, Equality and Inclusion-Programme (DEI) erst recht spät in Kraft traten.
Doch genau diese sogenannten Woke-Referenzen zur Förderung der Gleichberechtigung stehen auf der Abschussliste der Republikaner, damit Institutionen – vom Kennedy Center of Arts bis zum Pentagon auf der anderen Seite des Flusses – diese Referenzen aus ihren Programmen, Websites und Kommunikationskanälen entfernen. „Die Museen in unserer Hauptstadt sollten Orte sein, an denen Menschen lernen – und nicht ideologischer Indoktrination oder spaltenden Narrativen ausgesetzt sein, die unsere gemeinsame Geschichte verzerren“, heißt es in Donald Trumps Executive Order zur versuchten Revision der amerikanischen Geschichte.
Washingtons schwarze Bürgermeisterin Muriel Bowser – ihre Demokraten erhielten im vergangenen November 93,5 % der Stimmen – sieht ihre gesamte Stadt von der Trump-Administration angegriffen. Die rechtliche und finanzielle Lage der Washingtons ist prekär. Der US-Kongress, der eine Milliarde Dollar aus seinem Haushalt kürzen will, könnte den erst knapp 50 Jahre alten District of Columbia per Gesetz einfach abschaffen.
Angesichts dieser doppelten Abhängigkeit ihrer Stadt von den gefährdeten Bundesinstitutionen und dem US-Kongress hat die Bürgermeisterin bisher kaum Widerstand geleistet. Einige ihrer Kritiker in der Demokratischen Partei nennen dies appeasement. Doch ein Freund, der für den D.C.-Gemeinderat arbeitet, findet ein solches Urteil „etwas unfair“. Denn wer reagiert derzeit nicht beschwichtigend auf die Angriffe von Trump und Musk: der US-Kongress, die meisten Eliteuniversitäten? Alle scheinen schockiert und von Angst getrieben zu sein.
So ergibt sich der Staat einfach seinem eigenen Abbau. Insgesamt gibt es in den USA 2,4 Millionen Bundesangestellte, 30 % davon Kriegsveteranen. Bis letzte Woche wurden 56.000 Stellenstreichungen bestätigt, weitere 17.000 sind geplant. 75.000 Bundesangestellte entschieden sich für großzügige Abfindungen. Die Entwicklungshilfe-Organisation USAID und der Auslandssender Voice of America wurden komplett aufgelöst, das Personal des Bildungsministeriums wird um 46 % und das des Gesundheitsministeriums um 24 % gekürzt. Da viele dieser Arbeitsplätze in der Hauptstadt liegen, wird dies die Steuerbasis der Stadt verringern und ihre Bürger demoralisieren, von denen nur 21.076 für Donald Trump gestimmt haben.
Warum also sind die Washingtonians nicht auf der Straße? Der Schock, die Hilflosigkeit, die Notwendigkeit, angesichts dieser plötzlichen Wendung der Ereignisse ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Vielleicht besteht die Hoffnung auf eine weitere E-Mail, die einen wieder einstellt - und definitiv die Angst, sich den unberechenbaren Mächten des neuen Regimes auszusetzen. „Es gibt hier im Gegensatz zu Europa kein historisches Erbe“, bemerkt ein Freund, „die Amerikaner mussten nie den Faschismus überwinden.“ Doch sie hatten einst einen Präsidenten, dessen erste Antrittsrede 1933 den berühmten Satz enthielt, den jedes Schulkind kennt: „Das Einzige, das wir zu fürchten haben, ist die Furcht selbst.“ Es scheint, als müssten die wohlhabenden Beamten der Stadt die Bedeutung dieses Satzes erst noch erlernen.
Doch am 5. April protestierten erstmals Zehntausende Demonstranten am Washington Memorial. Meiner eher anekdotischen Umfrage zufolge hatten sich hier auch viele von weit her Angereiste und vor allem grauhaarige Rentner versammelt. Natürlich war schwer zu sagen, wie viele gefeuerte Beamte sich in der Menge befanden. Aber nur sehr wenige Teilnehmer wirkten wie Neuzugänge im Bürgerprotest, mit seinen eingeübten Slogans und selbstgebastelten Transparenten.
Nun, da waren Linda und Brian, beide Bundesangestellte, frisch verlobt und Anfang April frisch entlassen. Doch sie hatten keine Zeit, dem Besucher ihre Geschichte zu erzählen. Sie waren nur kurz zur Demonstration gekommen, um ihre Solidarität zu zeigen. Nun mussten sie eilig nach Hause, um herauszufinden, wie sie ihre für die Hochzeit vorgesehenen Ersparnisse auslösen konnten, um sie nun für eine unerwartete Jobsuche zu verwenden.